Italiens Krise Sechs Gründe, warum die Märkte um Italien zittern

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Stagnierende Produktivität und ungerechter Arbeitsmarkt

3. Die Produktivität stagniert

Italiens Wirtschaft wächst nicht nur nicht. Die Italiener erwirtschaften auch einfach nicht mehr pro Arbeitsstunde. „Die Produktivität je Arbeitsstunde war über den gesamten Beobachtungszeitraum in der Tendenz rückläufig und lag zuletzt um sechs Prozent unter ihrem Stand im Jahr 2000“, heißt es in der Analyse der Kieler. Die totale Faktorproduktivität, ein Maß für die Entwicklung der Effizienz der Produktion, hat sich seit 15 Jahren kaum verändert. Jetzt ist in den vergangenen Jahren in vielen westlichen Ländern das Produktivitätswachstum zurückgegangen.  In Italien allerdings ist es im Prinzip bei null angekommen – und das ist schon außergewöhnlich schlecht.

4. Der Arbeitsmarkt ist ungerecht

In den Jahren seit Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise haben mehrere Regierungen Reformen angeschoben, um den starren Arbeitsmarkt aufzubrechen und dynamischer zu gestalten. Renzi etwa hat 2015 den Kündigungsschutz entschärft, um Unternehmen mehr Rechtssicherheit bei Entlassungen zu geben. Zwar ist die Arbeitslosigkeit insbesondere in den Jahren 2012 und 2013 kräftig gestiegen, sie liegt mit 11,6 Prozent aber nur wenig höher als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts.

Das größere Problem allerdings ist: Der Arbeitsmarkt ist immer noch sehr zweigeteilt – und zwar zwischen Jung und Alt. Die Jugendarbeitslosigkeit in Italien ist die höchste in der EU und liegt bei 37 Prozent.

5. Die Banken wanken

Auch wenn sich die Krise beim größten Kriseninstitut des Landes gestern durch eine Kapitalerhöhung bei der Banca Monte dei Paschi vorerst etwas entschärft hat: Die Finanzbranche ist der gefährlichste Krisenherd des Landes. Die Bankenlandschaft ist unfassbar zersplittert (Italien hat die höchste Dichte an Bankfilialen pro Einwohner in Europa). Und die meisten haben ein schwieriges Geschäftsmodell in diesen Zeiten: Sie leben von Zinsmargen und von Krediten an Firmenkunden. Die Zinsen aber sind durch die Europäische Zentralbank auf null gedrückt und die Stagnation der Volkswirtschaft treibt viele Firmen in Nöte, die einst bei den Banken Kredite aufnahmen. 360 Milliarden Euro betragen die faulen Kredite in Italiens Banken, 200 Milliarden sollen akut Ausfall bedroht sein.

Das alleine wäre schon misslich, wird aber noch schlimmer dadurch, dass zu viele Italiener über Bankanleihen mit diesem System verquickt sind. Seit Europa 2014 geregelt hat, dass im Krisenfall zunächst solche „Investoren“ auf Geld verzichten müssen, bevor der Staat einspringt (nachdem fast alle Euro-Länder ihre Banken unterstützt hatten, außer den Italienern, deren Banken es damals noch gut ging), ist die italienische Politik in einem Dilemma: Anfang des Jahres mussten tausende Italiener Geld lassen, als Renzi die privaten Gläubiger einiger Banken zur Kasse bat. Es war der Moment, als die Stimmung in Italien zum ersten Mal kippte.

6. Die Verschuldung steigt und steigt

Mehr als zwei Billionen Euro hat das Land mittlerweile angehäuft, mehr als 130 Prozent des BIP. Dagegen, das ist die Dauerforderung aus Berlin und Brüssel, müsse man ansparen. Tatsächlich tat Renzi das Gegenteil: Um 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen 2017 die Schulden statt der ursprünglich versprochenen 1,8 Prozent steigen.

Was aber passiert, wenn die Anleihe-Spreads, also der Preisunterschied zwischen deutschen und italienischen Anleihen, weiter steigen wie in den vergangenen Tagen? In italienischen Finanzkreisen zirkulieren Schätzungen, dass der Spread Ende des Jahres bei 200 liegen könnte. Italien müsste dann im Vergleich zur Planung aus dem September im Jahr 2017 etwa 3,5 Milliarden Euro mehr an Zinsen zahlen.

Dabei ist es nicht so, als habe Renzi nichts versucht: Neben der Liberalisierung des Arbeitsmarktes wurde auch das Steuersystem vereinfacht, die Justiz beschleunigt, Staatsunternehmen privatisiert und der Zugang zu Dienstleistungsmärkten vereinfacht. Die Kieler Forscher glauben denn auch: „Die Wirkungen der Reformen auf Produktivität, Beschäftigung, Bruttoinlandsprodukt und Inflation werden sich über einen längeren Zeitraum einstellen.“

Die Frage ist, ob der Wähler Renzi diese Zeit gibt.

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