IWF-Frühjahrstagung Club der Inflationisten

Mehr Inflation, mehr Regulierung, mehr Staatsausgaben – auf dem Frühjahrstreffen von IWF und Weltbank herrscht der Geist des Keynesianismus. 

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Christine Lagarde vom IWF Quelle: AP

Wenn sich die Finanzminister und Notenbankgouverneure der wichtigsten Länder der Welt in Washington zur Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) treffen, geht es weniger um das Klein-Klein der aktuellen Tagespolitik, sondern um die großen Linien der Geld- und Währungspolitik.

Auf der Tagung an diesem Wochenende stand unter anderem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) im Mittelpunkt der Diskussion. In den vergangenen Jahren hatte der IWF die EZB immer wieder aufgefordert, die Geldpolitik zu lockern und unkonventionelle Maßnahmen wie den Kauf von Staatsanleihen in Erwägung zu ziehen.  Jetzt, da die EZB Staatsanleihen in großem Stil kauft, kann sie sich des Lobes des IWF sicher sein. "Die Politik der quantitativen Lockerung der EZB ist willkommen und sollte fortgesetzt werden", sagte Poul Thomsen, Ökonom in der Europa-Abteilung des IWF.

Makroprudenzielle Regulierung als Allheilmittel

Zugleich aber warnen die IWF-Ökonomen vor den Folgen der Geldpolitik, die sie selbst empfohlen haben. Die Niedrigzinsen und die durch den Kauf von Staatsanleihen in den Bankensektor gepumpte Liquidität drohten gefährliche Ungleichgewichte und Vermögenspreisblasen zu erzeugen, heißt es. Offenbar bekommt  der Fonds angesichts des weltweiten Höhenflugs an den Finanzmärkten mittlerweile kalte Füße.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Deshalb soll nun ein neues Allheilmittel zur Bekämpfung von Preisblasen zum Einsatz kommen: die makroprudenzielle Regulierung. Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich Eingriffe der Notenbanken und der Bankenaufsichten in die Kreditvergabe der Banken. Sollten sich Preisblasen am Aktien- oder Immobilienmarkt bilden, können die Notenbanker den Banken zum Beispiel vorschreiben, mehr Eigenkapital für Kredite vorzuhalten. Alternativ können sie die Banken auffordern, die Beleihungsgrenzen für Immobilienkredite herabzusetzen. Die Kreditnehmer müssten dann mehr Eigenkapital auf den Tisch legen.

Die maßlose Selbstüberschätzung der Notenbanker

Allerdings ist fraglich, ob die Zentralbanker überhaupt in der Lage sind, Preisblasen zu erkennen und rechtzeitig die richtigen Instrumente in der richtigen Dosierung einzusetzen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sinnvolle Investitionsprojekte an der Kreditregulierung scheitern. Letztlich droht die makroprudenzielle Regulierung aus dem gleichen Grund zu scheitern wie die antizyklische Wirtschaftspolitik in den Siebzigerjahren: der maßlosen Selbstüberschätzung steuerungs- und regulierungswütiger Finanzminister und Notenbanker. 

Auch im Hinblick auf die Fiskalpolitik atmen die wirtschaftspolitischen Empfehlungen des IWF den Geist des Keynesianismus. Aus Sorge, die expansive Geldpolitik allein werde nicht reichen, um die Wirtschaft der Eurozone wieder auf Trab zu bringen, forderte David Lipton, der Vize-Chef des IWF, die Regierungen sollten mehr Geld in die Infrastruktur investieren.

Damit stieß er in das gleiche Horn wie der Harvard-Ökonom Larry Summers, der seit geraumer Zeit argumentiert, die Regierungen sollten sich zu den aktuell niedrigen Zinsen verschulden und mit den Krediten Investitionen in die Infrastruktur finanzieren. Das kurbele die Wirtschaft an und verhindere eine angeblich drohende säkulare Stagnation.

Teure Refinanzierung der Billig-Kredite

Bei genauem Hinsehen kann die Argumentation von Lipton/Summers jedoch nicht überzeugen. Wie sollen private Investitionen in Gang kommen, wenn der Staat ihnen mit seinen Investitionen die realen Ressourcen streitig macht? Verdrängt der Staat private Investitionen, droht der Weg in die Staatswirtschaft.

Die wichtigsten Begriffe in der Kapitalismus-Debatte

Dazu kommt, dass die Refinanzierung der Billig-Kredite den Staat in Zukunft teuer zu stehen kommen könnte, wenn die Zinsen steigen. Problematisch ist zudem, dass der IWF mit seinem Plädoyer für kreditfinanzierte staatliche Investitionen Wasser auf die Mühlen derjenigen Regierungen in Europa leitet, die ohnehin nichts vom Sparen halten und den Stabilitätspakt weiter aufweichen wollen.

Der staatswirtschaftliche Geist des Keynesianismus zeigt sich auch in der neurotischen Angst der Notenbanker vor der Deflation. Auf die Frage, warum die Notenbanken ein Inflationsziel von zwei Prozent anstreben, antwortete Stanley Fischer, der stellvertretende Vorsitzende der US-Notenbank Fed, dass das Zwei-Prozent-Ziel in den Siebzigerjahren entstanden sei, als man hoffte, durch Inflation die Arbeitslosigkeit senken zu können.

Warum Banken und Regierungen Inflation wollen

Heutzutage sei wichtiger, dass angesichts der Leitzinsen nahe Null Prozent ein negativer Realzins zur Stützung der Konjunktur nur durch eine positive Inflationsrate erreicht werden kann. Dabei hinterfragte Fischer jedoch nicht, welche negativen Folgen es hat, wenn staatliche Notenbanken den Realzins als den wichtigsten Preis der Volkswirtschaft künstlich in den negativen Bereich drücken. 

Die höchsten Inflationen aller Zeiten
Turkmenistan, Januar 1992 - November 1993Währung: Manat Tägliche Inflationsrate: 5,71 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 12,7 TageQuelle: Institute for Applied Economics, John Hopkins University Baltimore Quelle: AP
Armenien, Oktober 1993 - Dezember 1994Währung: Rubel Tägliche Inflationsrate: 5,77 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 12,5 Tage Quelle: REUTERS
China, Oktober 1947 - Mitte Mai 1949Währung: Yuan Tägliche Inflationsrate: 14,1 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 5,34 Tage
Griechenland, Mai 1941 - Dezember 1945Währung: Drachme Tägliche Inflationsrate: 17,9 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 4,27 Tage
Deutschland, August 1922 - Dezember 1923Währung: Papiermark Tägliche Inflationsrate: 20,9 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 3,70 Tage
Republika Srpska, April 1992 - Januar 1994Währung: Dinar Tägliche Inflationsrate: 64,3 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 1,41 Tage
Jugoslawien, April 1992 - Januar 1994Währung: Dinar Tägliche Inflationsrate: 64,6 Prozent Zeitraum, in dem sich die Preise verdoppelten: 1,41 Tage Quelle: dpa

Zudem verschwieg er den wahren Grund, warum Banken, Zentralbanken und Regierungen ein Interesse an Inflation haben. Wenn sich das Geld mit der Zeit entwertet, macht es für den einzelnen Sinn, sich zu verschulden. Die steigenden Preise lassen seine reale Schuldenlast peu a peu abschmelzen. Deshalb fällt es den Banken leicht, den Menschen Kredite aufzuschwatzen und so ihre Gewinne zu steigern.

Die Notenbank wiederum leiht den Geschäftsbanken zur Refinanzierung der Kredite gegen Zins Zentralbankgeld, das sie kostenlos aus dem Nichts schöpft. Die Gewinne aus der Geldschöpfung (Seignorage) überweist die Notenbank an den Staat. Daher haben Banken und Staaten ein ureigenes Interesse an Inflation.  

Käme es hingegen zu Deflation, schrumpften mit den Preisen und Löhnen die Steuereinnahmen des Staates. Höhere Defizite ließen den staatlichen Schuldenberg beschleunigt wachsen. Daher kann es nicht verwundern,  dass die Regierungen die Deflation fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Die Zentralbanken als staatlichen Instanzen wissen dies und setzen alle Hebel in Bewegung, die Inflation wieder nach oben zu treiben.

Dass diese Zusammenhänge trotz der geschäftigen Geschwätzigkeit in Washington unerwähnt blieben, kann nicht überraschen. Denn schließlich handelt es sich um ein Treffen von Regierungen, Notenbanken und Banken - also den Institutionen, die von der Inflation am meisten profitieren.

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