Herr Stiglitz, Mario Draghi hat gestern aus seinem „What ever it takes“ ein „We won’t give up“ gemacht. Als Kritiker des deutschen Festhaltens an einer eher konventionellen Geldpolitik müsste Ihnen das doch gefallen. Geht Europa die Krise richtig an?
Naja. Schon bei seinem “Whatever it takes” von 2012 war ja der Nachteil, dass Draghi nie definiert hat, welche Maßnahmen und Schritte so ganz genau er damit meint. Allein deswegen wirkte die Ankündigung von damals - vor allem, weil sehr viele an den Märkten an sie glauben - und nicht, weil die Instrumente besonders überzeugend waren. Nun setzt er das also noch fort – es wirkt manchmal, als glauben Europas Geldpolitiker, dass die Krise des Euroraums vor allem eine Vertrauenskrise sei.
Also hätte Draghi sich besser Janet Yellen, der Chefin der amerikanischen Zentralbank Fed, anschließen und die Rückkehr zu einer eher vorsichtigen Geldpolitik andeuten sollen?
Solange die Politik nichts unternimmt, bleibt Draghi natürlich auch wenig anderes übrig. Es ist ja nicht so, als ob der Euro-Raum frei von Strukturproblemen wäre. Wenn Draghi offenbar auf eine Politik, die statt auf Fakten vor allem auf Vertrauen setzt, verfolgt, dann auch weil ihm wenig Spielraum gelassen wird.
Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann
Die EZB könnte massenhaft Anleihen aufkaufen und selbst das Risiko in ihre Bücher nehmen. Sie würde sich dabei am Anteil der jeweiligen Notenbanken am Grundkapital der EZB orientieren, das je nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder unterschiedlich hoch ist. Draghi vermied es bislang, eine konkrete Zahl für die Käufe ins Schaufenster zu stellen. Doch strebt der EZB-Rat eine Ausweitung der Bilanz auf das Volumen von Anfang 2012 an. Damit müsste die EZB rund eine Billion Euro in die Hand nehmen. Mit dem eingeleiteten Kauf von Hypothekenpapieren und Pfandbriefen dürfte diese Summe nicht annähernd zu erreichen sein. Allerdings könnte die EZB das Spektrum um private Anleihen erweitern.
Kritiker befürchten, dass solide wirtschaftende Länder am Ende für Krisenstaaten haften müssen. Sollten Papiere - etwa von Griechenland - ausfallen, müsste auch der deutsche Steuerzahler bluten. Der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot sieht darin ein Problem: "Wir müssen vermeiden, dass über die Hintertür der EZB-Bilanz Entscheidungen getroffen werden, die den demokratisch legitimierten Politikern der Euroländer vorbehalten bleiben müssen." Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre eine Ankauf durch die jeweiligen Notenbanken der Euro-Staaten.
Draghi könnte den Bedenken gegen eine zu große Haftungsübernahme durch die EZB mit einer Kompromisslösung Rechnung tragen: Die EZB würde demnach nur einen Teil der Ankäufe übernehmen und es den Notenbanken der einzelnen Länder überlassen, bis zu einem gewissen Limit auf eigenes Risiko am Markt aktiv zu werden. Damit würde Draghi womöglich die Bundesbank und andere Gegner besänftigen. Ob eine solche Aufgabenteilung aber reibungslos funktioniert und ein ausreichend großes Volumen zustande kommt, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die EZB am Donnerstag tatsächlich bereits den Knopf drücken wird.
Bei diesem Modell verbliebe das Risiko bei den einzelnen Staaten. Die EZB würde den Beschluss fassen, dass die Zentralbanken von Portugal bis Finnland Papiere erwerben können und ihnen dafür ein Limit setzen. Der französische Notenbank-Chef Christian Noyer ist für "eine prozentuale Obergrenze". Private Anleger müssten weiterhin die Mehrheit der Anleihen halten. Dies würde theoretisch bedeuten, dass die einzelnen Notenbanken insgesamt bis zu 49,9 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten des jeweiligen Landes aufkaufen dürften. Da der Schuldenberg der Euro-Staaten insgesamt mehr als neun Billionen Euro groß ist, wäre ein solches Programm jedoch überdimensioniert. Die Obergrenze, falls sie überhaupt kommuniziert wird, dürfte weit niedriger liegen.
Würde sich die EZB selbst heraushalten, könnte ihr dies als Führungsschwäche ausgelegt werden: "Das wäre keine einheitliche Geldpolitik mehr", warnt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Auch ein Modell, wonach sich die Ankäufe an der Summe der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes orientieren würde, gilt als heikel: Dann wäre Italien, das Heimatland Draghis, der größte Nutznießer. Rund ein Viertel aller ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum wurde von der Regierung in Rom ausgegeben.
Gegner des Programms wie etwa Bundesbank-Chef Jens Weidmann befürchten, dass die EZB den Staaten "Fehlanreize" bieten würde, ihre Reformanstrengungen zu vermindern. Denn durch den massenhaften Ankauf von Verbindlichkeiten der Staaten kommen diese Länder am Markt günstiger an frisches Geld.
Ökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe erwartet zum Beispiel, dass sich der EZB-Rat noch nicht auf Umfang, Dauer und Zusammensetzung der Käufe durchringen kann. Dann würde die EZB nur einen Grundsatzbeschluss fassen. Draghi müsste im März alle Details nachliefern.
Bis dann dürfte sich auch der Rauch nach den Parlamentswahlen in Griechenland verzogen haben. Denn das von IWF und EU vor der Pleite gerettete Land könnte eine Kehrtwende einleiten. Die zentrale Frage lautet: Bleibt es auf Reformkurs oder kommt es zur Abkehr von den Rettungsprogrammen? Ein Ankauf griechischer Staatspapiere dürfte sich bei der letzten Variante für die EZB verbieten.
Geht es auf mittlere bis lange Sicht gut, wenn die Zentralbanken von zwei der größten Wirtschaftsräume der Welt, die Fed und die EZB, unterschiedliche Richtungen in der Geldpolitik einschlagen?
Es gibt Leute, die behaupten, wenn Fed und EZB auf Dauer eine unterschiedliche Politik verfolgen, sei das ein Quell für Instabilität der Weltwirtschaft. Ich glaube das grundsätzlich auch, aber im Moment noch nicht. Dafür sind im Moment die Unterschiede zwischen EZB und Fed noch nicht groß genug. Und die USA haben nicht die gleichen strukturellen Probleme wie Europa, insofern ist ein gewisser Unterschied gerechtfertigt.
Also alles gut im Moment in der Geldpolitik?
Was eine Gefahr werden könnte: Wenn die Zinsen in Euro-Raum und Dollar-Raum weiter auseinanderklaffen, als sie es jetzt tun. Dann würden immer mehr Anleger in den Dollar-Raum flüchten und der Dollar entsprechend steigen. Da kommt es auf die Dosis an: Für einen starken Dollar-Anstieg ist die US-Wirtschaft noch nicht robust genug.
Wie sich EZB und Euro-Länder vor neuen Turbulenzen schützen
Um private Banken in Euro-Ländern vor vorübergehenden Liquiditätsengpässen zu schützen, hat die Europäische Zentralbank ein spezielles Kreditprogramm (ELA) aufgelegt. Damit können zum Beispiel griechische Banken bei der griechischen Notenbank Wertpapiere gegen Geld eintauschen, die nicht den üblichen Qualitätskriterien der EZB gerecht werden.
In Luxemburg hat im Herbst 2012 der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM, seine Arbeit aufgenommen. Geschäftsführer ist Klaus Regling, ein früherer Generaldirektor in der EU-Kommission. Der Fonds kann bis zu 500 Milliarden Euro mobilisieren, um Euro-Länder bei Zahlungsschwierigkeiten mit Krediten und Bürgschaften zu unterstützen. Die Hilfen sind an ein wirtschaftspolitisches Reformprogramm geknüpft, das die Ursachen der Probleme bekämpfen soll.
Als Lehre aus der Krise soll Brüssel die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten stärker überwachen. „Two-Pack“ und „Six-Pack“ heißen die neuen Mechanismen, die Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Kontrolle erleichtern sollen. Leider nehmen die Länder die Empfehlungen nicht wirklich ernst.
Mit wenigen Worten hat EZB-Chef Mario Draghi die Märkte im Juli 2012 beruhigt. „Was immer nötig sei“, werde die EZB zur Rettung des Euro tun – ein Vollkaskoschutz für Investitionen in Euro-Staatsanleihen. Das entsprechende Programm (OMT) kam im September hinzu.
Nach einem Stresstest hat die Europäische Zentralbank im November 2014 die Aufsicht über rund 120 europäische Großbanken übernommen. Bei künftigen Bankpleiten sollen Steuerzahler nicht mehr in die Pflicht genommen wer- werden. Ob’s klappt?
Nicht robust trifft ganz gut als Beschreibung für die gesamte Weltwirtschaft. Insbesondere der Welthandel kommt nicht richtig in Schwung.
Der Welthandel entwickelt sich schwächer als das weltweite Wirtschaftswachstum, weil sich die Wirtschaft wandelt. Wir sehen, dass die meisten westlichen Länder sich erfolgreich von Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaften gewandelt haben und große Schwellenländer auf dem Weg dahin sind. Und Dienstleistungen kann ich nun mal nicht handeln. Soll ich mir etwa den Friseur aus Deutschland kommen lassen?
War der Eindruck zuletzt nicht eher, dass viele westliche Länder sich wieder stärker auf die Industrie zurückbesinnen, weil nur von Dienstleistung ein Land auch nicht leben kann. Das würde Ihrer These etwas Durchschlagskraft nehmen.
Hinzu kommt die Bedeutung der digitalen Revolution. Nehmen Sie den 3-D-Druck: Wenn Unternehmen Produkte so individualisiert und automatisiert herstellen können, braucht man keine Billigproduktionsländer mehr – und somit keinen Handel. Handel ist einfach nicht mehr wichtig. Dennoch hängt das Wohl und Wehe ganzer Branchen davon ab.