Jürgen Stark EZB-Chefvolkswirt nennt politische Gründe für Rücktritt

Der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, hat jetzt erstmals politische Gründe für seinen Rücktritt von diesem Amt zum Jahresende genannt.

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EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark Quelle: dpa

„Da gibt es ein großes Thema, das dies begründet: dass ich nicht zufrieden bin, wie sich diese Währungsunion entwickelt hat“, sagte Stark der WirtschaftsWoche. Bislang hatte das EZB-Direktoriumsmitglied immer „persönliche Gründe“ für sein Ausscheiden angeführt.

„Die EZB hat ihren Auftrag, die Preisstabilität zu gewährleisten, voll erfüllt“, sagte Stark mit Blick auf seine Amtszeit. Vor den Fehlentwicklungen in der Euro-Zone, die zu der gegenwärtigen Krise geführt haben, habe die Zentralbank rechtzeitig gewarnt. „Auf die unterschiedliche Entwicklung der Lohnstückkosten in der Euro-Zone haben wir schon 2005 sehr deutlich hingewiesen. Die Politik hat das damals nicht als akutes Problem angesehen“, sagte Stark. Instrumente für die fälligen Anpassungen wären auf den nationalen Ebenen vorhanden gewesen. „Der Immobilienboom in einigen Ländern hätte ohne Weiteres mit aufsichtsrechtlichen und steuerlichen Instrumenten gebremst werden können“, sagte Stark in Anspielung auf Entwicklungen in Spanien und Irland. Die Korrektur solcher Fehlentwicklungen sei jedoch mit geldpolitischen Maßnahmen nicht möglich. „Überfordern Sie die Zentralbank nicht“, sagte Stark.

In der aktuellen Krise sei der weitere Kauf von Staatsanleihen durch die EZB keine Lösung. „Es sind rund 90 Prozent der selbst ernannten oder wirklichen Experten rund um den Globus, die der EZB sagen, es geht jetzt nur noch mit der großen Bazooka – und dabei wird die Politik der US-Notenbank Fed als leuchtendes Beispiel hingestellt. Dahinter steckt aber ein Unverständnis des institutionellen Rahmens, den wir hier haben“, erklärte Stark. „Es ist eine fundamentale Ausrichtung dieser Währungsunion, die monetäre Finanzierung von Staatsschulden durch die EZB nicht zuzulassen. Ohne diese Regelung gäbe es diese Wirtschafts- und Währungsunion nicht.“ Seit Mai 2010 habe die EZB bereits für rund 210 Milliarden Euro Staatsanleihen gekauft. „Dieses Instrument ist von Zeit und Volumen her begrenzt, wir können nicht unbegrenzt unsere Bilanz ausweiten“, so der scheidende EZB-Chefvolkswirt.

Beschlüsse rasch umsetzen, um Italien zu retten

Die Beschlüsse des Eurogipfels in Brüssel müssen nach Aussage Starks rasch umgesetzt werden, um die Refinanzierung des kriselnden Italiens im kommenden Jahr stemmen zu können. „Italien muss im nächsten Jahr 307 Milliarden Euro refinanzieren“, so Stark. „Die Märkte erwarten kurzfristige Lösungen. Entscheidend ist daher die rasche Umsetzung der Brüsseler Gipfelbeschlüsse vom 9. Dezember, sowohl die Verringerung der Defizite als auch die der Schuldenstände in den Verfassungen der Mitgliedsländer zu verankern.“ Die Beschlüsse seien ein „wirklicher Durchbruch“, so Stark. „Italien hat einen hohen Refinanzierungsbedarf, aber der muss geschultert werden. Die Grundlage dafür muss Italien mit einem umfassenden Reform- und Konsolidierungsprogramm selbst schaffen.“

Griechenland lässt Reformen schleifen

Der EZB-Chefvolkswirt hat Griechenland für sein erlahmendes Reformtempo gerügt. Seitdem Griechenland ein Schuldenschnitt signalisiert worden sei, habe das Land das Tempo gedrosselt. „Griechenland hat das Reformtempo schon vor einem Jahr gedrosselt“, kritisiert Stark. „Das begann mit dem Signal, dem Land könnte ein Teil seiner Schulden erlassen werden. Danach hat sich die griechische Regierung allein darauf konzentriert und die Reformen definitiv schleifen lassen.“

Unter der neuen Regierung sei die Lage nicht besser geworden. „Jetzt macht es sich Griechenland zu einfach, wenn es sagt, das Land würde unter einer systemischen Krise Europas leiden. Es geht nicht an, die Schuld irgendjemandem anderen zuzuweisen, wenn man selbst die Hausaufgaben nicht gemacht hat.“

Die Politik nimmt Stark in der aktuellen Krise in Schutz. „Die Lösung dieser Krise lässt sich in keinem Lehrbuch nachschlagen, und all die klugen Äußerungen aus dem akademischen Bereich widersprechen sich sowohl in der Analyse als auch in den Rezepten. Das bringt die Regierungen immer wieder in fast ausweglose Situationen – dennoch müssen sie Entscheidungen treffen.“

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