Kampf um Camerons heikles Thronerbe Tories dünnen Bewerberfeld aus

Aus fünf mach zwei: Das Kandidatenfeld für die Nachfolge des britischen Premiers verkleinert sich. Am Ende könnte es zu einem Duell zwischen zwei Frauen kommen.

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Welche Branchen besonders betroffen sind
AutoindustrieDie Queen fährt Land Rover – unter anderem. Autos von Bentley und Rolls-Royce stehen auch in der königlichen Garage. Die britischen Autobauer werden es künftig wohl etwas schwerer haben, ihre Autos nach Europa und den Rest der Welt zu exportieren – je nach dem, was die Verhandlungen über eine künftige Zusammenarbeit ergeben. Auch deutsche Autobauer sind betroffen: Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. BMW verkaufte in Großbritannien im vergangenen Jahr 236.000 Autos – das waren mehr als 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Audi waren es 9, bei Mercedes 8, beim VW-Konzern insgesamt 6 Prozent. Für Stefan Bratzel wird der Brexit merkliche negative Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben, die im Einzelnen noch gar nicht abschließend bewertet werden können. „Der Brexit wird so insgesamt zu einem schleichenden Exit der Automobilindustrie von der Insel führen“, sagt der Auto-Professor. „Wirkliche Gewinner gibt es keine.“ Quelle: REUTERS
FinanzbrancheBanken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. Quelle: REUTERS
FinTechsDie Nähe zum Finanzplatz London und die branchenfreundliche Gesetzgebung machten Großbritannien in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten Standort für Anbieter internetbasierender Bezahl- und Transaktionsdienste, im Branchenjargon „FinTech“ genannt. Das dürfte sich nun ändern. Der Brexit-Entscheid werde bei den rund 500 im Königreich ansässigen FinTechs „unvermeidlich“ zu einer Abwanderung von der Insel führen, erwartet Simon Black. Grund dafür sei, so der Chef des Zahlungsdienstleisters PPRO, da ihr „Status als von der EU und EWR anerkannte Finanzinstitutionen nun gefährdet ist“. Simon erwartet von sofort an eine Verlagerung des Geschäfts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb von Großbritannien. „FinTech-Gewinner des Brexits werden meines Erachtens Amsterdam, Dublin und Luxemburg sein.“ Als Folge entgingen Großbritannien, kalkuliert Black, „in den nächsten zehn Jahren rund 5 Milliarden Britische Pfund an Steuereinnahmen verloren“. Quelle: Reuters
WissenschaftAuch in der Forschungswelt herrscht beidseits des Kanals große Sorge über die Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit. Die EU verliere mit Großbritannien einen wertvollen Partner, ausgerechnet in einer Zeit, in der grenzüberschreitende wissenschaftliche Zusammenarbeit mehr denn je gebraucht werde, beklagt etwa Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. „Wissenschaft muss helfen, Grenzen zu überwinden.“ Venki Ramakrishnan, der Präsident der Royal Society, fordert, den freien Austausch von Ideen und Menschen auch nach einem Austritt unbedingt weiter zu ermöglichen. Andernfalls drohe der Wissenschaftswelt „ernsthafter Schaden“. Wie das aussehen kann, zeigt der Blick in die Schweiz, die zuletzt, nach einer Volksentscheidung zur drastischen Begrenzung von Zuwanderung, den Zugang zu den wichtigsten EU-Forschungsförderprogramme verloren hat. Quelle: dpa
DigitalwirtschaftDie Abkehr der Briten von der EU dürfte auch die Chancen der europäischen Internetunternehmen im weltweiten Wettbewerb verschlechtern. „Durch das Ausscheiden des wichtigen Mitgliedslands Großbritannien aus der EU werde der Versuch der EU-Kommission deutlich erschwert, einen großen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, um den Unternehmen einen Wettbewerb auf Augenhöhe mit Ländern wie den USA oder China zu ermöglichen“, kommentiert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim IT-Verband Bitkom, den Volksentscheid. Daneben werde auch der Handel zwischen den einzelnen Ländern direkt betroffen: 2015 exportierte Deutschland ITK-Geräte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro nach Großbritannien geliefert; acht Prozent der gesamten ITK-Ausfuhren aus Deutschland. „Damit ist das Land knapp hinter Frankreich das zweitwichtigste Ausfuhrland für die deutschen Unternehmen.“ Quelle: REUTERS
ChemieindustrieDie Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien. Quelle: REUTERS
ElektroindustrieNach einer Umfrage des Ifo-Instituts sehen sich besonders viele Firmen betroffen (52 Prozent). Das Vereinigte Königreich ist der viertwichtigste Abnehmer für Elektroprodukte „Made in Germany“ weltweit und der drittgrößte Investitionsstandort für die Unternehmen im Ausland. Dem Branchenverband ZVEI zufolge lieferten deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Elektroprodukte im Wert von 9,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Dies entspreche einem Anteil von 5,7 Prozent an den deutschen Elektroausfuhren. Quelle: dpa

Nach der Rücktrittsankündigung des britischen Premiers David Cameron hat dessen konservative Partei damit begonnen, das Feld potenzieller Nachfolger auszudünnen. Aus einer ersten Auswahlrunde ging die favorisierte Innenministerin Theresa May als klare Siegerin hervor. Von ursprünglich fünf sind seit Dienstagabend nur noch drei Kandidaten übrig. Offen ist nun noch, welche beiden Bewerber letztlich zum Duell antreten. Der Sieger des Wettstreits muss eine zerstrittene Partei einen und das Königreich nach dem Brexit-Votum durch eine historische Krise steuern.

Derzeit deutet vieles auf einen Machtkampf zwischen zwei Frauen um die Parteiführung und das Amt des Premiers hin. May brachte am Dienstag 165 von 329 Abgeordneten hinter sich - mehr als alle ihre Rivalen zusammen. Stärkste Konkurrentin ist Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom (53 Stimmen), gefolgt von Justizminister Michael Gove (48).

Ex-Verteidigungsminister Liam Fox schied am Dienstag mit den wenigsten Stimmen (16) aller fünf Kandidaten aus. Kurz darauf zog auch der viertplatzierte Arbeitsminister Stephen Crabb (34 Stimmen) seine - offenkundig aussichtslose - Kandidatur zurück. Er und Fox sprachen May umgehend ihre Unterstützung aus.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Den Kampf um den Vorsitz der Tories hatte der angekündigte Rücktritt von Premierminister David Cameron eingeläutet, der nach seiner Niederlage beim EU-Votum in den kommenden Monaten aus dem Amt scheidet. May hatte beim Brexit-Referendum eher verhalten für den Verbleib in der EU plädiert. Leadsom und Gove gehören dagegen dem Lager der klaren Austrittsbefürworter an.

May und Gove wollen - falls sie gewählt werden - sich bei den höchst komplexen Brexit-Verhandlungen mit der EU Zeit lassen und mit der formellen Austrittsprozedur erst im nächsten Jahr beginnen. Leadsom will dagegen aufs Tempo drücken. Bei der Suche nach einer neuen Führung haben zunächst die Tory-Abgeordneten das Sagen. Erst wenn das Kandidatenfeld auf zwei Bewerber reduziert ist, stimmen die rund 150 000 Parteimitglieder ab. Bis spätestens 9. September soll die Personalfrage gelöst sein.

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