Der wegen Rebellion angeklagte und von der spanischen Zentralregierung abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, ist nach übereinstimmenden Medienberichten vom Montag nach Belgien gereist. Die Medienberichte kommentierte der Chefkoordinator der Volkspartei (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, Fernando Martínez Maíllo, mit den Worten: „Ja, das ist anscheinend bestätigt.“ Die Flucht zeuge „von Verzweiflung“, sagte er am Montag vor Journalisten in Madrid. Mit Puigdemont sollen auch einige Minister ausgereist sein.
Am Wochenende hatte Belgiens Staatssekretär für Asyl und Migration, Theo Francken, für Empörung gesorgt, weil er sein Land als möglichen Zufluchtsort für die abgesetzten Politiker ins Spiel brachte. Katalanen, die sich politisch verfolgt fühlten, könnten in Belgien um Asyl ansuchen, sagte der Flame dem flämischen Sender VTM News. Der belgische Premierminister Charles Michel wies ihn laut Nachrichtenagentur Belga zurück: „Ich bitte Theo Francken, kein Öl ins Feuer zu gießen.“
Die spanische Staatsanwaltschaft erhob am Montag Anklage gegen Puigdemont und weitere Angehörige der abgesetzten Regionalregierung. Die Vorwürfe gegen die Angeklagten lauteten unter anderem auf Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder, sagte Generalstaatsanwalt José Manuel Maza am Montag in Madrid.
Die Angeklagten würden als Beschuldigte zu Anhörungen vorgeladen, sagte Maza. Man schließe aufgrund der Schwere der Verbrechen keine Maßnahmen - also Inhaftierung und anschließende U-Haft - aus, betonte er. Die Angeklagten hätten „eine institutionelle Krise verursacht, die mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung (durch das katalanische Parlament) geendet“ habe, sagte Maza.
Sollten Puigdemont und die übrigen Angeklagten wegen Auflehnung gegen die Staatsgewalt oder gar Rebellion verurteilt werden, drohen ihnen bis zu 30 Jahre Haft.
Die Regierung von Spaniens konservativem Premierminister Mariano Rajoy hatte die Regionalregierung am Samstag offiziell abgesetzt, nachdem am Freitag das Regionalparlament kurz vor Inkrafttreten der Madrider Zwangsmaßnahmen einen Unabhängigkeitsbeschluss verabschiedet hatte.
Am Montag sollte Madrid die Amtsgeschäfte in Katalonien übernehmen. Die Zwangsverwaltung der wirtschaftsstarken Autonomen Gemeinschaft im Nordosten des Landes soll mindestens bis zur Abhaltung der für den 21. Dezember einberufenen Neuwahlen laufen.
Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Etwa 1300 deutsche Firmen sind in Spanien aktiv, davon sind etwa 40 Prozent in Katalonien ansässig. Sie kommen besonders aus den großen Industriebranchen Chemie, Pharma und Auto. Zu den Unternehmen zählen unter anderem Allianz, BASF, Bayer, Bosch, Haribo, Siemens, Lidl und Volkswagen. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutschland ist neben dem benachbarten Frankreich der wichtigste Handelspartner Kataloniens. 18,3 Prozent der katalanischen Importe stammten 2015 aus Deutschland. Sie summierten sich auf fast 14 Milliarden Euro. Aus keinem anderen Land bezieht die Region mehr Waren. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge mit einem Anteil von 34,6 Prozent an den deutschen Lieferungen nach Katalonien, gefolgt von Maschinen und Anlagen mit rund zehn Prozent.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet rund 200 Milliarden Euro. Das entspricht etwas einem Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum fiel 2015 und 2016 mit etwa 3,4 Prozent etwas stärker aus als in Spanien insgesamt. Allein Barcelona zählt mehr als 1200 Startup-Unternehmen.
In einer TV-Rede hatte Puigdemont am Samstag durchblicken lassen, dass er seine Amtsenthebung nicht anerkennt. Der 54-Jährige rief die Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung zum friedlichen „demokratischen“ Widerstand auf und sagte, er wolle weiter für die Gründung eines „freien Landes“ arbeiten. Danach spazierte er in seiner Heimatstadt Girona mit seiner Ehefrau und wurde von Passanten bejubelt.
Neben Puigdemont waren auch die übrigen Mitglieder der Regierung in Barcelona ihrer Ämter enthoben worden. Insgesamt mussten 150 Regierungsmitarbeiter gehen. Auch die beiden Chefs der katalanischen Polizeieinheit Mossos d'Esquadra, Pere Soler und Josep Lluís Trapero, wurden abgesetzt. Der spanische Innenminister Juan Ignacio Zoido hatte am Sonntag an die nationalen und katalanischen Polizeieinheiten appelliert zu kooperieren, um einen reibungslosen Ablauf der Wahl im Dezember zu gewährleisten.