Die Karten werden neu gemischt. Nach dem Verzicht von Staatschef François Hollande auf eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit werden Frankreichs Sozialisten bei Vorwahlen im Januar nicht nur den Mann bestimmen, der für sie um das höchste Amt im Land kämpft, sondern auch über die Zukunft ihrer Partei entscheiden. Wird der sozialdemokratische Flügel die Richtung angeben oder eher die traditionelle Linke neuen Aufwind erhalten? Oder wird die Partei sogar die Spaltung vollziehen, die sich während der Amtszeit Hollandes mehrfach abzeichnete und nur aus Gründen des Machterhalts vermieden wurde?
Davon wird abhängen, ob die Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen im April und Mai überhaupt eine Rolle spielen - oder ob die Wähler zwischen dem Konservativen François Fillon und der rechtsextremen Politikerin Marine le Pen zu entscheiden haben.
Es wird ein paar Tage oder vielleicht sogar Wochen dauern, ehe sich der Staub, den Hollande mit seiner Entscheidung aufwirbelte, legt und einigermaßen klare Sicht herrscht. Immerhin ist Hollande der erste Nachkriegspräsident, der die Wähler um kein Votum für eine Mandatsverlängerung bittet. Das ist nach französischem Verständnis außerordentlich und bedeutet nach Ansicht mancher Kommentatoren nichts weniger als das Versagen des politischen Systems.
Nach Lage der Dinge werden den Machtkampf bei den Sozialisten der amtierende Premierminister Manuel Valls und der frühere Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg untereinander austragen. Spätestens seit dem Rauswurf Montebourgs aus dem Kabinett 2014 stehen die Namen der beiden Männer für zwei seither unversöhnlich erscheinende Strömungen. Valls ist der Law-and-Order-Typ, der wirtschaftsliberale Gesetze im Zweifelsfall per Notverordnung gegen den Widerstand weiter links stehender Parlamentarier durchdrückt. Montebourg ist der Reform- und Globalisierungskritiker, der mehr Staat fordert und Sparmaßnahmen für den falschen Weg hält, um Frankreich aus der Krise zu führen.
Beide gehören einer Partei an, die nach der Wahl 2012 alle Macht hatte, im Elysée-Präsidentenpalast, im Parlament, im Senat, in der Mehrheit der Regionen, Départements und den Rathäusern, um durchzuregieren. Nur viereinhalb Jahre ist das her und erscheint doch wie eine Ewigkeit. Seither die PS in allen Wahlen verloren. Mehr noch als die europäische Sozialdemokratie im Allgemeinen und speziell die deutsche SPD, die noch heute für die Agenda 2010 bezahlt, leiden die französischen Sozialisten unter ihrer Identitätssuche.
Die Abkehr von der Nachfrage-orientierten Politik hin zu einer Angebots-orientierten Politik war immer nur halbherzig, weil dem Parteifrieden untergeordnet und brachte deshalb nicht die dem Wahlvolk versprochenen Resultate. Das Wirtschaftswachstum ist mit rund einem Prozent schwach, die Arbeitslosigkeit mit etwa zehn Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland. Zudem bedrohen Fanatiker die Sicherheit. 68 Prozent der Wähler, die bei den Regionalwahlen vor fast genau einem Jahr den rechtsextremen Front National wählten, gaben an, aus Frust über die Reformen unter Hollande überzulaufen. Mit zuletzt nur noch vier Prozent Zustimmung ist Hollande der unbeliebteste Präsident der französischen Nachkriegsgeschichte.
„Die Ergebnisse kommen später als ich es mir vorgestellt habe, das gebe ich zu,“ sagte er am Donnerstagabend in seiner knapp zehnminütigen Fernsehansprache. Als Sozialist könne er nicht dem Auseinanderdriften der Linken oder sogar ihrer Implosion zusehen, „weil sie dann jede Hoffnung verlöre, gegen die Konservativen zu gewinnen,“ erklärte er seinen Verzicht.
Das ist Marine Le Pen
Marine Le Pen, Tochter des Politikers und FN-Gründers Jean-Marie Le Pen wurde am 5. August 1968 in Neuilly-sur-Seine geboren. Als Kind überlebte sie ein Attentat, das 1976 gegen das Wohnhaus der Familie verübt wurde. Die 46-Jährige war mit Geschäftsmann Franck Chauffroy verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach der Scheidung heiratete sie den FN-Funktionär Éric Lorio. Auch diese Ehe scheiterte. Marine Le Pen studierte in Paris Jura und erhielt 1992 die Anwaltszulassung. Bis 1998 war sie als Anwältin tätig. Besonders markant ist ihre dominante und und für eine Frau sehr tiefe Stimme.
Seit Marine Le Pen den Parteivorsitz inne hat, versucht sie frischen Wind in den „Front National“ zu bringen. So hat sie sich zum Ziel gesetzt, Anspielungen auf das Dritte Reich zu vermeiden, um das Bild einer rechtsextremen Partei loszuwerden. Dazu passt auch, dass sie sich stärker auf die Alltagsprobleme der Bürger fokussiert. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Preise sind nun die neuen zentralen Themen. Ihre Rezepte zur Überwindung der Krise: Heimische Investoren sollen von einer Abwanderung abgehalten werden, Franzosen sollen bei der Jobsuche bevorzugt werden und das Land aus dem Euro austreten. Feindbild ist die "wilde Globalisierung".
Von 1998 bis 2004 war Marine Le Pen Abgeordnete im Parlament der Region Nord-Pas-de-Calais. Über ihren Wahlkreis Île-de-France zog sie 2004 ins Europaparlament ein. Nach Stationen im Regionalparlament der Île-de-France wurde sie 2011 an die Parteispitze des Front National gewählt. Bei der Präsidentenwahl 2012 wurde sie nach Hollande und Sarkozy drittstärkste. Zeitweise sahen Umfrageergebnisse, die im Magazin „Le Nouvel Observateur“ erschienen sind, den Front National als stärkste französische Partei. Seit der Europawahl im Mai 2014 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Eine explizite Feindschaft zum Islam gehört zu den zentralen Positionen Le Pens und ihrer Partei. Eine entsprechende Äußerung in einer Wahlkampfrede im Dezember 2010 brachte Le Pen ins Visier der Staatsanwaltschaft. Sie verglich öffentliche Gebete von Muslimen mit der deutschen Nazi-Besatzung. "Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner", so Le Pen.
Dass es nun anders kommt, ist längst nicht ausgemacht. Dies auch, weil längst nicht alle Präsidentschaftsanwärter, die sich links positionieren, an den Vorwahlen der Sozialisten teilnehmen werden. Bereits vier Kandidaten haben in den vergangenen Tagen angekündigt, unabhängig davon anzutreten. Die beiden prominentesten sind der ehemalige liberale Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und der Kommunist Jean-Luc Mélenchon, der sich seit dem Tod des kubanischen Ex-Präsidenten Fidel Castro am vergangenen Wochenende als dessen legitimer Nachfolger geriert.
„Je nachdem, wer die Vorwahlen der Sozialisten gewinnt, wird einer der beiden versuchen, die Enttäuschten abzuschöpfen,“ ist der Politologe Olivier Rouquan überzeugt. „Wenn Montebourg gewinnt, kann sich Macron Hoffnungen machen. Siegt Valls, dann reibt sich Mélenchon die Hände.“
Ausreichend Stimmen, um es in die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt Anfang Mai zu schaffen, wird wohl keiner bekommen. Aber sie werden dem offiziellen Kandidaten der Sozialisten wertvolle Stimmen rauben. Das ist gefährlich, weil dann die einzige Alternative zum Kandidaten der Konservativen Marine le Pen heißt. Fillon verschreckt mit seinen Ankündigungen, 500.000 Beamtenstellen zu streichen, die Arbeitszeit und das Renteneintrittsalter zu erhöhen, Betriebe steuerlich zu entlasten und die staatliche Krankenversorgung zu begrenzen, zahlreiche ärmere und linksgerichtete Franzosen. Ihnen könnte das sozialistische Wirtschaftsprogramm le Pens näher liegen.