Knauß kontert

Das Licht kommt aus dem Westen

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Der Historiker Peter Frankopan hat ein Handbuch der europäischen Selbstverachtung geschrieben: „Licht aus dem Osten“. Was Europa ausmacht, die Idee der Freiheit, interessiert ihn jedoch so wenig wie sein Publikum.

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Europafrust, Europamüdigkeit? Stimmt, die hat den Kontinent erfasst. Aber ein Blick in die Ukraine zeigt, welche Kraft europäische Werte entfalten können.

Alle paar Jahre kommt ein junger, in der Regel englischsprachiger Historiker mit einem Großwerk auf den Buchmarkt, das die jüngere Vergangenheit in ganz neuem Licht erscheinen lässt. Vor einigen Jahren hießen diese neuen Sterne am Historiker-Himmel Goldhagen, Ferguson oder Clark. Jetzt heißt er Peter Frankopan und sein viel gelobtes und gekauftes Opus Magnum „Licht aus dem Osten“, will nicht weniger sein als „Eine neue Geschichte der Welt“.

Diesen Anspruch erfüllt das Buch nicht. Beachtenswert ist aber weniger das Buch, sondern dessen Erfolg als zeitgeistiges Phänomen. In der gebildeten Öffentlichkeit Europas wird Frankopan mit euphorischen Rezensionen von der britischen Times bis zur deutschen Zeit gefeiert.

Es ist, wie der unbescheidene Untertitel verspricht, ein Ritt durch die gesamte Geschichte der Region, die man als Naher bis Mittlerer Osten kennt, und zwar erzählt mit dem unverhohlenen Anspruch, eine Art historische Gerechtigkeit für all die Länder und Völker von Palästina und Anatolien bis zum Himalaya herbeizuschreiben, die für Frankopan das Zentrum der Welt waren und sind.

Frankopan macht dabei aus seiner Geringschätzung Europas und seiner historischen Wurzeln keinen Hehl. Das antike Griechenland als Geburtsort der Demokratie und Philosophie wird völlig ignoriert. Seitenlang schwärmt er von der Macht des alten Perserreichs, ohne deren Niederlage gegen die Griechen zu erwähnen. Während die griechische Polis und die römische Republik als Wurzeln der Demokratie völlig unerwähnt bleiben, liefert Frankopan reichlich Apologetik für das frühislamische Reich und dessen angebliche Toleranz.

Den Aufstieg Europas und seine ab dem Spätmittelalter unübersehbare militärische Überlegenheit erklärt er durch einen „speziellen Charakter“, „der im Vergleich zu dem anderer Teile der Welt besonders aggressiv und feindselig war“. Von einem speziell gewalttätigen Charakter der Hunnen, Mongolen, Araber oder anderer kriegerischer Eroberer-Völker aus dem Osten weiß Frankopan dagegen nichts.

Dass die Überlegenheit der Europäer, die sie schließlich zu Kolonialherren machte, auch etwas mit Technik und Wissenschaft und deren Voraussetzungen zu tun hat, kommt Frankopan nicht in den Sinn. In seinem Buch ist vor allem von Handel („Silk Roads“ – „Seidenstraßen“ heißt es im englischen Original) und Religionen die Rede.

Von Erfindungen (jenseits der Religion) und der Produktion neuer Güter dagegen nicht. Wie auch. Die Länder, die Frankopan zum alten und neuen Nabel der Welt erklärt, haben schließlich an der atemberaubenden Geschichte der Innovationen und Produktivitätssteigerung der vergangenen zwei Jahrhunderte ausschließlich als passive Nachzügler teil.

Die Idee der Freiheit?

Und natürlich ist erst Recht nicht von den entscheidenden geistigen Voraussetzungen dieser ökonomischen Entwicklung der Neuzeit die Rede, die in jenem europäischen Landzipfel stattfand und immer noch stattfindet, der für Frankopan so weltgeschichtlich nebensächlich ist. Die Idee der Freiheit, der einzigartige Schatz des Westens, den die griechischen Philosophen anlegten, ist ihm keine Erwähnung wert. Weder die religiöse, noch die politische, noch die Freiheit des Denkens, die die Voraussetzung von Wissenschaft (und damit von Technik und damit von ökonomischer Entwicklung) ist. Wie überhaupt die Geistesgeschichte allenfalls als Anhängsel von Handelsbeziehungen Erwähnung findet.

Geradezu obszön ist das Schlusskapitel. Frankopan feiert hier unkritisch den despotischen Luxus der heutigen zentralasiatischen Kleptokraten-Herrscher von Aserbaidschan oder Turkmenistan. Dass in Aschgabad für Hunderte Millionen Euro ein neuer Palast für den despotisch regierenden Präsidenten und in Baku Luxus-Hotels von Hilton, Radisson und Ramada gebaut werden, sind ihm Indizien dafür, dass diese Länder „vor unseren Augen wiederaufleben“.

Zum Buch

Frankopans Buch und dessen Erfolg in Nordamerika und Europa ist vor allem eins: Beleg dafür, dass dem Westen nicht nur der Glauben an seine machtpolitische Überlegenheit verloren gegangen ist (obwohl die doch gerade im Vergleich mit Frankopans Lieblingsländern immer noch allzu offensichtlich ist). Verloren gegangen ist dem westlichen Bildungsbürgertum ganz offensichtlich auch das Bewusstsein für die kostbare Einzigartigkeit der westlich-europäischen Kultur, in der seit den alten Griechen die Idee der Freiheit immer wieder leitend war.

Warum ist dieses Hohelied auf den Mittleren Osten nicht vor Ort in Bagdad oder Kabul geschrieben worden, sondern von einem Westler, einem Engländer an der Universität Oxford?

Weil es in der Weltregion, die Frankopan als Herzstück der Welt ausmacht, zwar eine Jahrtausende alte Geschichte großer Kulturen und Reiche gibt, aber bis heute keine Kultur der freien Wissenschaft – auch keine Kultur der Erforschung der eigenen reichen Geschichte. Noch immer sind die besten Orientalisten, Indogermanisten und vorderasiatischen Archäologen an europäischen und nordamerikanischen Universitäten zu finden.

Nein, das Licht kommt eben nicht aus dem Osten. Mag sein, dass die religiöse „Erleuchtung“ von dort kam (und noch kommt).

Aber seit mindestens 500 Jahren kommt das Licht der Freiheit und der Erkenntnis aus dem Westen. In jenem zerklüfteten geographischen Fortsatz des riesigen asiatischen Kontinents, der Europa heißt, wurde eine Idee geboren und gepflegt, die es in den Weiten des Orients, in den einst so prächtigen Städten am Euphrat, in Persien oder am Hindukusch bis heute unendlich schwer hat, nämlich die der Freiheit.

Dass das einem Star des aktuellen geschichtswissenschaftlichen Betriebes und seinen zahlreichen Claqueuren keine Erwähnung wert ist, spricht dafür, dass Europa nicht nur politisch in einer schweren Krise ist.

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