Herr Schuster, mehr Polizei ist für viele nun die Lehre aus der Silvesternacht. Stimmen Sie zu?
Die Landes- und Bundespolizei sind über Jahre personell nicht gewachsen, obwohl deutlich mehr Aufgaben dazu gekommen sind. Für die Bundespolizei haben wir schon letztes Jahr die Trendwende hinbekommen und im Haushalt 2016 Gelder für deutlich über 4.000 neue Stellen bereitgestellt. Wir müssen auch in Zukunft mehr in Sicherheit investieren, vor allem aber sind da jetzt die Länder gefragt. Trotzdem ist das für mich nicht die entscheidende Antwort auf die Ereignisse in Köln, Hamburg und andernorts.
Weshalb?
In Köln hatte die Bundespolizei 70 Einsatzkräfte allein im Bahnhof, darunter eine Sondereinheit zur Beweissicherung und Festnahme. Diese Personalstärke ist beachtlich. Die Bundespolizei hatte die Lage offenbar ernster beurteilt als die Landespolizei, die nur etwa das Doppelte für die gesamte Kölner Innenstadt zur Verfügung hatte, also auch den Bahnhofsvorplatz.
Zur Person
Armin Schuster (CDU) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Knapp 30 Jahre lang gehörte er der Bundespolizei in unterschiedlichen Positionen an - unter anderem im Bundesinnenministerium, Dienststellen- und Behördenleiter und an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.
Die Polizei war also nicht zu schwach besetzt?
Die Kölner Polizei war zu schwach, um die Lage in den Griff zu kriegen, das schon. Sie hatte es aber mit 1.000 bis 1.500 stark alkoholisierten und völlig enthemmten Männern zu tun. So etwas gab es noch nie zuvor in Deutschland. Insofern ja: wir brauchen mehr Polizei, um eine solche Situation künftig besser verhindern zu können. Wir brauchen aber auch eine realistischere Beurteilung der Frage, wieviel Zuwanderer unser Land gut integrieren kann.
Weiterhin kommen jeden Tag 2.500 bis 4.000 Menschen nach Deutschland.
Ja, deshalb sollten wir uns endlich zu einer konsequenten Grenzsicherung durch die Bundespolizei durchringen und nur noch Menschen einreisen lassen, die aufgrund besonderer humanitärer Gründe nicht zurückgewiesen werden können.
Hintergründe zu den Übergriffen in Köln
Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten - laut Polizei übereinstimmend - von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So hat es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Pressekonferenz am Montag formuliert. Demnach soll eine Gruppe von 1000 Männern auf dem Domplatz gewesen sein, die meisten von ihnen zwischen 15 und 35. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gibt es bis Dienstagmittag. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.
Von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen erfuhr die Polizei Wurm zufolge größtenteils im Laufe der Silvesternacht durch die wachsende Zahl von Anzeigen. Die Taten selbst hätten die anwesenden Polizeibeamten nicht beobachtet, weil diese sich in einer riesigen und unübersichtlichen Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.
Die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 140 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Wie sich der Einsatz dann tatsächlich entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“
Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert auf Twitter: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Dabei bezieht er sich auf die Einsatzbilanz am Neujahrsmorgen, in der von „ausgelassener Stimmung“, „weitgehend friedlichen Feiern“ und einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede war.
Polizeipräsident Albers räumte bei der Pressekonferenz am Dienstag Fehler ein: „Diese erste Auskunft war falsch.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“ Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fragt in der Zeitschrift „Emma“: „Wie ist es erklärbar, dass Hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?“
Augenzeugen und Opfer berichten in mehreren Medien von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die mit ihrer Freundin in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll).
„Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“(Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf gewesen sein soll)
Vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval kündigt die Polizei an, die Einsatzkräfte bei Großveranstaltungen weiter aufzustocken, auch mit Zivilbeamten. Polizeipräsident Albers zufolge soll auch geprüft werden, ob bestimmte Bereiche stärker mit Videokameras überwacht werden. Über weitere Maßnahmen wollen Polizei und Stadt gemeinsam nachdenken.
Schon jetzt werden Grenzkontrollen in Bayern durchgeführt. Überfordert ihr Vorschlag die Bundespolizei nicht erst recht?
Kurzfristig hat die Bundespolizei dann mehr Arbeit und benötigt sicher Unterstützung der Länder, keine Frage. Konsequentes rechtsstaatliches Handeln an der Grenze würde den Zustrom nach Deutschland aber in der Folge schnell und deutlich reduzieren. Für Bundes- wie Landespolizeien würde sich die Lage insgesamt entspannen.
Wenn Deutschland seine Grenze in dieser Form sichert, stauen sich die Flüchtlinge in Österreich, auf dem Balkan und andernorts. Die Länder würden in kürzester Zeit destabilisiert werden.
Die Schengen-Länder und die Balkan-Staaten müssten sich in einer abgestimmten Aktion dafür entscheiden, dass jeder seine Grenzen sichert. Es klingt vielleicht paradox. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir die offenen Grenzen in Europa retten können. Wir müssen sie dafür kurzfristig konsequent sichern, um dann zum echten Schengen-Standard zurückzukehren.
Warum sich Deutschland zum Buhmann machen soll
Wenn die Schengen-Länder das machen, müssen Griechenland und Italien tagtäglich mit tausenden Ankommenden zurechtkommen. Das ist doch auch keine Lösung.
Doch, wir hätten das Problem damit lokal stabilisiert. Wir – die Europäer – müssten dann dort sofort helfen. Wir brauchen eine neue europäische Grenzpolizei, in die die bisherige Frontex-Agentur aufgeht. Diese Grenzpolizei muss massiv mit Personal aus den Mitgliedsstaaten unterfüttert werden, was uns weitere Millionen kosten wird. Sie muss in Griechenland und Italien sofort ihre Arbeit aufnehmen und bei der Sicherung der Außengrenzen und beim Betreiben der Hotspots unterstützen. Das ist schnell möglich, so dass wir dann Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel auf die europäischen Länder verteilen könnten. Das hätte den großen Vorteil, dass die Menschen nicht den ganzen Weg durch Europa laufen müssen.
In Ihrem Szenario macht sich Deutschland zum Buhmann.
Das sind wir schon längst. Wir üben einen enormen moralischen Druck auf unsere Nachbarn aus, damit die endlich helfen. Das schmeckt vielen überhaupt nicht.
Was ist mit den Flüchtlingen, die im Augenblick der strikten Grenzkontrollen gerade Europa durchqueren?
Jedes Land behält die, die gerade bei ihnen unterwegs sind. Das sind wenige Tausend pro Land, maximal. Das verkraften diese Länder. Die wirkliche Überforderung tritt dann innerhalb von rund einer Woche in Griechenland und Italien ein.
Warum sind Sie so optimistisch, dass Europa dann hilft? Italien hatte schon vor Jahren um Hilfe gerufen. Damals kamen noch keine Flüchtlinge nach Deutschland und wir haben Italien und Griechenland links liegen gelassen.
Wir haben in der Zwischenzeit alle dazugelernt und verstanden, dass die Menschen, die heute in Italien sind, übermorgen bei uns sein können. Wir Deutsche haben gezeigt, dass wir eine gigantische Infrastruktur für eine Million Flüchtlinge binnen weniger Monate aufziehen können. Das ist alles nicht perfekt, die Bundesländer und Kommunen sind an der Grenze und manche sogar darüber. Aber es funktioniert einigermaßen. Das können wir gemeinsam mit den Franzosen, Spaniern und anderen zusammen auch in Italien und Griechenland hinkriegen. Wenn dann noch die außenpolitische Strategie der Bundeskanzlerin greift – Stichwort Türkei – kriegen wir die Lage Stück für Stück wieder unter Kontrolle. Eines ist für mich klar, eine neue europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage erreichen wir schneller, wenn Griechenland oder Italien darum bittet.
In ihrer Partei stehen Sie mit dem Vorschlag ziemlich alleine da.
So alleine bin ich nicht. Die Silvesternacht hat vielen die Augen geöffnet. Alle haben sich vor grässlichen Bildern gesorgt, wenn wir die Grenzen sichern. Jetzt ist es mitten in Deutschland zu grässlichen Bildern gekommen. Das Umdenken hat längst begonnen.