Erst neulich kam wieder so ein Anruf ins Athener Büro von Leandros Rakintzis. „Ich habe 3000 Euro zugesteckt bekommen“, erzählte der Beamte der staatlichen Versicherungen an der anderen Leitung und wollte von Leandros Rakintzis wissen, ob er das Geld behalten dürfe. „Selbstverständlich nicht, Sie geben das sofort zurück.“ Doch den bestochenen Beamten befriedigte das nicht: „Die anderen Beamten nehmen das Geld doch auch, dann bin ich ja der Dumme, wenn ich es nicht nehme.“ Da platzte Rakintzis der Kragen: „Hören Sie, Sie verschwenden meine Zeit, ich kämpfe nicht gegen Dummheit, sondern gegen Korruption.“
Zur Person
Leandros Rakintzis,77, arbeitete 38 Jahre als Richter, zuletzt als Verfassungsrichter am Obersten Gerichtshof. Seit 2004 ist er Generalinspektor für die öffentliche Verwaltung und damit gewissermaßen der oberste Korruptionsbekämpfer von Hellas.
Griechenland rangiert im Korruptionsindex von Tranparency International noch hinter Mazedonien auf einem der letzten Plätze. Nur in Italien ist innerhalb der Währungsunion das Vertrauen der Bürger in das ordnungsgemäße Funktionieren seiner Institutionen ähnlich erschüttert wie in Griechenland. „Fakelaki“ nennt der Volksmund die „Beschleunigungsgelder“, zu Deutsch: „kleine Umschläge“.
Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands
"Letztendlich entscheidet das Referendum am Sonntag darüber, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt. Wenn sich die Griechen dafür aussprechen, kann die Staatengemeinschaft ein solch demokratisches Votum nicht übergehen. Dann werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Bei einem negativen Votum kommt es dagegen zum Grexit. (...) Bis dahin tobt ein Nervenkrieg. Die Kapitalverkehrskontrollen reichen zunächst erst einmal aus, um das Schlimmste zu verhindern. Aber die Kontrollen behindern die Wirtschaft, ebenso wie die von der Syriza geschaffene Unsicherheit. Das ist wirtschaftlich ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin."
„Natürlich wird der Dax zunächst leiden, aber fundamental ist die Wirtschaft in Takt (...) Der Rückschlag wird nicht von Dauer sein."
"Für Griechenland wird es jetzt ganz schwierig. Europa versucht, den Schaden für andere Euro-Länder zu begrenzen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen. Die EZB hat bereits erklärt, dass sie die Lage an den Finanzmärkten genau verfolgt und notfalls eingreifen wird. Bei größeren Turbulenzen, die der Konjunktur gefährlich werden könnten, könnte die EZB ihre Anleihekäufe zeitlich nach vorne ziehen oder aufstocken. Sie könnte auch Anleihen bestimmter Länder wie Spanien und Italien früher kaufen. Sie könnte noch deutlicher darauf verweisen, dass es das ultimative Sicherheitsprogramm - das sogenannte OMT-Programm - auch noch gibt."
"Mit einer solchen Wendung haben nur wenige gerechnet. Kapitalverkehrskontrollen, vor allem aber die hohe Unsicherheit der kommenden Wochen und Monate dürften die letzte Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung in Griechenland zunichte machen. Ein Staatsbankrott Griechenlands bedeutet nicht automatisch Grexit. Im besten Fall könnten die Entwicklungen dieser Tage nun dazu führen, dass Europa einen Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt - ganz so, wie die erste Griechenlandkrise vor fünf Jahren zu einem Rettungsmechanismus für Staaten führte. Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren. Die Polarisierung zwischen etabliertem Lager und Populisten dürfte in den kommenden Monaten weiter steigen."
"Weder der Grexit noch die Staatspleite sind zwingend. Es hängt sehr davon ab, wie das Referendum ausgeht. Wenn es zu einer Ablehnung kommt, wäre Griechenland auf schiefer Ebene unterwegs in Richtung Euro-Abschied. Die EZB hat die Kapitalverkehrskontrollen praktisch erzwungen, indem sie die Notfallkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht hat. Wenn die EZB sie wieder aufstockt nach einem positiven Votum der Griechen, dann wären sie in diesem Umfang nicht mehr notwendig. Die Folgen für die Wirtschaft sind sehr negativ. Durch die Kapitalverkehrskontrollen werden die Geschäfte von Unternehmen und deren Abwicklung über die Banken behindert. Das dürfte die Konjunktur weiter beschädigen.
Die direkten Folgen für die Wirtschaft in der Euro-Zone und Deutschland dürften begrenzt sein - Griechenland ist zu klein, die Handelsverflechtungen zu gering. Man muss aber abwarten, wie stark die Marktturbulenzen sein werden. Denn die könnten auf die Realwirtschaft durchschlagen."
Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die Eindämmung von Korruption und Vetternwirtschaft zur Chefsache erklärt. Alles gut also. Oder?
Leandros Rakintzis, 77 Jahre, rundes Gesicht und insgesamt fast so breit wie hoch, kämpft seit Jahren gegen den Filz. Seit 2004 ist er Generalinspektor für die öffentliche Verwaltung und damit gewissermaßen der oberste Korruptionsbekämpfer von Hellas. Weit mehr als 1000 Eingängen und Hinweisen geht die Behörde jedes Jahr nach. Alleine im vergangenen Jahr untersuchte sie 1565 Fälle möglicher Korruption in der Verwaltung. Dazu stehen dem ehemaligem Verfassungsrichter Rakintzis insgesamt 300 Inspektoren zur Verfügung, die er für weitere Investigationen vor Ort schicken kann.
In Griechenlands Öffentlichkeit genießt Rakintzis enormes Prestige. Im Ansehen der Mächtigen steht er nicht ganz so hoch. Immer wieder versuchen Minister und Staatsanwälte, ihn auszubremsen. Kann der Retter im Rentneralter überhaupt etwas gegen die zementierten Strukturen der Korruption ausrichten? Gerade in diesen Wochen, wo mal wieder Griechenlands Verlässlichkeit in Sachen Reformzusagen zur Debatte steht, eine nicht ganz unwichtige Frage.
Rakintzis stützt die Ellbogen auf den massiven Schreibtisch seines Athener Büros und legt das Gesicht auf die Handflächen. Seine Augen blicken aus den zusammengekniffenen Lidern. „Offiziell sind alle gegen Korruption“, murmelt er, „aber die wenigsten ergreifen Maßnahmen.“ Mitarbeiter von Rakintzis wittern in der Schaffung des Antikorruptionsministers eine heimliche Entmachtung ihrer Behörde. Rakintzis selbst gibt sich diplomatisch: „Wenn die Regierung mich in Ruhe arbeiten lässt, bin ich zufrieden.“