Krieg in der Ukraine Der Frieden von Minsk ist Makulatur

Vor genau einem Jahr vereinbarten die Kriegsparteien in der Ost-Ukraine im "Minsk-II-Abkommen" Waffenstillstand und einen Friedensplan für die Ukraine. Heute zeigt sich: es hält sich niemand daran.

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Exakt ein Jahr nach dem

Wer mit kerngesundem Optimismus gesegnet ist, sieht sie: die Signale auf ein baldiges Ende des Krieges in der Ost-Ukraine. Kremlchef Wladimir Putin schickt seinen KGB-Kumpel Boris Gryslow in die Kontaktgruppe zur Konfliktlösung – einen Vertrauten, der Vollmachten zum Verhandeln mitbringt und selten Däumchen dreht.

Zudem verzichten Putins Staatsmedien neuerdings darauf, die von pro-russischen Separatisten besetzten ukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk als „Neurussland“ oder „Volksrepubliken“ zu bezeichnen. Plötzlich ist von „ukrainischen Autonomiegebieten“ die Rede, von denen man sich distanziert. Der feuchte Traum von „Großrussland“ muss irgendwann über Nacht geplatzt sein.

Doch Vorsicht: Im Kreml mag man längst erkannt haben, dass die Eroberung der Ost-Ukraine nach dem Vorbild der Krim gescheitert ist – aber der Krieg rund um Donezk und Lugansk geht dennoch weiter.

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Noch immer meldet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beinahe täglich Schusswechsel zwischen der ukrainischen Armee und Separatistengruppen, die sich vor allem aus lokalen Kleinkriminellen rekrutierten und Verstärkung von russischen Freiwilligen und regulären Soldaten samt Waffen erhalten.

Exakt ein Jahr nach dem „Waffenstillstand“ des Minsk-II-Abkommens lässt sich festhalten: Minsk ist Makulatur. Keiner der 13 Punkte für den Frieden, die Ukrainer und Separatisten in der Nacht zum 12. Februar unter den Blicken der Staatschefs Deutschlands, Frankreichs und Russlands unterzeichnet haben, ist umgesetzt: Russland rüstet die Aufständischen weiter mit schweren Waffen aus; den verabredeten Abzug kann die OSZE auch mangels Zutritt nicht bestätigen.

Die Ukraine ist weit davon entfernt, die Grenze zu kontrollieren, auch Wahlen sind in den Gebieten momentan undenkbar. Umgekehrt verhindert das Parlament in Kiew die Autonomierechte für die ost-ukrainischen Gebiete, selbst ein Gesetz über lokale Selbstverwaltung schaffte es wiederholt nicht durch die Instanzen.

Und vor allem: Fast jeden Tag sterben Menschen in diesem Krieg – einem Krieg, den viele in Europa gern vergessen, indem sie sich einreden, dass „Minsk-II“ ja irgendwie doch hält. Das ist Selbstbetrug.

Einen Rettungsversuch wird es diesen Samstag in München geben: Am Rande der dortigen Sicherheitskonferenz ist ein Treffen im so genannten „Normandie-Format“ geplant; die Vertreter von deutscher und französischer Seite werden mit den Vertretern aus der Ukraine und Russland verhandeln – letzteres vertritt Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew in Vertretung von Putin.

Europas Niederlage wäre Wladimir Putins größter Erfolg

Wenig spricht dafür, dass sie dem „Minsk-Prozess“ in München wieder Leben einhauchen werden. Selbst wenn die Herrschaften es wollten: Die faktischen Kriegsparteien, Kiew und Moskau, könnten der Dynamiken kaum Herr werden.

Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko fehlt im Parlament die Mehrheit, um die Autonomie per Gesetz durchzusetzen; zudem drohen Nationalisten im Falle von Konzessionen an die Radikalen mit Gewalt.

Und die Russen, so wirkt es, werden die (separatistischen) Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Für die Warlords in den besetzten Gebieten sind Schmuggel, Geldtransfers und Waffenhandel zu einträglich, als dass sie so einfach die Waffen niederlegen würden.

Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland

Die Situation ist völlig festgefahren. Falls Minsk-II irgendwann erfüllt werden sollte, bedarf es eines robusten Mandats für UN oder OSZE zur Überwachung von Waffenstillstand, Wahlen, sowie der Entwaffnung. Dem würde, Stand jetzt, Russland nicht zustimmen.

Für den Kreml ist die Situation im „Donbass“ überdies sehr komfortabel: Die Intensität des Krieges hat abgenommen, das senkt Kosten und Reputationsschäden. Finanzielle Hilfen an die Separatistengebiete belaufen sich auf ein bis zwei Milliarden Euro, das ist überschaubar.

Klar, die Sanktionen des Westens dürften ohne Erfüllung des Minsk-II-Abkommens intakt bleiben, doch darauf hat sich die russische Binnenwirtschaft eingestellt. Wohl spekulieren die Russen darauf, die Europäer zu einem schrittweisen Lockern der Sanktionen gegen ein scheibchenweises Umsetzen von Minsk zu überreden.

Kurzum: Bei der Lösung der Ost-Ukraine kann Moskau auf Zeit spielen. Weiter westlich läuft dagegen die Zeit davon: Solange der Krieg im Osten nicht befriedet ist, bleibt die Ukraine ein schwieriges Pflaster für die so dringend benötigten Investitionen, sogar Handelsbeziehungen halten viele Unternehmen wegen der politischen Instabilität auf Sparflamme.

Hinzu kommt, dass die Ukrainer ob des schleppenden Kampfs gegen Korruption zunehmend ihre Geduld mit der pro-europäischen Regierung verlieren; gesellschaftliche Spannungen könnten sich alsbald in einer neuen „Revolution“ entladen. Europa kann in Anbetracht vieler eigener Probleme weder neue Krawalle noch eine Ukraine, die finanziell am eigenen Tropf hängt.

Zudem gilt für viele EU-Politiker weiterhin, dass man die Ukrainer in ihrer Europa-Orientierung nicht enttäuschen darf. Moskau spekuliert genau darauf: dass die Ukraine wirtschaftlich und politisch scheitert, angeblich weil sie sich weg von Russland hin zu Europa orientiert. Europas Niederlage wäre für Putins Großmachtpolitik der größte denkbare Erfolg.

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