Krisenherd in der Euro-Zone Kann Frankreich das neue Griechenland werden?

Frankreichs Wirtschaft schmiert weiter ab, bekommt aber trotz zunehmender politischer Risiken Unterstützung der Bundesrepublik. Das könnte Deutschland wirtschaftlich schaden.

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Die Flaggen Deutschlands, Frankreichs und Europas wehen vor dem Reichstag in Berlin. Quelle: dpa

Was für ein Kontrastprogramm! Mit dem Versprechen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Frankreich zu stoppen, gewann Francois Holland im Mai 2012 die Wahl zum französischen Staatspräsidenten. Im März 2014 waren 3,51 Millionen Einwohner arbeitslos gemeldet, so viele wie nie zuvor.  Die politisch Verantwortlichen scheint das nicht zu beunruhigen, während die Wahlbürger resigniert haben. In einer Umfrage der Tageszeitung „Les Échos“ gehen 75 Prozent der Befragten nicht davon aus, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bis 2017 verbessern wird. 2017 steht die nächste Präsidentschaftswahl auf der Agenda.

Frankreich

Frankreich entwickelt sich scheinbar unaufhaltsam zum nächsten großen Krisenherd in der Eurozone. Der Sentix-Konjunkturindex für Frankreich, eine monatliche Umfrage des Frankfurter Analysehauses Sentix unter mehr als 5.000 privaten und institutionellen Anlegern, ging im April weiter zurück auf 48 Punkte. Das war der zweitschlechteste Wert in der Eurozone, nur Griechenland kam mit 46,5 Punkten noch schlechter weg. Nach dem Einbruch bei den Neuaufträgen verzeichnete die französische Wirtschaft den stärksten Produktionsrückgang seit vier Monaten. Weder der schwache Euro noch der tiefere Ölpreis konnten die französische Wirtschaft stützen. Auch die ultraexpansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verfängt offenbar nicht.

Der Versuch der EZB, ökonomische Probleme mit negativen Zinsen und Staatsanleihekäufen zu lösen, wird sich am Ende ohnehin als Hirngespinst erweisen. In Frankreich beschleunigen negative Zinsen gar eine unsinnige Industriepolitik und verstärken den Staatseinfluss auf die Wirtschaft. Beispiel Renault: Beim zweitgrößten französischen Autobauer hat die Regierung ihren Anteil jetzt von 15 auf 19,7 Prozent aufgestockt und eine neue Stimmrechtsregelung durchgesetzt. Das passierte gegen den Willen des Vorstandes, der offenbar befürchtet, dass dadurch das Gleichgewicht in der erfolgreichen Allianz zwischen Renault und dem japanischen Autohersteller Nissan gefährdet werde. Renault kontrolliert 43,4 Prozent des Aktienkapitals am weltweit viertgrößten Autohersteller, der rund 80 Prozent zum Nettoertrag der Renault-Gruppe beisteuert. Ohne Nissan wäre Renault vermutlich ähnlich tief in die Krise geraten wie die zeitweilig vom Bankrott bedrohte PSA-Gruppe mit den Marken Peugeot und Citroën.

Was deutsche Unternehmen an Frankreich nervt
Die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer und EY haben 181 deutschen Unternehmen in Frankreich nach ihrer Zufriedenheit befragt. Das Ergebnis ist gar nicht rosig: 2014 beurteilen 73 Prozent der befragten Unternehmen die wirtschaftliche Situation auf dem französischen Markt als schlecht, neun Prozent sogar als sehr schlecht. Vor zwei Jahren sahen 57 und sechs Prozent die Aussichten ähnlich finster. Für das kommende Jahr rechnen 33 Prozent der Befragten mit einer weiterhin schlechten Wirtschaftslage. Heißt: Die Mehrheit sieht ein Licht am Ende des Tunnels. "Zwei Drittel der befragten Unternehmen bekräftigen, dass ihre Muttergesellschaft wieder in Frankreich investieren würde", sagt Nicola Lohrey, Executive Director bei der Rechtsanwaltsgesellschaft EY. Quelle: dpa
58 Prozent der befragten Unternehmen stören sich daran, dass der Arbeitsmarkt nicht flexibel genug ist (2012: 50 Prozent). Quelle: dpa
Auf die Frage, welche Faktoren am meisten Einfluss auf ihre Geschäftslage ausüben, nannten 43 Prozent die Lohnkosten und 35 Prozent Steuern und Abgaben. Letztere halten 56 Prozent der befragten Unternehmen für zu hoch. 2012 waren es noch 60 Prozent. Quelle: dpa
Auch das Arbeitsrecht wird als zu rigide empfunden. 47 Prozent halten die arbeitsrechtlichen Normen für zu kompliziert (2012: 50 Prozent). Die Unternehmen würden sich folglich mehr Flexibilität in diesem Bereich wünschen. Dasselbe gilt für die Komplexität und andauernde Zunahme gesetzlicher Reglementierungen. Quelle: dpa
Die Steuern auf das Arbeitseinkommen in Frankreich halten 37 Prozent der befragten Unternehmer für zu hoch. Quelle: dapd
23 Prozent empfinden die französischen Steuerregelungen allgemein als zu kompliziert. Im Jahr 2012 sagten das noch 35 Prozent. Quelle: dpa
Im Bereich der Politik wünschen sich die befragten deutschen Unternehmer Strukturreformen, die zwar häufig angekündigt, aber nicht immer umgesetzt werden. Sie wünschen sich langfristige Berechenbarkeit und eine klare Linie, an der sie sich orientieren können. "Die Unternehmen brauchen eine Vision auf lange Sicht, die ihnen die französische Politik derzeit nur unzureichend vermittelt", sagt Damien Schirrer, Geschäftsführer von Orbis, der in der Studie zitiert wird. Quelle: AP

Entgegen den Konjunkturhoffnungen der - notorisch optimistischen - EU-Kommission könnte die Staatsschuldenquote Frankreichs noch in diesem Jahr die Marke von 100 Prozent überschreiten. In ihrer Frühjahrsprognose rechnet die Kommission für 2015 mit einer Zunahme der realen Wirtschaftsleistung in der Eurozone um 1,5 Prozent. Nicht berücksichtigt waren in der Prognose aber der jüngste Anstieg des Ölpreises und die dramatischen Verwerfungen an den europäischen Anleihemärkten in den letzten Tagen.

Zwei Drittel der französischen Staatsschuldpapiere halten ausländische Investoren. Mit Blick auf eine in weiten Teilen inkompetente politische Klasse und die anhaltende Wirtschaftskrise dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Gläubiger die Vertrauensfrage stellen. Dann geriete aber zwangsläufig das deutsche Steueraufkommen als potenzielle Haftungsmasse in den Fokus, wie im Fall von Griechenland. Für den Fall eines Austritts der Hellenen aus der Eurozone hat die Ratingagentur Moody‘s eine Herabstufung der deutschen Bonität in Aussicht gestellt.

Berlin geht lieber in Deckung

Sollte für Frankreich ein ähnliches Hilfsprogramm aufgelegt werden wie für Griechenland, wäre mit einer Flucht aus deutschen Staatsanleihen zu rechnen. Der steile Anstieg der Bundrenditen seit Mitte April wäre dagegen ein Spaziergang. Doch, wie schon zuvor im Fall Griechenland, duckt sich Berlin lieber weg vor herannahenden Problemen. Für Paris ist das eine Einladung, sich auch in Zukunft nicht an getroffene Vereinbarungen wie den Stabilitätspakt zu halten. Als zusätzliche Belohnung winken gar noch Kooperationen im Rüstungsbereich.

Nachdem Deutschland bereits Kompetenzen in der Luftfahrttechnik weit unter Wert an Airbus (vormals EADS) und damit an Frankreich abgetreten hat, droht nun ein ähnlicher Aderlass in der Satellitentechnologie und im Panzerbau. Die Bundesregierung will Frankreich einen Scheck über 210 Millionen Euro ausstellen für die Entwicklung eines Spähsatelliten. Der Satellit hätte auch in Deutschland entwickelt werden können. Schlimmer noch als der wirtschaftliche Schaden: Deutschland verliert Kompetenzen in der Militäraufklärung und wird wohl bald abhängig sein von französischen Satellitenaufnahmen.

Eine unerträgliche Vorstellung: In Krisenfällen wäre der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Etwa mit Blick auf Afrika, wo Frankreich wieder energisch seine alten hegemonialen Interessen verfolgt. Die 6.000 Soldaten starke deutsch-französische Brigade steht schon bereit. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht darin offenbar die Keimzelle einer europäischen Armee, um Russland Paroli bieten zu können. Nach dem von Juncker-Vorgänger José Manuel Barroso eingefädelten EU-Assoziationsabkommen mit der Ukraine wäre das erneut ein Schlag in dieselbe unselige Kerbe. Auf Unterstützung aus Paris kann sich Juncker gewiss verlassen.

Nach der europäischen Armee käme dann nämlich ein EU-Verteidigungshaushalt. Ähnlich wie beim EU-Agrarhaushalt würde Frankreich mit seinen hohen Militärausgaben und seiner Rüstungsindustrie am meisten davon profitieren. Die gemeinsamen Verteidigungsausgaben finanzierten sich aus einem EU-Haushalt, der nach Berechnungen von Franz-Ulrich Willeke, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg, zwischen 1976 bis 2008 kaufkraftbereinigt zu mehr als der Hälfte durch deutschen Nettobeiträge gespeist wurde. Die EU als ewige Umverteilungsmaschine. Im Idealfall - aus Sicht von Paris - könnten die französischen Beschaffungsprogramme dann vollständig über die Europäische Verteidigungsagentur abgewickelt werden. Et voilá.

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