Länderanalyse Armes Italien

Die Südeuropäer haben Unternehmen mit Weltruf. Doch korrupte Behörden und unfähige Politiker treiben das Land an den Abgrund. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte beim Staatsbesuch in Rom auf Mario Monti einzuwirken. Doch der italienische Premierminister verliert zunehmend den Überblick.

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"Das ist ein erneuter Dammbruch"
Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler lehnt die direkte Kreditvergaben der Euro-Rettungsfonds an notleidende Banken, wie sie der EU-Gipfel gerade beschlossen hat, ab. „Das ist ein erneuter Dammbruch", sagte der Euro-Skeptiker Schäffler am Freitag. „Jetzt boxen wir auch (nach einigen deutschen Instituten) andere europäische Banken mit Steuerzahlergeld heraus", bemängelte er. „Die bisherigen Regeln lassen das eigentlich nicht zu", ergänzte er. „Es geht also alles immer stärker in diese Transferunion hinein.“Auch die Schaffung einer europäischen Bankenaufsicht trifft auf Skepsis bei Schäffler. „Ich sehe das insofern kritisch, als das nicht schnell realisierbar ist", sagte er. Ein solches Vorhaben brauche Zeit, aber die Krise gebe es aktuell. „Jetzt eine neue Bankenaufsicht zu schaffen in so einer schwierigen Phase, das halte ich für sehr schwierig und das schafft vielleicht weitere Verunsicherung". Dass die EZB bei dieser europäischen Bankenaufsicht eine bestimmende Rolle spielen solle, sehe er allerdings nicht so kritisch. Quelle: dpa
Schäffler bemängelte, insbesondere mit Blick auf die am Freitag anstehenden Entscheidungen des Bundestages und des Bundesrates zum neuen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und zum europäischen Fiskalpakt: „Es ist wie bei manchen vorigen Entscheidungen: die Tinte ist noch nicht ganz trocken, da werden schon die nächsten Schritte angekündigt." Mit den jüngsten Entscheidungen in Brüssel werde erneut klar, alles gehe in Richtung Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. „Das ist so", unterstrich der FDP-Bundestagsabgeordnete. Die letzte Konsequenz seien dann die bislang von der Bundesregierung abgelehnten Euro-Bonds. Quelle: dapd
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig hat sich mit den Vereinbarungen des Brüsseler EU-Gipfels zufrieden gezeigt. Die Ergebnisse wiesen nach vorn, sagte der SPD-Politiker am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Im Sinne Europas müssten Italien und Spanien mit ihren Finanzproblemen wieder auf Kurs gebracht werden. „Wir sind diejenigen in Europa, die am meisten davon profitieren, dass Europa funktioniert", betonte Albig. Dazu sei Wachstum notwendig. Deshalb befürworte er dass entsprechende Paket in Höhe von 120 Milliarden Euro, dass auf den Weg gebracht worden sei, sagte der Kieler Regierungschef. Quelle: dpa
Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, hat die Ergebnisse der Brüsseler Gipfelnacht kritisiert. Einige Beschlüsse widersprächen den bisherigen Positionenen Deutschlands, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. „Bisher haben wir deshalb nie rote Linien überschritten, weil immer dann, wenn die rote Linie erreicht war, sie weiter verschoben wurde", beklagte der CDU-Politiker.Wenn beispielsweise der Vorrang des dauerhaften Rettungsschirm ESM vor den Verbindlichkeiten gegenüber privater Gläubiger wegfalle, sei das eine gute Nachricht für die privaten Gläubiger, aber nicht für die Steuerzahler, sagte Bosbach. Positiv bewertete er dagegen die Verabschiedung des Wachstumspakts. Quelle: dapd
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat die Beschlüsse des Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs verteidigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe Versuche, eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden einzuführen, „erfolgreich" und "unterstützt von anderen Ländern" abgewehrt, sagte er am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Merkel habe sich in Brüssel „mit einem klaren Nein zu fragwürdiger Vergemeinschaftung durchgesetzt".Bei den Beschlüssen zu einer leichteren Unterstützung für Banken bleibe es dabei, „dass die Haftung der Kontrolle folgt und eben Bankenhilfen erst möglich sind, wenn es auch eine europäische Bankenaufsicht gibt", sagte Gröhe. Merkel sei insgesamt „standfest" geblieben und „für deutsche Interessen" eingetreten. „Deutschland muss Stabilitätsanker bleiben, darf nicht überfordert werden", sagte Gröhe. Quelle: dpa
Auf Deutschland kommen nach Überzeugung des CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch trotz des Neins zu Euro-Bonds wachsende Risiken zu. Deutschland sei längst in einem Mechanismus gefangen, der letztlich dazu führe, „dass die Risiken zu uns wandern", sagte der Kritiker des Berliner und Brüsseler Euro-Kurses am Freitag im Südwestrundfunk. Das halte er für grundfalsch, betonte Willsch. Letztlich würden die Finanzmarktakteure nicht mehr glauben, dass Deutschland alle Risiken tragen könne. „Und dann werden unsere Zinsen auch steigen", befürchtet der CDU-Politiker. Quelle: PR
Die SPD findet die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Bewältigung der Euro-Krise akzeptabel. Zwar habe Bundeskanzlerin Angela Merkel in wesentlichen Punkten, in denen sie vorher rote Linie markiert habe, nachgeben müssen, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Freitag dem Nachrichtensender n-tv. Sie fügte aber hinzu: „Aus meiner Sicht ist das inhaltlich aber durchaus begründet, und insoweit kann ich mit dem Ergebnis leben."Zufrieden zeigte sich Nahles, dass das Wachstumspaket, das auch die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen solle, jetzt auf dem Weg sei. Auch eine gemeinsame Bankenaufsicht in Europa sei richtig. Dass es direkte Bankenhilfen geben solle, werde im konservativen Lager noch erhebliche Widerstände hervorrufen, mutmaßte Nahles. Da das aber mit der Bankenaufsicht verbunden sei, halte sie das für vertretbar. Quelle: dpa

Angela Merkel liebt Italien. Wären da nicht die Männer. Bereits zum dritten Mal seit ihrem Einzug ins Kanzleramt hat die Bundeskanzlerin im April dieses Jahres Urlaub auf Ischia gemacht. Jener Vulkaninsel im Golf von Neapel, die die prominente Besucherin mit ihren zahlreiche Stränden und heißen Quellen verwöhnt, mit Zitronen- und Olivenbäumen und der historischen Festung „Castello Aragonese“.

Das Italien-Bild der Bundeskanzlerin könnte so rosig sein, wären da nicht die heißblütigen und unkontrollierbaren Männer. Silvio Berlusconi etwa ließ Merkel und ihre Amtskollegen beim NATO-Gipfel mal für ein Telefonat minutenlang links liegen, seine Zeitungen beleidigen die Kanzlerin seit dem Ausbruch der Schuldenkrise als „Fettarsch“ und nun hat auch Mario Monti, der Berlusconi-Nachfolger im Amt des italienischen Ministerpräsidenten, die deutsche Bundeskanzlerin brüskiert. Beim EU-Gipfel am Freitag erpresste er gemeinsam mit Spanien die deutsche Regierungschefin – und drückte so eine lasche Vergabepraxis von Hilfskrediten durch den Euro-Rettungsschirm durch.

Ratlosigkeit und Enttäuschung

Am Mittwochnachmittag, beim Besuch der deutschen Bundeskanzlerin in Rom, versuchte Monti zwar die Wogen zu glätten. „Es ist mir jedes Mal immer wieder eine Freude, mich mit Angela Merkel zu treffen“, betonte er. Doch der Gesichtsausdruck von Merkel zeigte: Die Stimmung zwischen Deutschland und Italien ist frostig. Dabei hatten die Deutschen wie die Italiener so große Hoffnungen in den ehemaligen EU-Kommissar gesetzt, der überparteilich regiert und das Land nach den aufreibenden, skandalösen Berlusconi-Jahren wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen sollte. Doch Monti hat seine Vorschusslorbeeren längst aufgebraucht, in Europa, an den Kapitalmärkten und in seiner Heimat herrscht ein Mix aus Ratlosigkeit und Enttäuschung.

Wissenswertes über Italien

„Italien ist eigentlich sehr stark, es hat die Möglichkeiten aus eigener Kraft heraus, sich selbst zu reformieren und für Aufbruchsstimmung zu sorgen“, sagt Norbert Pudzich, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Italienischen Handelskammer mit Sitz in Mailand im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. Doch: „Das Reformtempo ist langsamer als es Monti, die Euro-Partner und die Finanzmärkte gerne hätten.“

Die Folge: In den vergangenen Monaten sind die Zinsen, zu denen sich Italien am Anleihemarkt Geld besorgen kann, immer weiter gestiegen. Mario Monti reagiert darauf ungehalten. Mal jammert er über die unfaire Behandlung der Kapitalmärkte, mal fordert er die Einführung von Eurobonds.

Damit verkennt Monti die Realität. Denn das Misstrauen der Kapitalmärkte, die auch nach dem EU-Gipfel rund sechs Prozent Zinsen für ihr Geld haben wollen, ist berechtigt. Zu vieles liegt in Italien im Argen.

Italiens Problemzonen

Zahlreiche Baustellen: Neben der hohen Staatsverschuldung hat Italien zudem mit einem mangelhaften Bildungssystem und unzureichender Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen - Und droht in einen Teufelskreis zu geraten Quelle: dpa

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone leidet unter einer chronischen Wachstumsschwäche, hohen Staatsschulden und einer wegbrechenden Wettbewerbsfähigkeit. Im ersten Quartal schrumpfte die Wirtschaft um 0,8 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2002. Jeder zehnte Italiener hat keinen Job, die Jugendarbeitslosigkeit ist binnen eines Jahres von 28 auf 36 Prozent geklettert.

„Die jungen Italiener leiden vor allem darunter, dass es keine duale Ausbildung gibt. Das Bildungssystem ist sehr theoretisch“, sagt Pudzich. „Italienische Absolventen kommen mit kaum Praxisbezug in das Arbeitsleben. Sie müssen also erst einmal angelernt werden. Das sind Kosten, die viele Unternehmen gerade in Krisenzeiten scheuen.“

Gefährlicher Teufelskreis

Italien droht nun in einen Teufelskreislauf zu gelangen. Fehlende Investitionen der Wirtschaft und des Staates führen in diesem Jahr laut Prognosen von Ökonomen zu einem Rückgang des BIPs um bis zu zwei Prozent. Auch im nächsten Jahr wird die Wirtschaft schrumpfen. Das lässt die Steuerquellen versiegen und die staatlichen Transferzahlungen steigen. Schon jetzt ist klar: Monti wird sein Ziel, die Defizitquote in diesem Jahr von 3,9 auf 1,7 Prozent zu drücken, verfehlen. Den Haushaltsausgleich hat Monti schon von 2013 auf 2014 verschoben.

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, muss Italiens Wirtschaft wieder kräftig wachsen. Doch die Rahmenbedingen dafür sind schlecht. „Italien ist nicht wettbewerbsfähig“, sagt Elena Carletti, Wirtschafts-Professorin am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz gegenüber WirtschaftsWoche Online. Die Lohnstückkosten seien zu hoch, ebenso die Unternehmenssteuern. „Es gibt in Italien eine deutlich höhere Steuerquote als in Deutschland, sowohl für den Bürger als auch für Unternehmen“, erklärt auch Pudzich. „Das macht es für Firmen besonders schwer, zusätzlich in neue Technologien und Maschinen zu investieren.“

Die Chronik der Schuldenkrise

Trend verpennt

Dabei ist Italien zu Innovationskraft und hoher Produktivität verdammt, nachdem sich die Lohnspirale seit der Jahrtausendwende immer schneller drehte. Gemessen am Basisjahr 1998 haben sich die Lohnstückkosten in Italien um 38 Prozent verteuert. Auch in Irland, Griechenland und Portugal schossen die Gehälter bis 2009 nach oben. Inzwischen ist aber in allen Krisenländern der Trend gebremst und umgekehrt worden. Portugal drückte die Löhne in den vergangenen zwei Jahren um 13 Prozent, Griechenland um 17 Prozentpunkte. Nur in Italien ist nichts passiert.

„Die Löhne sind jahrelang gestiegen, die Produktivität aber nicht in gleichem Maße“, sagt Pudzich. „Jetzt in der Krise schrauben die Unternehmen zuerst an den Personalkosten. Sprich: Leute werden entlassen.“

Unternehmer wehren sich

Italiens größte Steuer-Eskapaden
Busfahrer in PalermoDie Hauptstadt der Autonomen Region Sizilien plante 2011 eine Serviceoffensive. 110 neue Busfahrer wurden eingestellt. Das Problem: Nicht einer von ihnen hatte einen Busführerschein. Die Stadt sprang ein und spendierte die Ausbildung. Als die Fahrer bereit waren, stellte die Stadt fest, dass es weder genug Busse, noch genug Busrouten für die ganzen Fahrer gab. Die Hälfte der neuen Angestellten sitzt nun in der Verwaltung. Einen Führerschein brauchen sie da nicht. Quelle: AP
Milch von PhantomkühenIn Italien wurde über Jahre die Milch von 300.000 Kühen verkauft, obwohl sie uralt – oder längst tot sind. In der Regel werden Kühe aussortiert und geschlachtet, wenn sie etwa acht Jahre alt sind. Sie geben dann kaum noch Milch, und viel älter würden sie ohnehin nicht. Anders in Italien. Dort stehen nach offiziellen Angaben etwa 300.000 Kühe in den Ställen und werden gemolken, berichtete der „Spiegel“. Manche müssten demnach auch mit 83 Jahren noch Milch wie zu ihren besten Zeiten produzieren. Klarer Fall von Betrug. 1,2 Milliarden Liter Milch kamen zusammen, von denen bislang niemand weiß, woher sie stammen. Den Schaden hat der Steuerzahler: Weil die nach Brüssel gemeldeten Milchmengen von italienischen Kühen regelmäßig die dem Land zugeteilte Gesamtquote überschritten, musste Rom deftige Strafen zahlen. Über die Jahre summierten sich diese angeblich auf rund vier Milliarden Euro. Quelle: dpa
Brücke nach SizilienTrotz aller Haushaltsprobleme fehlt es der Politik nicht an Visionen. Silvio Berlusconi setzt sich seit 2005 für den Bau einer Brücke über die Straße von Messina ein. Kostenpunkt: 3,9 Milliarden Euro. Mehrere regionale Politiker, aber auch die Regierung Romano Prodis, stuften das Projekt als unsinnig und umweltschädigend ein und ließen es ruhen. Berlusconi, der 2008 wieder ins Amt stürmte, nahm zurück an der Macht das Projekt wieder auf. Der Kostenplan sah inzwischen Investitionen von fast 8,5 Milliarden Euro vor. Das war Nachfolger Mario Monti zu viel. Er wollte auf den Brückenbau verzichten, fasste aber keinen Beschluss zum Baustopp, weil ansonsten eine Konventionalstrafe in Höhe von 300 Millionen Euro fällig geworden wäre. Nun soll ein chinesischer Investor das Projekt weiterführen. Quelle: dpa
Autobahn A3400 Millionen Euro an EU-Fördergelder flossen bereits in den Ausbau und die Verbesserung der Autobahn 3 in Süditalien, von Neapel nach Reggio Calabria. Wofür das Geld verwendet wurde, weiß keiner. Fest steht nur: Die Autobahn befindet sich in einem desolaten Zustand. Schlaglöcher, fehlende Fahrbahnmarkierungen und unbeleuchtete Tunnel: zeitweise durfte auf einigen Abschnitten nur mit maximal 40 Stundenkilometer über die Autobahn gefahren werden. Quelle: AP
Kirchenimmobilie in Italien Quelle: dpa
Rote Ferraris in einer Reihe Quelle: rtr
Satellitenaufnahme vom Oktoberfest Quelle: dpa

In Norditalien, dem industriellen Herz des Landes, wehren sich die Unternehmer gegen den Absturz. Der Automobilzulieferer Sogefi, der Medizintechnik-Konzern Diasorin oder der Elektronikgeräte-Hersteller Indesit sind feste Größen in ihren Branchen und behaupten sich auf dem Weltmarkt.

Indesit aus Ancona produziert Küchengeräte wie Induktionsherde, Spülmaschinen oder Kühltheken und setzte 2011 weltweit 2,8 Milliarden Euro um. Der nach Electrolux und der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH drittgrößte europäische Hersteller von elektrischen Haushaltsgeräten machte zuletzt 150 Millionen Euro Gewinn und hat seine Nettofinanzschulden seit 2005 von 520 auf 180 Millionen Euro abgebaut.

"Beschlüsse vergrößern das Haftungsvolumen"

„Italien hat eine gesunde Struktur, der Industrialisierungsgrad ist ähnlich hoch wie in Deutschland. Es gibt Unternehmen, die nicht konjunkturanfällig sind, weil sie hoch spezialisiert und kundenorientiert arbeiten“, so Pudzich.

So etwa das Turiner Softwarehaus Reply. Die Geschäfte laufen gut, um 15 Prozent stieg der Umsatz im vergangenen Jahr, seit 1999 wuchs Reply von 18 auf fast 440 Millionen Euro Umsatz heran. Das Familienunternehmen von Tatiana Rizzante, das 1996 von ihrem Vater gegründet wurde, ist hoch profitabel und hat kaum Schulden.

Großunternehmen bleiben die Ausnahme

Doch Indesit, Reply & Co. sind Ausnahmen. In der Wirtschaft dominieren kleine Unternehmen, die vorwiegend für den Binnenmarkt produzieren. „Das sind vor allem Betriebe mit einer Handvoll Angestellten“, sagt Pudzich. Diese Betriebe sind es auch, die unter den Folgen der Krise am meisten leiden. „Zum ersten Mal seit rund zehn Jahren ist die Krise in den Portemonnaies der Italiener angekommen“,  so der Deutsche. Die Folge: Die Binnenkonjunktur ist eingebrochen, viele Kleinstbetriebe mussten ihr Gewerbe schließen.

Italiens Reformen

Nun tobt in Italien der Streit, wie die Unternehmen zu retten und die Krise zu meistern sind. Die Gewerbetreibenden fordern Steuervergünstigungen und Konjunkturprogramme, Ökonomen eine umfassende Reform des Arbeitsmarktes und Gewerkschaften, die sozialen Sicherungssysteme auszubauen, um die Arbeitslosen aufzufangen. Einig sind sich die Italiener derzeit nur darin, dass Europa, dass insbesondere Deutschland, mehr für die Bekämpfung der Krise bezahlen muss.

Italien fordert Geld von Deutschland

Entwicklung der Staatanleihen in der Schuldenkrise
Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe seit Januar 2010 Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen USA Quelle: Bloomberg
Staatsanleihen Griechenland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Portugal Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Irland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Italien Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Spanien Quelle: Bloomberg

„Italien darf nicht mehr weiter sparen. Das Sparprogramm führt unser Land ins Verderben“, sagt die Ökonomin Carletti. „Wir haben in Griechenland gesehen, dass eine zu rigide Sparpolitik die Wirtschaft abwürgt und damit die Steuereinnahmen verringert. So kann man nicht aus der Krise kommen. Das muss auch Frau Merkel endlich einsehen.“

Mario Monti hat diese Stimmung dankbar aufgenommen, und zusammen mit Spanien und Frankreich ein Wachstumspaket auf EU-Ebene durchgesetzt. Doch können zusätzliche Investitionen Italien aus der Krise führen? Norbert Pudzich ist skeptisch. „Das Wachstumspaket kann Italien sicher unterstützen. Es kann aber kein Ersatz für Strukturreformen sein.“

Die Beschlüsse des Euro-Gipfels im Überblick

Zwar hat Italiens Regierungschef Mario Monti seit seinem Amtsantritt im Herbst vergangenen Jahres einige wichtige Reformen durchgesetzt. So hat seine Administration die Rente mit 67 eingeführt und die Frühverrentung eingeschränkt. Zudem ist die Inflationsanpassung bei den Renten weggefallen. Doch insbesondere die Arbeitsmarktreform ist von den politischen Partnern zerpflückt worden.

Schlechter als Sambia und die Mongolei

Der Arbeitsmarkt bleibt streng reguliert, der Kündigungsschutz ist rigide und es gibt nach wie vor Kollektivverträge, die es den Arbeitgebern erheblich erschwert haben, flexibel auf Konjunkturdellen zu reagieren.

Hinzu kommt: Laut einer Studie der Weltbank sind die Investitionsbedingungen in Italien schlechter als in Entwicklungsländern wie dem afrikanischen Sambia oder der Mongolei. Beim sogenannten „Ease of doing Business-Index“ ist Italien weltweit lediglich auf Platz 87. In der Eurozone hat hier nur Griechenland noch schlechter abgeschnitten. Besonders schwach wird Italien beim Justizsystem und der öffentlichen Verwaltung bewertet.

Hilfe für Euro-Länder

Behörden behindern Italiens Unternehmen

„Die Behörden arbeiten oftmals ineffizient. Das liegt vor allem daran, dass die Rathäuser und Ämter politisch besetzt werden“, sagt Pudzich. „Nach Wahlen findet in den Amtsstuben ein großes Stühlerücken statt. Amtsträger werden oftmals nicht ausschließlich nach ihrer fachlichen Kompetenz ausgesucht, sondern zuerst nach ihrem Parteibuch.“

Welche Blüten das zuweilen treibt, zeigt dieses Beispiel: „Wenn Sie eine Photovoltaikanlagen aufstellen wollen, müssen sie trotz gleicher Rechtslage je nach Region ganz unterschiedliche Genehmigungsverfahren durchlaufen“, berichtet Pudzich aus Gesprächen mit deutschen Unternehmen. „Die Gebühren sind unterschiedlich, die Fristen weichen voneinander ab. Für Unternehmer ist das sehr umständlich.“

Bis zu den Wahlen droht Stillstand

National oder auf EU-Ebene entscheiden?
Die deutsche und die europäische Flagge Quelle: dpa
Rentner Quelle: dpa
Die Familie einer Sozialhilfeempfängerin Quelle: dpa
Eine Steuererklärung Quelle: dpa
Die Schulden-Uhr Quelle: dpa
Ein Jobcenter in Madrid Quelle: dpa
Eine Migrantin in einem Deutsch-Kurs Quelle: dpa

Im Frühjahr 2013 finden die nächsten Parlamentswahlen statt. Nach dem jetzigen Stand ist der Technokrat Monti auch nur so lange im Amt. Er will für keine Partei antreten – und die politischen Lager haben ihrerseits kein Interesse an einer zweiten Amtszeit Mario Montis. Die PdL („Volk der Freiheit“) des Monti-Vorgängers Silvio Berlusconi will „grundlegende Änderungen“ der Reformpolitik. Parteichef Angelino Alfano, 2013 möglicher Kandidat für das Amt des Regierungschefs, findet, Monti habe zu sehr der starken Gewerkschaft CGIL nachgegeben.

Der Senator Enrico Morando der Mitte-Links-Partei PD (Partito Democratico) hingegen fordert Monti zu entschiedeneren Einschnitten auf. Er will ein radikales Umdenken bei den Steuern und der Ausgabenpolitik: „Diese Regierung ist dafür eingesetzt, Italien vor einem Abgrund zu bewahren, man kann sich aber nicht vorstellen, dass sie dies mit nur einigen Flicken schaffen kann.“

Italienische Schnäppchenaktien

Düstere Prognosen

„Die Parteien sind schon jetzt in den Wahlkampf für 2013 gestartet“, sagt Elena Carletti. „Die Konservativen wehren sich gegen stärkere Korruptionsgesetzte, die Linken verhindern Einschnitte der Arbeitsnehmerrechte, kurz gesagt: Die Parteien blockieren sich im Parlament schon heute. „Ich befürchte, dass bis zu den Wahlen nicht mehr viel passieren wird.“

Ähnlich düster bewertet Norbert Pudzich die Lage. „In den ersten Monaten der Amtszeit Montis haben sich die Lager hinter der Regierung versteckt und Reformen  zugelassen – ohne sie verteidigen zu müssen. Doch je näher die Wahlen rücken, desto größer ist die Furcht, vom Wähler für schmerzhafte Reformen abgestraft zu werden. Man hat genau beobachtet, was in Griechenland mit den beiden dortigen Volksparteien geschehen ist. Das will die Berlusconi-Partei wie auch die Linke verhindern.“

Ein Reformstau ist das letzte, was sich Italien leisten kann. „Italien kann es ohne Hilfe von außen schaffen. Allerdings wird Italien etwas tun müssen. Die Anleihemärkte werden weiter Druck machen. Italien muss glaubhafte Arbeitsmarktreformen voranbringen, das Land kann nicht bis zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr warten“, sagt der Wirtschaftsweise Lars P. Feld.

Italiens Männer sind zum Handeln gezwungen. Mario Monti hat der Bundeskanzlerin am Mittwochabend versichert, mit weiteren Reformen die hohe Staatsverschuldung zurückzufahren. „Die italienische Regierung ist entschlossen, den Weg der Verschuldungseindämmung weiterzugehen“, sagte Monti bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel. Die Lasten für die öffentlichen Haushalte würden durch weitere Sparmaßnahmen weiter heruntergefahren werden.

Sollte Monti die Kurve tatsächlich die Kurve kriegen, wird vielleicht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Frieden mit den italienischen Männern finden. Doch Zweifel sind angebracht.

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