Leoluca Orlando "Berlusconi ruiniert Italien – und der Euro die europäische Idee"

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Bootsflüchtlinge sind ein "europäisches Problem"

Europa steckt in der Krise. Dennoch träumen Zehntausende Afrikaner davon, bei uns zu leben und zu arbeiten. Viele versuchen übers Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Im Spätsommer sind tausende Afrikaner auf der Flucht nach Europa umgekommen. Die Bootsflüchtlinge, die überlebt haben, hausen in Lagern auf Lampedusa oder Sizilien. Wie können wir ihr Leid mildern?

Es ist eine Tragödie, wie viele Menschen ihr Leben riskieren und verlieren, um zu uns zu kommen. Wir müssen einen Weg finden, die Schleuser in Afrika dingfest zu machen. Sie verdienen am Leid der Menschen und schicken sie auf eine Odyssee in alten Booten. Die Menschen, die Italien erreichen, werden von uns so gut es geht versorgt. Ihnen geht es gut, sie müssen kein Leid fürchten. Auf Sizilien gibt es keine feindliche Stimmung gegenüber den Bootsflüchtlingen.

Aber sie sind weit entfernt davon, ein freies und glückliches Leben zu führen.

Ich bin bereit, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen. Sie können von mir aus in Palermo leben und arbeiten. Aber wir sprechen von Zehntausenden Flüchtlingen. Wir sind zu klein! Können wir all die Menschen  nur auf Sizilien aufnehmen? Nein, dafür sind wir zu klein. Können wir all die Menschen in Italien aufnehmen? Nein, auch Italien ist dafür zu klein. Es ist ein europäisches Problem, für das wir die Hilfe unserer Nachbarn brauchen.

Die EU-Gesetzgebung ist eindeutig. Das Land, in dem die Flüchtlinge zuerst europäischen Boden betreten, ist für die Menschen verantwortlich.

Aber wir haben nicht genug Gebäude, nicht genügend Nahrungsmittel und einfach nicht die nötige Infrastruktur, um alle aufzunehmen. Hinzu kommt: Die Menschen wollen doch gar nicht in Lampedusa oder in Corleone leben. Sie wollen nach Norditalien, nach Frankreich, nach Deutschland. Wir haben innerhalb Europas keine Grenzen mehr – überlassen es aber einzelnen Staaten, die Grenzen zu sichern. Das funktioniert nicht. Wir brauchen bei der Prävention in Afrika Hilfe, bei der Aufnahme der Flüchtlinge und bei der Grenzsicherung.

Streit über die Wirtschaftspolitik, Streit über den Euro und Streit um Flüchtlinge: Warum lohnt es sich, für das vereinte Europa dennoch zu kämpfen?

Ich habe fünf Jahre im Europäischen Parlament gesessen. Das war oft kontrovers, ich bin verzweifelt an Kollegen und an der Bürokratie. Aber wir hatten alle eine Gemeinsamkeit: Die Überzeugung, dass wir in Freiheit und Frieden leben wollen. Und das gelingt nur miteinander. Auch wirtschaftlich kann Europa Gutes bewirken. Der Binnenmarkt ist für uns alle wichtig. Deutschland wie Italien wie Spanien profitieren davon. Europa ist nur gemeinsam stark. Auch wenn es derzeit ähnlich chaotisch aussieht wie das Leben in Italien.

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Leoluca Orlando ist Ehrenpreisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2013. Er hat den Preis am 21. November in Düsseldorf verliehen bekommen. Vor der Veranstaltung fand das Interview statt.

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