Was ist in Palermo passiert?
Unsere Stadt ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit geworden. Palermo wurde früher in einem Atemzug mit der Mafia, Kriminalität und Armut genannt. Wir haben dem eine Bürgerbewegung entgegengestellt und die Stadt verändert. Das Teatro Massimo, eines der größten Opernhäuser Europas, blüht wieder. Künstler reißen sich darum, zu uns zu kommen. Einmal im Jahr findet zudem eine Schwulenparade statt, eine der größten in Südeuropa. Das bringt Gäste und Einnahmen – und schafft einen Mentalitätswechsel. Dazu braucht es Visionen.
Hat die italienische Regierung eine Vision?
Ich habe noch von keiner gehört. Im Moment wird an verschiedenen Stellen herumgedoktert. Wichtig wäre es, sich ein Konzept zu überlegen, wie Italien im 21. Jahrhundert bestehen kann. Das gibt es nicht. Die Regierung von Enrico Letta denkt nicht mal bis morgen Früh. Sie muss die entscheidenden Fragen klären. Auch, ob Italien im Euro bleiben soll.
Haben Sie etwa Zweifel an der Euro-Zugehörigkeit des Landes?
Ich bin überzeugter Europäer. Ich saß fünf Jahre im Europaparlament und finde, die Idee der Europäischen Union fantastisch. Für mich ist das vereinte Europa die größte Nachhaltigkeitsrevolution in der Geschichte der Welt.
Wissenswertes über Italien
Das Klima und die mediterrane Küche sind wohl ausschlaggebend für die hohe Lebenserwartung der Italiener. In Europa führen sie die Liste aller OECD-Staaten an, weltweit belegen sie den zweiten Platz. Die Lebenserwartung beträgt bei Frauen circa 83 Jahre, bei Männern 78 Jahre. Ungefähr 19 Prozent der Italiener sind älter als 65 Jahre.
Dennoch ist auch im Stiefelstaat der Trend zum Übergewicht festzustellen. Italien hat der adipösen Gesellschaft den Kampf angesagt und so gibt es in Italien einige Krankenhäuser, die sich ausschließlich um fettleibige Patienten kümmern.
Der Süßwarenfabrikant Michele Ferrero ist der reichste Mann Italiens. Sein Vermögen wird auf 17 Milliarden Dollar geschätzt. Leonardo Del Vecchio, Gründer von Luxottica, folgt auf Rang zwei.
Die italienische Landwirtschaft spielt insgesamt keine große Rolle. In zwei Bereichen sind die Italiener dennoch Weltspitze: So produzierte das Land 2010 rund 44,8 Millionen Hektoliter Wein. Nur Frankreich stellt mehr Wein her. Außerdem ist Italien, nach Spanien, der zweitgrößte Erzeuger von Olivenöl.
Italiens Handelspartner befinden sich in direkter Nähe zu dem Land. Deutschland ist der wichtigste Partner, gefolgt von Frankreich. Italiens Produkte erfreuen sich besonders in Großbritannien, Spanien und den USA großer Beliebtheit. Importiert wird aus den Niederlanden, China, Libyen und Russland.
Eindeutig Brillen herstellen! Denn Luxottica, mit Sitz in Agordo (Provinz Belluno) ist der weltgrößte Brillenhersteller. Seit 1995 kauft das italienische Unternehmen US-Marken wie Ray-Ban und Oakley auf.
Mailand, Turin und Genua sind die größten Wirtschaftszentren Italiens. Sie sind Teil des europäischen Wirtschaftsraumes, der durch neun Länder führt und "Blaue Banane" heißt. Zentrale Einrichtungen der Europäischen Union und 20 Weltstädte befinden sich in der Zone. Hier sind die Bevölkerung, die Wirtschaft, das Kapital und die Infrastruktur sehr gut verwoben und bilden somit eine wirtschaftliche Achse Europas. Vergleichbar ist dieser Wirtschaftsraum mit BosWash in den USA.
Kuriose Gesetze sind in Italien keine Seltenheit. So müssen Hunde dreimal täglich Gassi gehen. Die Polizei darf sich bei den Nachbarn auch erkundigen, ob dies eingehalten wird. Hohe Geldstrafen sind ausgesetzt, wer sich nicht an die Gesetze halten will. Wer sich in der Lombardei abends auf einer Bank ausruhen will, muss sich vergewissern, dass nicht mehr als drei Personen Platz nehmen. Denn in einem öffentlichen Park ist dies streng reglementiert.
Italien ist das Land mit den meisten Welterbestätten. Italien ist in Besitz von 100.000 Denkmälern. Darunter befinden sich nicht nur Kirchen, Galerien und Schlösser. Auch archäologische Funde, Brunnen und Villen fallen unter den Denkmalschutz.
Sie weichen der Frage, nach dem Euro aus.
Nur Geduld, eines nach dem Anderen. Ich stelle fest, dass immer mehr Bürger eine negative Meinung zum Euro haben. Sie geben der Gemeinschaftswährung die Schuld dafür, dass das Leben teurer wird und die Arbeitslosigkeit ansteigt. Der Wahlerfolg der Protestbewegung von Beppe Grillo ist der beste Beweis für meine These. Ich fürchte, dass mit der steigenden Kritik an dem Euro auch die Akzeptanz für Europa leidet. Der Euro droht also das historische Projekt, die Vertiefung Europas durch die Europäische Union, zu gefährden. Das sollte uns allen eine Warnung sein.
Im Mai kommenden Jahres sind Europawahlen. Haben Sie Angst, dass die Populisten starken Zulauf erhalten?
Oh ja. Die Europawahl wird ein kritischer Moment für die europäische Idee.
Zurück zur Gemeinschaftswährung: Teilen Sie die Kritik der Bürger am Euro?
Ich bin nicht per se gegen den Euro. Ich bin aber dagegen, dass den Europäern eine Politik gegen ihren Willen aufgezwungen wird. Derzeit wird das Wohl der Euro-Zone nicht in Parlamenten entschieden, sondern durch den EU-Rat und die Europäische Zentralbank. Wer hat ihnen das Recht gegeben, über uns zu entscheiden? Das ist nicht demokratisch. Es gibt Institutionen in Europa, die handeln wie Gott. Und der Euro ist ihre Kirche, sprich: ihr Symbol der Macht.
Ginge es Italien ohne den Euro besser?
Wir sind in erster Linie nicht wegen dem Euro in der Krise, sondern wegen der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Italien und in Europa. Die italienische Regierung hat überall den Rotstift angesetzt. Heute ist die Lage so: Wir haben kein Geld für Sozialhilfe, wir haben kein Geld für öffentlichen Verkehr und wir haben kein Geld für Schulen. Wir haben keine Wirtschaftsprogramme und keine Idee, die heimische Wirtschaft zu stärken. Die italienische Regierung kürzt und kürzt und verschlimmert die Krise. Ohne Wachstum kommen wir nicht aus der misslichen Lage. Um es ganz klar zu sagen: Einen Euro, der uns in die Deflation treibt und immer neue Sparvorschriften auferlegt, hilft uns nicht.