Markus C. Kerber "Die Bundesbank muss sich gegen die EZB wehren"

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Politische Isolation droht

Wo die Schuldenländer schon Erfolge erzielen
Griechenland: Die Lohnstückkosten sinkenStillstand in Griechenland? Nicht ganz. Bei der Sanierung der Staatsfinanzen hat Athen durchaus Erfolge vorzuweisen: Um sechs Prozentpunkte vom Bruttoinlandsprodukt wurde das Haushaltssaldo in nur zwei Jahren verbessert. Eine solche Konsolidierungsleistung hat kein anderes Euro-Land geschafft. Und im ersten Halbjahr liegt Griechenland beim Defizitabbau sogar vor dem Plan. Auch dem Ziel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kommt das Land näher: Die Lohnstückkosten sind seit 2009 rückläufig. Aber bei den Strukturreformen, die für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft zumindest ebenso bedeutend sind, bleibt noch viel zu tun.
Zwar hat das griechische Parlament seit 2010 Dutzende von Reformgesetzen verabschiedet. Aber es hapert bei der Umsetzung, weil die zuständigen Ministerien die notwendigen Durchführungsbestimmungen schuldig bleiben. Das geschieht weniger aus Nachlässigkeit als gezielt, um die Reformen zu hintertreiben. Denn die Politiker scheuen immer noch die Konfrontation mit den Kartellen, Gewerkschaften und Zünften, die sich gegen eine Deregulierung der Wirtschaft sträuben, weil sie sich dann dem Wettbewerb stellen müssten. Ein Beispiel: Die Öffnung der "geschlossenen Berufe", Hunderter Tätigkeiten, deren Ausübung strikt reglementiert ist, wie der Rechtsanwaltsberuf. Weil die Anwälte im Parlament stark vertreten sind konnten sie die Liberalisierung für ihren Berufsstand bisher verhindern. Manche Reformen ist Griechenland seit über einem Jahr schuldig geblieben. Die Wahlen vom Frühsommer haben das Land weiter in Verzug gebracht. Umso energischer drängen jetzt die Delegationschefs der Troika in Athen darauf, bei den Reformen endlich Gas zu geben.Text: Gerd Höhler, Athen
Italien: Die Erfolge sind sichtbarDie Technokraten-Regierung von Mario Monti hat in Italien innerhalb von neun Monaten mehr Reformen durchgesetzt als Silvio Berlusconi in allen seinen Legislaturperioden zusammen. Gleich nach seinem Amtsantritt im November hatte Monti noch vor Weihnachten das Maßnahmenpaket "Salva Italia" (Rette Italien) durchgepaukt, das jährlich Mehreinnahmen von 26 Milliarden Euro bringen soll. Zudem beschloss das Kabinett innerhalb kürzester Zeit eine Rentenreform, die das früher sehr großzügig ausgestaltete Rentensystem für die kommenden Jahrzehnte auf sichere Beine stellen soll. Es folgten zaghafte Liberalisierungen einiger Berufsstände und schließlich die große Arbeitsmarktreform im Frühsommer: Sie setzt auf mehr Flexibilität bei Einstellungen, ermöglicht aber auch ein leichteres Kündigen.
In Italien, wo die Arbeitslosigkeit im Juni mit 10,8 Prozent auf ein neues Rekordhoch seit 2004 stieg, ist der Arbeitsmarkt bislang zweigeteilt: Während sich ältere Angestellte meist über fast unkündbare Arbeitsverhältnisse freuen können, hangeln sich viele junge Menschen oft von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Diese befristeten Verträge liefen in der Krise einfach aus. Diese Zweiteilung soll durch die Reform überwunden werden. Um die ausufernden Staatsausgaben zu drosseln, hat Monti (rechts) eigens den Parmalat-Sanierer Enrico Bondi als Spar-Kommissar an Bord geholt. Er sollte alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Das Ergebnis: 26 Milliarden Euro sollen innerhalb von drei Jahren eingespart werden. Die Ausgabenkürzungen sind wichtig, da die Regierung nicht ohne Grund in der Kritik steht, bisher vor allem durch Steuererhöhungen den Haushalt saniert zu haben.Text: Katharina Kort, Mailand Quelle: dpa
Portugal: Auf dem rechten WegPortugal macht alles richtig - aber die Euro-Schuldenkrise und die Abhängigkeit von Spanien bergen weiter Risiken. So begründete die Ratingagentur Standard & Poor's den negativen Ausblick für das Land. Ähnlich war der Tenor im Juli bei der vierten Überprüfung des Kreditprogramms durch die Troika. Die portugiesische Regierung unter Premier Pedro Passos Coelho hat in einem Jahr enorm viel erreicht. Steigende Exporte und fallende Einfuhren brachten das Handelsdefizit fast ins Gleichgewicht, das Haushaltsdefizit schrumpfte von fast zehn auf 4,2 Prozent Ende 2011. Auch 2012 sei ein Defizit von 4,5 Prozent machbar, meint die Troika.
Die Arbeitsgesetzgebung wurde reformiert, Arbeitszeit und Löhne wurden flexibilisiert, die Kündigungskosten gesenkt. Nun soll die Regierung auf Geheiß der Troika eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge prüfen, um die Beschäftigung zu beleben. Bis September muss Premier Passos Coelho (im Bild zu sehen) zudem die Lohnverhandlungen weiter flexibilisieren. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde teilweise umgesetzt, ein neues Wettbewerbsrecht verabschiedet, diverse Berufe wurden liberalisiert. Der Mietmarkt mit extrem niedrigen fixen Mieten und entsprechend verfallenen Gebäuden wurde dereguliert, eine Reform des teuren, trägen Rechtssystems ist angeschoben. "Wir glauben, dass all diese mikroökonomischen Reformen dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Produktivität statt durch sinkende Löhne verbessert wird", urteilt S&P. Immerhin lag der durchschnittliche Stundenlohn in Portugal mit 12,10 Euro Ende 2011 bereits 41 Prozent unter Spanien.Text: Anne Grüttner, Madrid
Spanien: Das Sparpaket ausgeweitetSpaniens Premier Mariano Rajoy gönnt sich derzeit ein paar Tage Urlaub in seiner Heimat Galizien. Kurz zuvor brach er ein bis dahin geltendes Tabu. Auf die stets eisern verneinte Frage, ob er den EU-Rettungsfonds in irgendeiner Weise anzuzapfen gedenke, antwortete Rajoy nun: "Ich habe keine Entscheidung getroffen, ich werde tun, was im allgemeinen und im spanischen Interesse ist." Er wolle zunächst alle Bedingungen kennen. Rajoy gab damit den Ball an EZB-Chef Mario Draghi zurück, der klargemacht hatte, die bedrängten Südländer müssten zunächst die Anleihekäufe des EFSF aktivieren, bevor die EZB den Rettungsfonds mit eigenen Maßnahmen unterstützen könne.

Unterlässt es die Bundesbank, in dieser Situation unter Berufung auf das Bundesbankgesetz und Artikel 128 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die selbstermächtigende Mandatserweiterung der EZB faktisch zu stoppen, droht ihr die politische Isolation. Dabei liefern die in flagranti rechtswidrigen Weisungen zum Anleihekauf unwiderlegbare juristische Argumente zu ihrer Verweigerung. Die Bundesbank kann nicht nur unter dem Schutzschirm der Legalität die Mittäterschaft an dem von Draghi und Co. organisierten Rechtsbruch verweigern. Bundesbank-Chef Jens Weidmann ist verpflichtet, die Durchführung künftiger Anleihekäufe abzulehnen. Gleiches gilt für die Verwässerung der Zulässigkeitskriterien für Kollaterale und für die Vergemeinschaftung der Gold- und Devisenreserven.

Einsame Neinstimme

Längst hätte die Bundesbank dieses Volksvermögen, das sie nur treuhänderisch für Rechnung aller Deutschen verwaltet, unter ihre Herrschaft schaffen müssen. Dennoch vertraut sie weiter auf die Banque de France, die Bank of England und die Federal Reserve. Weidmann scheint anzunehmen, dass alle fachlichen Kontroversen durch den Dialog zwischen Zentralbankern zu regeln sind. Jedenfalls hält er es in der Öffentlichkeit weiter mit Sachargumenten, weist auf die Grenzen des EZB-Mandats hin, während in Italien, Spanien und vor allem in Paris das Trommelfeuer der veröffentlichten Meinungen die Bundesbank politisch zu isolieren sucht.

Bereits die EZB-Ratssitzung Anfang August ließ die Taktik von Draghi und seiner Auftraggeber in Rom, Paris und Madrid überdeutlich werden: In Erwartung eines abweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts sollte getestet werden, ob der Widerstand der Bundesbank hält, um dann zum großen Schlag anzusetzen und die EZB zusammen mit dem Euro-Rettungsschirm zur Fiskalfeuerwehr, zum "buyer of last resort", und damit zum Wettbewerbsverfälscher auf den Staatsanleihenmärkten zu machen. Weidmann stand mit seiner Neinstimme allein. Als Koalitionspolitiker scheint er wenig Erfolg zu haben.

Niemand schert sich um Weidmann

Die Bundesbank befindet sich mit ihrem institutionellen Konzept seit der Euro-Krise in der Sackgasse. Mehr noch: Das Vertrauen der Bundesbank und ihres jungen Präsidenten auf den fachlichen Dialog in Kollegengesprächen müsste einer politischen Betrachtungsweise weichen. Die enge Sicht der Geldbeamten in der Wilhelm-Epstein-Straße wird nicht nur am Finanzplatz Frankfurt und in Teilen der Wissenschaft belächelt, sondern ebnet Draghi und Co. den Weg zum Sieg. Die Bundesbank und ihr Präsident können dann das Stabilitätslied weiter intonieren. Doch niemand wird sich darum scheren, weil Herrn Weidmann und seinen Beamten im entscheidenden Moment der Wille zur Macht fehlte.

Möge danach dem jungen Bundesbank-Chef mit den feinen Manieren bitte noch eine zweite Chance beschieden sein, um zu beweisen, dass er eine Führungspersönlichkeit mit Haltung ist, die einen Kontrapunkt zur Realitätsflucht seines Vorgängers zu setzen vermag. Wird Präsident Weidmann endlich doch den Mut aufbringen, die von der EZB beschlossenen rechtswidrigen Anleihenkäufe nicht auszuführen?

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