Maschendraht gegen Flüchtlinge Wie Zäune aus Tirol Europas Grenzen sichern

Um dem Flüchtlingsstrom Herr zu werden, schotten immer mehr Länder ihre Grenzen mit Zäunen ab. Für Hersteller ist der Bau der Barrieren ein glänzendes Geschäft – aber nicht alle wollen an der Festung Europa mit bauen.

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Eiserne Barriere: Eigentlich entwickelte Geo-Alpinbau-Chef Helmut Ortler den Sicherheitszaun aus verzinktem Eisen gegen Steinschläge. Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Die Berge haben Maurermeister Helmut Ortler wohlhabend gemacht. Der Geschäftsführer des Tiroler Hoch- und Tiefbauunternehmens Geo-Alpinbau hat Gebirgsstraßen in Höhen gebaut, in denen gewöhnliche Straßenhersteller kapitulieren, er hat Berghänge umgegraben, um Anwohner vor Muren zu schützen, er hat Seilbahnen in Berggebieten errichtet, in denen schon Wanderungen lebensgefährlich sind. Derzeit hängen seine Mitarbeiter in rund 3000 Meter Höhe an der Zugspitze und sprengen dort das Fundament für die neue Seilbahn in die senkrechte Felswand.

Seine beste Erfindung, wie Ortler sie gerne nennt, liegt aber nicht auf der Zugspitze, sondern zusammengerollt im Hinterhof seines 80-Mann-Unternehmens im Tiroler Örtchen Imst. Es ist ein Stück Maschendrahtzaun. Ortler steigt demonstrativ mit einem Fuß auf den Ballen: „Eigentlich haben wir diesen Sicherheitszaun gegen Steinschläge entwickelt“, sagt er.

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Der Kundenstamm des Unternehmers mit einem Jahresumsatz von knapp 20 Millionen Euro hat sich nun aber erweitert: Nach der bayrischen Polizei mietet seit vergangener Woche auch das österreichische Innenministerium Ortlers Sicherheitszaun. Der zynische Grund: Das Drahtgeflecht hält nicht nur Steine ab, sondern auch Flüchtlinge.

Kilometerlange Zäune mit gefährlichem Nato-Draht

Die Freiheit auf dem Kontinent, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum Selbstverständnis der Europäer wurde, weicht gerade engmaschigen Zäunen, umspannt mit sogenanntem Nato-Draht, einer teuflisch präzisen Aneinanderreihung von Rasierklingen, die sich wie Widerhaken unter die Haut schneiden, um sie dann großflächig aufzureißen. Bereits 2012 errichtete Griechenland einen 12,5 Kilometer langen Sperrzaun zur türkischen Seite. Die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei ist ebenfalls in weiten Teilen mit Nato-Draht und Sicherheitszäunen befestigt.

Wo in Europa Grenzzäune entstehen

Auch um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla verlaufen martialische Grenzzäune. Nun ziehen andere Länder nach. 175 Kilometer Zaun und Stacheldraht hat Ungarn zu seinem Nachbarland Serbien ziehen lassen. Seit Oktober umzäunt Ungarn auch die Grenze zu Kroatien. Mazedonien will bis zu 15 Kilometer seiner Grenze zu Griechenland abriegeln. Slowenien baut bereits ein Drahtgeflecht zu Kroatien, das 80 Kilometer lang werden soll. Und Österreich errichtet auf einer Länge von vorerst 4,2 Kilometern einen Hochsicherheitszaun zum Nachbarn Slowenien.

Hilti und Geo-Alpinbau verdienen an der Flüchtlingskrise

Was für Menschen lebensgefährlich und für den Zusammenhalt der europäischen Gemeinschaft zumindest fragwürdig ist, verspricht einigen Unternehmen hingegen glänzende Geschäfte. Nicht nur das Tiroler Unternehmen Geo-Alpinbau profitiert vom politischen Versagen Europas. Auch beim Werkzeugkonzern Hilti sorgte das ungarische Zaunprojekt für volle Auftragsbücher. Dabei gibt es auch Unternehmen, die Lieferungen für den Zaunbau verweigern. Der Berliner Nato-Draht-Vertreiber Mutanox lehnte eine Lieferung nach Ungarn aus Gewissensgründen ab. Das Netz feiert die Geschäftsführer seitdem als Helden. Doch wer sind die Unternehmen, die das Material zur Festung Europa liefern? Und welche Verantwortung tragen Unternehmen in humanitären Katastrophen wie der Flüchtlingskrise?

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Helmut Ortler von Geo-Alpinbau interessieren ganz andere Fragen. Es sind technische Fragen. Die wichtigste: Wie viele Menschen kann sein Zaun abhalten. Eine tatkräftige Antwort erhielt der Tiroler von der bayrischen Polizei. 30 Mann in voller Montur ließ diese gegen den Zaun anstürmen. „Beprobung“ nennen sie das im Imster Unternehmen. „Die Polizisten haben versucht, unseren Zaun zu übersteigen, zu untergraben und niederzureißen“, erzählt ein Mitarbeiter von Geo-Alpinbau. Nachdem das Stahlgeflecht aus Tirol nicht kleinzukriegen war, entschied die bayrische Polizei das Gelände beim G7-Gipfel im vergangenen Juni damit zu sichern. 7,5 Kilometer Zaun mietete die Polizei von Ortler. Mehr als zwei Millionen Euro kostete die Umzäunung rund um das Schloss Elmau.

Zäune sollen Flüchtlinge nur "umleiten"

Vergangene Woche griff auch das österreichische Innenministerium zu. 4,2 Kilometer Sicherheitszaun mieten die Österreicher von Geo-Alpinbau, um die aus Slowenien kommenden Flüchtlinge „umzuleiten“, wie österreichische Politiker das ausdrücken. Ausschlaggebend für die Wahl von Geo-Alpinbau war die technische Besonderheit des Zauns, der auch im unwegsamen Waldgelände verbaut werden kann. Gerade rodet das österreichische Bundesheer das Gelände, und Geo-Alpinbau bohrt die Stahlanker in den Boden. Rund zweieinhalb Meter soll der Zaun hoch werden, im Kernbereich sind es vier Meter.

Für Gewissensbisse sorgt das Grenzprojekt bei Geo-Alpinbau nicht. „Der Zaun ist in diesem Fall ja ein reines Leitsystem, damit die Flüchtlinge zur richtigen Stelle finden“, sagt Ortler. Ein Mitarbeiter ergänzt: „Genauso gut könnte man dort Pfeile oder Schilder anbringen.“ Würde Ortler denn den Bau anderer Grenzzäune ablehnen? Ortler sagt, die Politik müsse entscheiden, wo Zäune gebaut werden.

Mutanox hat Skrupel, Nato-Draht gegen Kinder einzusetzen

Talat Deger ist in der Sicherheitsbranche eine bekannte Größe. Der 39-Jährige ist Mitgründer und Geschäftsführer beim Berliner Metallgroßhändler Mutanox, einem internationalen Vertreiber von Nato-Draht. Die europäische Flüchtlingskrise erreichte Deger diesen Sommer auf einer Urlaubsfahrt durch Serbien, als ihm auf der Autobahn Hunderte Flüchtlinge entgegenkamen. „Ich habe überhaupt nicht verstanden, was da los war. Das war einfach nur irre.“

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Doch Degers Reise durch Serbien sollte noch irrer werden. Kurz nach dem Erlebnis auf der Autobahn rief ihn ein Kollege an: Ein Großauftrag aus Ungarn sei gekommen, eine Behörde und mehrere Unternehmen haben 10.000 Rollen Nato-Draht für den Bau des Grenzzauns geordert. Auftragsvolumen: rund 500.000 Euro.

Nato-Draht und Spendensammlungen bei Hilti

Deger rief Murat Ekrek an, den zweiten Geschäftsführer von Mutanox, und sie berieten sich. Die Ungarn, so viel war klar, wollten den Nato-Draht ungesichert auf die Erde legen. „Stell dir vor, da läuft ein Kind rein. Das kann doch sterben“, sagte Deger. Ekrek sah das genauso. Danach haben sie ihre Mitarbeiter angewiesen, keinen Nato-Draht an Ungarn zu verkaufen. Für Deger und Ekrek war die Sache damit erledigt.

Den Draht haben die Ungarn statt aus Berlin nach der Absage von Mutanox aus anderen Ländern bezogen. Auch Hilti ließ sich das Geschäft mit der ungarischen Grenzbarriere nicht entgehen. Rund 720.000 Euro verdiente Hilti Ungarn mit Direktbefestigungsgeräten und Verbrauchsmaterial für den Grenzzaun. Für Mitarbeiter des Liechtensteiner Konzerns wirft das Geschäft Fragen auf. Ein Insider erzählt, dass der Konzern sich intern weltoffen und liberal gegenüber Flüchtlingen zeigen würde. Sogar zu Spendensammlungen habe man die Mitarbeiter aufgerufen. „Wie passt denn diese Hilfe mit dem Zaunprojekt zusammen?“, fragt der Mitarbeiter nachdenklich.

In Tirol haben die Mitarbeiter von Geo-Alpinbau hingegen kein Problem mit ihrem Grenzzaun. „Schon wieder ein Journalist“, fragt ein Mitarbeiter beim Besuch der WirtschaftsWoche, „kommen Sie wegen der Seilbahn auf der Zugspitze?“ Als er die Antwort hört, scheint er sich fast zu freuen. Endlich kann er einmal über den Sicherheitszaun reden.

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