Max Aengevelt "Der Westen verhält sich falsch gegenüber Russland"

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„Wir müssen Russland abholen und an die EU heranführen“

Die Begründung für das Fernbleiben war damals die Verstöße gegen die Menschenrechte, darunter das harte Vorgehen gegen die Punkband Pussy Riot oder die Diskriminierung von Schwulen. Hinzu kam die Unterstützung Russlands für die ukrainische Regierung in ihrem harten Auftreten bei den Maidan-Unruhen.
Die Frage ist doch, wie ich als Westen da reagiere, ob ich eskaliere oder deeskaliere. Für Putin muss das Fernbleiben westlicher Regierungschefs ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Ich bin überzeugt, dass Putin eine Integration mit dem Westen will. Er hat schon 2007 Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Russland und der  EU begonnen. Das war lange bevor die USA das Freihandelsabkommen TTIP ins Spiel gebracht haben, das nun mit der EU praktisch endverhandelt ist. Das zeigt, welches Hirngespinst im Westen verbreitet wird, wenn es heißt, Putin wolle so etwas wie die alte Sowjetunion neu aufleben lassen. Er weiß er genau, dass eine Freihandelszone mit Weißrussland, Kasachstan, Armenien und der Ukraine ohne eine Integration mit der EU für Russland nicht das Ziel sein kann. Die Stärkung der sogenannten Customs Union aus Russland, Weißrussland und Kasachstan bedient vorrangig das Sicherheitsbedürfnis Russlands nach einer Pufferzone.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Wie hätte der Westen denn reagieren sollen, nachdem Putin entschieden hatte, die militärische Karte zu spielen?
Ich denke, dass hier nicht der Westen, sondern dass Russland reagiert hat. Es ging los mit den Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew, wo die Menschen die korrupte und verfilzte Regierung – nebenbei: eine gewählte – loswerden wollten. Hier ist der Westen eindeutig auf die Entwicklung aufgesprungen und hat die Installation einer prowestlichen Regierung unterstützt, ohne Russland mit ins Boot zu nehmen und dessen Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Dass der Westen glaubte, im Hinterhof Russlands eine tendenziell antirussische Rebellion mit lostreten zu können, ohne dass Russland reagieren würde, war mindestens naiv.

Die Forderung, Russland einzubinden, klingt nicht viel überzeugender als die Worte vieler westlicher Politiker, gegenüber Russland Stärke zu zeigen.
Deutschland hat über Jahrzehnte mit Russland verhandelt, hat friedliche Beziehungen aufgebaut, die Teilung unseres Landes überwunden und Geschäfte gemacht. Und das zum Teil mit Regierungschefs, die wesentlich radikalere Ansichten vertreten haben, als Putin dies heute tut. Wir müssen Russland abholen und an die EU heranführen und dürfen uns nicht einen Konflikt aufzwingen lassen. Denken Sie doch mal drüber nach, dass die EU – zusammen mit Russland – auf lange Zeit der größte Wirtschaftsblock der Welt wäre. Das würde für uns bedeuten: Energiesicherheit, unbegrenzten Zugang zu einem noch nicht entwickelten hochlukrativen großen Wirtschaftsraum und am allerwichtigsten Frieden und Stabilität auf unserem Kontinent. Russland ist unserer geografischer Nachbar, nicht die USA, also müsste doch eine Ost-Partnerschaft unserer vornehmliches Interesse seien, und wir sollten dahin gehend auch unsere außenpolitischen Bemühungen vorrangig entfalten.

Geschäfte mit Russland

Wie sehen Sie die Rolle der Bundesregierung in dieser Frage?
Die Bundesregierung vertritt das stärkste Land in der EU und hat bestimmt am meisten Einfluss auf Russland. Die unabhängigen Meinungsbildner in der Ukraine erwarten, dass die Bundesregierung diese Position innerhalb der EU nutzt sowie gegenüber Russland, um einen Kompromiss zu finden. Auch sollte Deutschland hier somit die Schlüsselrolle übernehmen und nicht die USA, denen viele Ukrainer misstrauen. Man ist der Überzeugung, dass die USA Russland als seinen natürlichen Gegenspieler sieht und dass die Ukraine lediglich den USA als ein Keil zwischen dem vermeintlichen Westen und Osten dient.

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