Das Steuerrecht kennt César Martínez aus dem Effeff. Martínez hat die Wirkungen von kommunalen Gebühren untersucht, ihre Folgen für die Bürger und für die Rechtsordnung. Die Forschungsaufenthalte in Amsterdam, Münster und Köln haben seinen Blick auf das Fach geschärft. An der Autonomen Universität Madrid hat Martínez als wissenschaftlicher Mitarbeiter nun alles festgezurrt und zu einer juristischen Doktorarbeit niedergeschrieben. Bald gibt der 29-Jährige ab. Kurz danach läuft sein Arbeitsvertrag aus.
"Bis jetzt hat mir keiner meiner Vorgesetzten gesagt, wie es weiter geht", sagt Martínez. "Am wahrscheinlichsten ist, dass ich arbeitslos werde". Er senkt seine Stimme und atmet tief durch.
Krise und Arbeitslosigkeit in Spanien
Spanien hat mit 22,4 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union. Bei Jugendlichen unter 25 Jahren lag sie im Jahresdurchschnitt 2011 bei 46,4 Prozent, im ersten Quartal 2012 stieg sie schon auf 52,1 Prozent - ebenfalls ein Negativ-Rekord in der EU. Von den im Mai registrierten 3,3 Millionen arbeitslosen Jugendlichen in der Eurozone lebten 921 000 in Spanien.
Die spanischen Jugendlichen sind Hauptopfer des schrumpfenden Arbeitsmarktes. In Zeiten wirtschaftlicher Krise bevorzugen die Unternehmen bei Einstellungen hochgebildete Fachkräfte mit viel Erfahrung. Für viele Jugendlichen unter 25 Jahren bleibt als einzige Alternative die Zeitarbeit. Mehr als 57 Prozent der erwerbstätigen spanischen Jugendlichen haben - oft schlecht bezahlte - Zeitverträge.
Als wichtigste Ursachen der hohen Jugendarbeitslosenquote in Spanien gelten ein früher Schulabbruch und das große Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot am Arbeitsmarkt. Vor allem bei Jugendlichen mit Hochschulabschluss ist das Angebot unverhältnismäßig groß und die Arbeitslosenquote im Vergleich zu den restlichen EU-Ländern hoch. Als weiteren Faktor nennen Experten die geringe Effektivität der Beschäftigungspolitik.
Die spanische Regierung hat im Februar eine Arbeitsmarktreform beschlossen, die Steuervergünstigungen für jene kleinen und mittleren Unternehmen vorsieht, die jugendliche Arbeitslose unter 30 Jahren einstellen. Der Vertrag enthält allerdings eine Probezeit von einem Jahr, in der die jugendlichen Arbeitnehmer ohne Abfindung entlassen werden können.
Seinem Kollegen Javier Frutos, geht es wenig besser. Doch er nimmt es mit Humor. Eigentlich wollte der Bücherwurm Frutos ja nur Bücher lesen, als er sich um eine Diplomatenkarriere im spanischen Außenministerium bemühte. "Don De Lillo, Thomas Pynchon", Frutos lacht als er die Liste seiner Lieblingsautoren runterbetet. Doch von einem Tag auf den anderen strich das Außenministerium ungefähr die Hälfte der knapp 30 ausgeschriebenen Stellen. Frutos dachte sich: Na gut, dann gehe ich halt an die Uni. Er machte ein Master und begann seine Doktorarbeit in EU-Recht.
Einen Doktortitel, aber keine Arbeit
Früher war es für Überflieger wie Frutos und Martínez eine recht einfache Entscheidung. Mit einem guten Zeugnis zum Doppelabschluss in Jura und Politik hätten sie an der Uni weiterarbeiten können. Doch heute sparen die Universitäten in Madrid an allen Ecken – am Papier, am Strom, an der Heizung. Bald werden Frutos und Martínez einem Doktortitel in der Tasche haben, doch keine Arbeit.
"Ich glaube, ich werde nach Deutschland gehen", sagt César Martínez. Die Zeit ist gekommen, um dem Land in dem er geboren ist, den Rücken zu kehren.
Spanien kann seinen Kindern nicht mehr viel bieten. Keine Generation von Spaniern hat so viel von dem Wohlstand des Landes profitiert.
Dieser Wohlstand hat nicht nur eine enorme Immobilienblase hervorgebracht, sondern auch eine gut ausgebildete Jugend. Frutos und Martínez sind typische Repräsentanten dieser Jugend. Nach Angaben der OECD haben 38 Prozent der spanischen Bevölkerung einen Hochschulabschluss. Mit dieser Quote liegt Spanien oberhalb des OECD-Durchschnitts. Zum Vergleich: Nur 26 Prozent der Deutschen haben eine Hochschule besucht.
"Überall das selbe Thema: Bleiben oder gehen?"
Und doch liegt das Talent der spanischen Jugend brach. Ende des Jahres 2011 befanden sich laut dem europäischen Statistikamt Eurostat knapp 49 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit. Am meisten betroffen sind nach einer Studie der spanischen Bank BBVA Personen ohne Hochschulabschluss. Doch auch knapp 30 Prozent der spanischen Jungakademiker hat derzeit kaum eine Chance, eine Arbeit zu finden.
So könnte das Banken-Rettungspaket aussehen
Ein Rettungspaket für Slowenien könnte sich an den Hilfen für die maroden Banken Spaniens orientieren. Dort wird der Kredit im Volumen von bis zu 100 Milliarden Euro durch den spanischen staatlichen Bankenrettungsfonds FROB geleitet. Die Banken, die Gelder benötigen, können darauf zurückgreifen. Bei der Summe ist eine „Sicherheitsspanne“ mit einkalkuliert. Slowenien braucht nur maximal ein Zehntel der Summe.
Auch Slowenien könnte einen Bankenrettungsfonds ins Leben rufen, der die volle Verantwortung für die Finanzhilfe behält und die Vereinbarung unterzeichnet. Beim spanischen Pendant heißt es: Die Bedingungen sollen sich „auf spezifische Reformen im Finanzsektor konzentrieren”.
Die Fortschritte, die die Hilfsempfänger wie Spanien bei strukturellen Reformen und dem Defizitabbau machen, sollen „parallel zur Finanzhilfe eng und regelmäßig überwacht” werden.
Damit Slowenien Hilfe bekommen kann, muss das Land - wie Spanien - einen offiziellen Rettungsantrag stellen. Dem müssen die Euro-Partner zustimmen. Offen ist, ob die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder der permanente Rettungsschirm Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) den Kredit zur Verfügung stellen wird. Die Kredite des ESM sind gegenüber anderen Verbindlichkeiten vorrangig eingestuft.
Für Spanien soll der Zinssatz für den Kredit bei drei Prozent liegen, berichtet die Zeitung "El Pais". Mit einem ähnlichen Zinssatz müsste auch Slowenien rechnen.
Die Folge: Die Menschen überlegen zunehmend, ob sie das Land verlassen sollen. Das spanische Statistikamt hat dazu jüngst Zahlen veröffentlicht. Demnach haben in den ersten sechs Monaten des Jahres 2012 etwa 40.000 Spanier das Land verlassen, ungefähr 44 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Vorbei sind die Zeiten, als Spanien Saisonarbeiter aus Marokko und Südamerika anzog. Das Einwanderungsland Spanien wandelt sich zum Auswanderungsland.
Die Generation von Spaniern, die das Land verlässt, ist wissbegierig, gut ausgebildet und hat Erfahrung im Ausland gesammelt. Personen wie Jorge Ramón Muñoz zum Beispiel. Muñoz ist 24 Jahre jung, er hält ein Doppelabschluss Informatik und BWL in der Hand. Sein BWL-Studium schloss er im Juni an der Uni in Kopenhagen ab. "Als ich zurückkehrte, war die Stimmung unter meinen Freunden sehr bedrückt", erzählte er, "überall sprechen sie nur noch von einem Thema: Soll ich bleiben oder gehen?"
Für Muñoz ist die Sache klar: "Ich werde im Ausland nach einer Arbeit suchen. USA, Skandinavien, Asien egal. Hauptsache ich werde gut bezahlt und finde einen Job, der meiner Qualifikation entspricht". Jemand wie Muñoz dürfte die Qual der Wahl haben. Die Sommer verbrachte er nicht am Strand sondern an Sommeruniversitäten in England und den USA. "Er ist ein brillanter Student", sagt einer, der ihn aus nächster Nähe kennt.
Ist das langfristig nicht eine Gefahr für Spanien, wenn Leute wie Muñoz das Land verlassen? Verliert das Land nicht die Leute, die es zur Entwicklung von Wirtschaft und Industrie dringend bräuchte?
Ausgaben für Forschung um 25 Prozent gekürzt
"Nicht unbedingt" erwidert Albert Sabater vom katalonischen Forschungszentrum an der Autonomen Universität Barcelona CED. "Wir befinden uns gerade am Anfang dieser Migrationswelle und wir wissen nicht, ob die Ausgewanderten nach einiger Zeit wiederkehren werden." Sabater ist skeptisch, er möchte nicht automatisch von einer Intelligenz-Abwanderung sprechen. "Es ist gut möglich, dass es sich um eine zirkuläre Migration handelt – Menschen gehen und kehren nach einer gewissen Zeit wieder". Außerdem: "Nicht alle Personen, die das Land verlassen, sind mit einem Hochschulabschluss gesegnet". Davon gibt es in Spanien auch reichlich. Die Quote derjenigen, die kein Hochschule besuchen oder frühzeitig die Schule abbrechen liegt bei 30 Prozent.
Wer sich um das heimische Wissenschaftspotenzial Sorgen mache, so Sabater, der soll lieber dafür sorgen, dass die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung langfristig wieder fließen. Diese hatte die Regierung in Madrid für 2012 im Vergleich zu 2011 bereits um 25 Prozent gestrichen. Für das kommende Jahr werden die Forscher weitere 15 Prozent der Gelder an den Sparmaßnahmen verlieren. "Ich würde zurzeit nicht nach Spanien gehen", sagte die Pharmakologin Nadezda Apostolova jüngst der Tageszeitung "El Pais". Apostolova kam vor zehn Jahren aus Mazedonien mit einem Stipendium zum Studieren nach Spanien.
Immer mehr Spanier lernen Deutsch
Nun verzichten viele auf die iberische Küche und die langen Madrider Nächte. Das Goethe-Institut in der spanischen Hauptstadt bekommt das direkt zu spüren. Seit 2010 ist die Zahl der Einschreibungen um 35 Prozent gestiegen, wie die Spracheinrichtung neulich verkündete. Zehn neue Deutschlehrer sind im vergangenen Jahr zum Institut gestoßen, das nun auch Kurse wie "Deutsch im Beruf" und "Meine Bewerbung für Deutschland" anbietet. Auch in Deutschland hat sich das gestiegene Interesse nach der deutschen Sprache bemerkbar gemacht. So haben die Carl Duisberg Centren (CDC) in ihren Sprachschulen in Berlin, Köln, München und Radolfzell am Bodensee seit Mitte letzten Jahres eine erhöhte Zahl von Teilnehmern aus Spanien registriert. Die Steigerung belaufe sich in diesem Zeitraum auf fast 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie ein Sprecher der CDC mitteilt.
Verständigungsprobleme wird der Jurist Martínez nicht haben. Auf seinen Forschungsaufenthalten in Deutschland hat er die Sprache gelernt. Und er hat Glück: seine Freundin ist eine Ingenieurin, die sich durchaus vorstellen könnte Deutschland zu ziehen. Wäre das Land in Zentraleuropa auch ein Ort für den Überflieger Muñoz? Das Land fällt nicht in seine engere Auswahl. Aber: "Wenn ich eine Bewerbung an BMW oder Audi schicke und die antworten, dann schaue ich mir das natürlich an".
Andere Akademiker in Spanien hatten nicht viel Zeit zu grübeln. Sie waren die ersten, die in der Krise ihre Jobs verloren haben. Und sie sind die Opfer des eigenen Erfolgs geworden: Nach den Zeiten der wilden Immobilienspekulation und dem Betonburgenboom, die jetzt zu Geistersiedlungen verkommen sind, sind Bauingenieure und Architekten in Spanien zurzeit überhaupt nicht mehr gefragt.