Migrationspartnerschaften mit Afrika Wie die EU Einwanderung drosseln will

Flüchtlingsabkommen mit Ägypten, Libyen oder Nigeria? Wie sich die Europäische Union ihre „Migrationspartnerschaften“ vorstellt und warum Asylverfahren in Nordafrika reizvoll klingen, aber unrealistisch sind.

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Oktober 2016: Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nach Mali, Niger und Äthiopien, um für eine bessere Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern zu werben, hier in Niamey im Niger. Quelle: dpa

Für Menschenrechtsorganisationen sind die Pläne der EU inakzeptabel. Die Europäer könnten das Türkei-Abkommen, das aus ihrer Sicht das Recht auf Asyl außer Kraft setzt, auf andere Staaten ausweiten. Ägypten, Tunesien, Libyen, Marokko – Flüchtlinge und Migranten sollen Nordafrika nicht mehr in Richtung Europa verlassen. Die Europäer sprechen von „Migrationspartnerschaften“. Was es damit auf sich hat – fünf Fragen und Antworten.

1. Wie ist die Flüchtlingssituation derzeit?

Noch im März blickten die Europäer vor allem in Richtung Ägäis, Griechenland und die Türkei. Damals kamen jeden Tag zigtausende in die Europäische Union, darunter viele Syrer, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland flohen, aber auch Afghanen oder Pakistaner, die kaum Aussicht auf Asyl in Europa haben. Mittlerweile ist die Lage anders. Das Türkei-Abkommen ist seit März in Kraft, die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge hat sich deutlich verringert – von mehreren tausend auf maximal 100 pro Tag.

Dafür steigt der Zustrom aus einer anderen Region: Nordafrika. 173.000 Menschen sind in diesem Jahr bereits über das Mittelmeer nach Europa gekommen, etwa 30.000 mehr als im vergangenen Jahr. Die EU-Kommission geht davon aus, dass viele Menschen schon seit längerem in Libyen auf eine Überfahrt warten. Dass die Europäer nun über Flüchtlingsabkommen mit nordafrikanischen Staaten nachdenken zeigt jedenfalls, dass sie das Problem nun aktiv angehen wollen.

von Gregor Peter Schmitz, Cordula Tutt, Philipp Mattheis

2. Wie sollen Migrationspartnerschaften funktionieren?

Wem es gelingt, potentielle Migranten im eigenen Land zu halten oder wer sich bereit erklärt, abgelehnte Asylbewerber aus Europa zurückzunehmen, der erhält Geld. Das ist der grundsätzliche Gedanke. In dieser Woche hatte die EU einen Zwischenbericht vorgestellt. Demnach gebe es insbesondere in Niger, das südlich von Algerien liegt, gute Fortschritte, verkündete die EU-Kommission. Dort sei die Zahl der Menschen, die die Sahara durchqueren, von 70.000 im Mai auf 1500 im November gesunken. Brüssel begründete das mit dem verstärkten Kampf gegen Schlepper in der Region. Was die Europäer jetzt also Migrationspartnerschaften nennen, ist im Wesentlichen eine sehr gezielte Form von Entwicklungshilfe.

Kritiker dieser Politik argumentieren, die Europäer würden Diktatoren Geld dafür zahlen, dass die ihr Flüchtlingsproblem lösen. Josef Janning vom „European Council on Foreign Relations“ hält solche Abkommen aus normativen Gesichtspunkten zwar auch für falsch. „Die Gefahr ist hoch, dass wir autoritäre Regime stärken und aufwerten.“ Aber: Der Einfluss der Europäer auf die politische Lage in vielen Nachbarstaaten sei eben begrenzt. „Wenn es allein nach unseren demokratischen Maßstäben ginge, dürften wir mit kaum einem Land zusammenarbeiten. Das ist naiv und würde unsere Gesellschaften überfordern“, sagt Janning.

Die Chronologie der Flüchtlingskrise

3. Welche Probleme sind zu erwarten?

Schon die Zusammenarbeit mit der Türkei erweist sich als schwierig. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan baut seine Macht immer weiter aus, drangsaliert Minderheiten, Presse, Justiz, Wissenschaft und Kunst. Eine Demokratie ist die Türkei nicht mehr. In vielen (nord-)afrikanischen Staaten ist die Lage noch dramatischer. Libyen ist ein gescheiteter Staat, der kaum noch über staatliche Strukturen verfügt. Und die Militärdiktatur in Ägypten fällt auch nicht gerade durch eine vorbildhafte Menschenrechtspolitik auf.

Gerald Knaus, Chef der Europäischen Stabilitätsinitiative und Vordenker des Türkeiabkommens, plädiert dafür, erst mal die Vereinbarung mit Ankara zum Laufen zu kriegen. „Es ist noch nicht gelungen, die griechischen Asylbehörden davon zu überzeugen, dass die Türkei ein sicheres Drittland ist, oder die Türkei davon, alles zu tun um diese Zweifel auszuräumen“, erklärt Knaus. Bedeutet: Bislang werden kaum Menschen von Griechenland in die Türkei zurückgebracht, gerade mal 800 seit März, jeden Monat kommen aber 1.000 Menschen auf den griechischen Inseln an. Die Rückführungen, also der Kern des Abkommens, funktionieren nicht. „Und mit Libyen, Ägypten oder Tunesien soll das gehen? Die Vorstellung, dass diese Länder bald sichere Drittstaaten sind, ist absurd“, sagt Knaus.

Wie ein Türkei-Abkommen für Nordafrika aussehen könnte

Immer wieder wird auch darüber diskutiert, Asylverfahren direkt in afrikanischen Ländern durchzuführen. Die Idee klingt reizvoll: Niemand muss den gefährlichen Weg über das Mittelmeer wagen und erfährt in einem europäischen Asyl-Camp in einem nordafrikanischen Land, ob er in die EU als anerkannter Flüchtling einreisen darf. Für Knaus ist das eine Scheindebatte. „Welche EU-Asylmitarbeiter sollen Asylverfahren in Nordafrika machen, wenn es schon nicht gelingt, genügend Leute auf die Ferieninsel Lesbos zu bringen? Wer errichtet und betreibt diese Lager und garantiert ein faires Verfahren? Nach welchem Schlüssel sollen Flüchtlinge dann wohin verteilt werden? Dafür gibt es keine Pläne. Niemand arbeitet seriös daran.“

4. Sind Migrationspartnerschaften also aussichtlos?

Nicht zwangsläufig. Die Frage ist eher, wie Flüchtlingsabkommen mit afrikanischen Ländern angelegt sind. Gerald Knaus meint, dass die EU durchaus mit Herkunftsländern wie Nigeria, Senegal oder der Elfenbeinküste Abkommen schließen kann. All jene Bürger dieser Länder, die nach einem bestimmten Stichtag, etwa dem 1. Februar 2017, in Italien ankommen und deren Asylantrag dort in einem fairen Verfahren abgelehnt wurde, könnten dann schnell zurückgebracht werden. „Dieses Signal könnte eine ähnliche Wirkung wie beim Türkei-Abkommen haben.“ Der Türkei-Deal funktioniert bislang vor allem über das Prinzip Abschreckung, die EU-Chefs dürften auf einen ähnlichen Effekt in Nordafrika hoffen.

Visumfreiheit: Was die EU von der Türkei verlangt

Ohne Gegenleistung werden die (nord-)afrikanischen Staaten aber nicht mitziehen. Die Länder erwarten Geld. Josef Janning empfiehlt ein ähnliches Vorgehen, wie in der Türkei. „Wir müssen sicherstellen, dass europäische Hilfsgelder direkt den Flüchtlingen und Migranten zu Gute kommen und nicht von Regimen zweckentfremdet werden.“ Janning empfiehlt den EU-Staaten mit den entsprechenden Ländern gemeinsam Projekte durchzuführen. „Wenn die EU zusammen mit der Türkei, Jordanien oder afrikanischen Staaten Flüchtlingsprojekte aufsetzt, hat sie eine viel bessere Kontrolle darüber, was mit den Geldern passiert.“

Hilfsgelder für kooperative Staaten kommen in der Regel aus Nothilfe-Fonds für Afrika mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro. Die EU-Staaten haben bisher 82 Millionen Euro zugesagt - deutlich weniger als die ursprünglich angepeilten 1,8 Milliarden Euro.

5. Können Migrationspartnerschaften die Flüchtlingsproblematik lösen?

Derzeit sind etwa 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – trotzt jahrzehntelanger Entwicklungspolitik des Westens. Zudem geht der Krieg in Syrien mit größter Brutalität weiter. Kurzum: Es ist unwahrscheinlich, dass in den betroffenen Krisenregionen prosperierenden Gesellschaften und Ökonomien entstehen.

Und selbst wenn ein Land auf einem guten Weg zu sein scheint, sind Rückschläge jederzeit möglich. Beispiel Mali, mit dem kürzlich ein Rückführungsabgekommen geschlossen wurde. Die Bundesrepublik hat das westafrikanische Land über viele Jahre mit Hilfsgeldern unterstützt. Zunächst mit Erfolg: ein ethnischer Konflikt konnte beruhigt werden, demokratische Wahlen fanden statt – scheinbar ein Musterland.

Doch dann erlebte die Welt den arabischen Frühling, die Region destabilisierte sich, die alten Konflikte kochten wieder hoch und Terroristen kamen ins Land. Die Errungenschaften in Mali waren nicht von Dauer. „Selbst wenn es uns gelingt, Fluchtursachen zu bekämpfen und Demokratie zu fördern – manche interne Konflikte sind von außen schlichtweg nicht zu beeinflussen“, sagt Politikwissenschaftler Janning. Bei allem Engagement – aus welcher Motivlage auch immer heraus: Wir sollten unsere eigenen Fähigkeiten in der Region nicht überschätzen.

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