Nach dem Sieg von Emmanuel Macron bei der Präsidentenwahl in Frankreich werden die Rufe aus Deutschland nach einem Kurswechsel der Europäischen Zentralbank (EZB) lauter. "Es ist höchste Zeit, dass die EZB ein Ende der Niedrigzinspolitik einleitet", sagte der Präsident des Verbandes der Familienunternehmen, Lutz Goebel, am Montag nach der Niederlage der Euro-Gegnerin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National. "Mit dem brandgefährlichen Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen bereitet die EZB die nächste Finanzblase vor, vor allem finanziert sie den Reformunwillen in Europa." Wenn die EZB jetzt die Kehrtwende einleite, würden die Franzosen die Notwendigkeit von Reformen nachvollziehen können. "Macron könnte den Schwarzen Peter der EZB zuschieben, die ja nicht um eine Wiederwahl bangen muss, und damit seinen innenpolitischen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen", so Goebel.
Auch der CSU-Politiker Hans Michelbach fordert eine geldpolitische Wende: "Das ist schon lange überfällig", sagte der Unions-Obmann im Finanzausschuss des Bundestages. "Es ist meiner Meinung nach an der Zeit, das Signal für eine schrittweise Anpassung der EZB-Geldpolitik an die Wirtschafts- und Inflationsentwicklung zu senden und die Anleihenkäufe schrittweise zurückzuführen." Das würde das Vertrauen von Sparern und Märkten in die Geldpolitik stärken
Die EZB hält ihren Leitzins seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Damit sowie mit dem Kauf von Wertpapieren will sie die Konjunktur und die Inflation anschieben. Da die Wirtschaft der Euro-Zone im ersten Quartal mehr als doppelt so stark wuchs wie die der USA, die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern sinkt und auch die Preise deutlicher steigen, nehmen Spekulationen über einen Einstieg in den Ausstieg aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik zu. EZB-Direktor Yves Mersch plädiert für ein behutsames Vorgehen. "Jedwede Diskussion sollte natürlich in einer strukturierten, geordneten und angemessen umsichtigen Weise stattfinden", sagte das Mitglied des sechsköpfigen EZB-Führungsteams. Markterwartungen hinsichtlich Deflationsrisiken und weiterer Zinssenkungen hätten nachgelassen. "Und der Fokus beginnt sich in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik in der Zukunft zu verändern."
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Experten wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rechnen aber nicht mit einem raschen Kurswechsel. "Die Währungsunion kommt auch bei einem französischen Präsidenten Macron nicht zur Ruhe. Deshalb werden die Vertreter der hoch verschuldeten Länder im EZB-Rat weiter auf eine lockere Geldpolitik drängen." Krämer rechnet trotz der Wahl Macrons nicht damit, dass die EZB ihre Leitzinsen bereits in diesem oder im nächsten Jahr erhöht.
Die Wirtschaft erhofft sich von Macron Veränderungen. "Wenn sich der Reformstau in Frankreich in den kommenden Jahren auflösen würde, wäre das ein ermutigendes Signal für die wirtschaftliche Entwicklung Europas", erklärte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer. "Damit könnte sich Europa weiter aus der Krise arbeiten und die EZB zu einem normalen Zinsniveau zurückkehren."
Macrons wichtigste Aufgabe sei es, die Franzosen hinter seinem Reformprogramm zu versammeln, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf. "Wir in Deutschland wünschen uns ein starkes Frankreich in Europa." Der deutsche Markt ist das französische Exportziel Nummer eins, umgekehrt ist Frankreich Deutschlands zweitwichtigster Absatzmarkt nach den USA.