Wieso ist es überhaupt wichtig, wann die Verhandlungen beginnen?
May hatte Ende März offiziell den Austritt aus der EU beantragt, der Countdown hat damit begonnen, Großbritannien wird am 29. März 2019 aus der Staatengemeinschaft austreten. Für die hochkomplexen Verhandlungen bleibt damit nur sehr wenig Zeit. Sie sollen am 19. Juni beginnen und im Herbst 2018 abgeschlossen sein, denn danach müssen die EU-Staaten, die nationalen Parlamente und das EU-Parlament das ausgehandelte Abkommen noch billigen. Schon jetzt ist klar, dass es äußerst schwierig werden dürfte, in diesem knapp bemessenen Zeitraum Resultate zu erzielen.
Ist eine Fristverlängerung möglich?
Eine Verlängerung der Verhandlungen ist laut EU-Verträgen nur mit Zustimmung aller 28 Mitgliedsländer möglich. Das könnte also heikel werden, denn im Frühsommer 2019 finden die nächsten Wahlen zum Europaparlament statt. Bis dahin sollte Großbritannien eigentlich schon ausgetreten sein. Stellt sich auch nur ein Mitglied der übrigen 27 Partnerländer quer, könnte die Verlängerung scheitern. Das aber vergrößert das Risiko eines Abschieds ohne Übergangsfristen und ohne Aussicht auf ein neues Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU. Für britische und deutsche Unternehmen wäre das ein großes Problem.
Was ist das "hung parliament"?
Die Wahl in Großbritannien hat ein „hung parliament“ hervorgebracht - ein „Parlament in der Schwebe“, in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat. In Deutschland ist das ganz normal, im Vereinigten Königreich dagegen die Ausnahme. Was nun passiert, ist nicht in der Verfassung festgeschrieben, denn die haben die Briten in der klassischen Form nicht, dafür aber viele Traditionen. So geht es jetzt - sehr wahrscheinlich - weiter:
Premierministerin Theresa May (oder auch ein möglicher Nachfolger an der Spitze der Konservativen) muss für ihre Partei eine Mehrheit organisieren. Entweder über eine formale Koalition oder über einen „Deal“ mit anderen Parteien, etwa der nordirischen DUP, die eine konservativ geführte Minderheitsregierung unterstützen würden.
Die Zusammenarbeit von Tories und DUP gilt aktuell als wahrscheinlichste Option. Rein rechnerisch braucht eine Regierung mindestens 326 der 650 Sitze im Parlament. In der Praxis sieht das aber anders aus. Die nordirisch-republikanische Sinn Fein hat 7 Sitze gewonnen, schickt jedoch traditionell keine Abgeordneten nach London. Also reichen schon weniger Mandate als die genaue Hälfte der Sitze für eine „Arbeits-Mehrheit“ aus. Eine Möglichkeit wäre auch, für jede Abstimmung einzeln eine Mehrheit zu organisieren.
Wenn May keine Chance auf eine Regierung unter ihrer Führung sieht, geht sie zu Königin Elizabeth II. und reicht dort ihren Rücktritt ein. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionsführer Jeremy Corbyn auffordern, mit seiner Labour-Partei eine Regierungsbildung zu versuchen und ein Regierungsprogramm zu zimmern.
Die Queen mischt sich in all das übrigens nicht ein, sie ist politisch neutral. Egal, von wem es am Ende kommt: Das Regierungsprogramm liest die Königin als Staatsoberhaupt in der sogenannten Queen's Speech vor. Geplant ist das bisher für den 19. Juni. Es folgt eine rund fünf Tage dauernde Debatte darüber im Unterhaus. Dann wird abgestimmt - hierbei handelt es sich de facto um eine Vertrauenserklärung für die neue Regierung, also die Nagelprobe.
Sollte sie scheitern, hätte die Gegenseite das Recht auf den nächsten Versuch. Die Abstimmung gilt aber als reine Formsache, weil die Mehrheiten vorher feststehen sollten. Kann sich also niemand sicher sein, ein Regierungsprogramm durchs Parlament zu bekommen, dann müssen die Briten möglicherweise ein weiteres Mal wählen gehen.
Ist die Wahrscheinlichkeit eines „weichen“ Brexit als Konsequenz der Wahlen gestiegen?
Viele Experten und Kommentatoren glauben das, aber mit Sicherheit lässt sich das nicht behaupten. Da May nun so geschwächt ist und im Parlament nicht mehr über eine Mehrheit verfügt, werde sie auf die europafreundlicheren Parteien zugehen müssen, lautet das Argument. Während May nämlich aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion austeigen will und sich in Punkto Freizügigkeit kompromisslos gibt, macht sich Labour-Chef Jeremy Corbyn für den Verbleib im EU-Binnenmarkt stark. Er will zwar keine unkontrollierte Einwanderung aus der EU, hat aber bisher auch keine Zahlen genannt, die er als Obergrenze für den Zuzug von EU-Ausländern sehen möchte. Auch die Grünen und die Liberaldemokraten sind Befürworter eines weichen Brexit. Das allerdings gilt nicht für die protestantische Nordirland-Partei DUP auf deren Unterstützung May nun setzt. Und angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse könnte sie persönlich künftig auch stärker als bisher unter Druck der euroskeptischen Hinterbänkler in ihrer eigenen Partei geraten.
Wie groß sind denn nun die Chancen für einen Exit vom Brexit?
Diese Frage zeugt von Wunschdenken, das in Kontinentaleuropa immer noch weit verbreitet ist. Denn nicht nur die Tories sondern auch die Labour-Partei hat sich verpflichtet, das Ergebnis des Referendums im letzten Juni umzusetzen. Hinzu kommen klare Mehrheiten bei den Abstimmungen im Unter- und im Oberhaus, als es Anfang 2017 um die Aktivierung des Artikels 50 – also des sogenannten Austrittsparagrafen – ging. Eine Kehrtwende wäre zwar rein rechtlich möglich, politisch aber kaum durchsetzbar, denn damit würde sich die britische Regierung über den Willen des Volkes hinwegsetzen, das vergangenen Juni mit 52 Prozent für den Austritt gestimmt hatte.
Allerdings schließt das (siehe oben) nicht aus, dass man einen weichen Brexit propagiert, der den heutigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU sehr ähnlich sein könnte.