Die Briten wollen raus aus der EU – wie wirkt sich das Patt bei den Wahlen auf den Brexit aus?
Eigentlich sollten die offiziellen Scheidungsgespräche am 19. Juni, also in zehn Tagen, beginnen. Doch der Starttermin ist nun in Gefahr, denn es könnte sein, dass Großbritannien bis dahin noch keine Regierung, keinen Unterhändler und keine Strategie für die EU-Verhandlungen hat.
Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Termin platzt?
Langwierige Koalitionsverhandlungen oder ein Sturz der angeschlagenen Premierministerin Theresa May könnten den Zeitplan durcheinanderbringen. Am schlimmsten wäre es, sollten Neuwahlen fällig werden. May will aber derzeit trotz des schlechten Wahlergebnisses nicht zurücktreten. Sie ist fest entschlossen, eine Minderheitsregierung zu bilden. May hofft dabei auf die Tolerierung durch die protestantische irische Splitterpartei DUP. Noch am Freitagnachmittag sprach May bei Königin Elisabeth II. vor. Die Queen erteilte ihr den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung. Also könnte der Termin vielleicht doch noch eingehalten werden.
Pressestimmen zur Wahl in Großbritannien
Die Londoner „Times“ kommentiert am Freitag das schlechte Abschneiden der Konservativen bei den britischen Parlamentswahlen:
„Die Hoffnungen der Konservativen auf eine substanziell vergrößerte Mehrheit im Parlament sind in der vergangen Nacht mit einer überwältigenden Zurückweisung durch Wähler in Universitätsstädten bis hin zu Labour-Hochburgen zerschlagen worden. Mit dieser Wahl sollte Theresa Mays Führung ihrer Partei und des Landes zementiert werden und der Europäische Union sollte versichert werden, dass sie es bei den bevorstehenden Brexit-Verhandlungen mit einem starken und stabilen Partner zu tun hat. Doch nichts dergleichen wurde erreicht. Nun steht eine Periode des Durcheinanders bevor. Die Märkte werden entsprechend negativ reagieren. Europa wird mit Bestürzung zuschauen. (...) Die Folgen für die politische Stabilität, die Großbritannien dringend bräuchte, und für die Brexit-Verhandlungen, die in zehn Tagen starten sollen, können kaum überschätzt werden. So ist es nun zum Beispiel wenig wahrscheinlich, dass es im Parlament noch eine Mehrheit dafür gibt, dass Großbritannien den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt verlässt.“ „Theresa May hatte gehofft, vergangene Nacht die politische Landkarte Großbritanniens zu verändern. (...) Stattdessen wurde sie nach ersten Anzeichen gedemütigt und ihre Partei steht ohne Mehrheit da. Sie hat gezockt und verloren. Politische Konfusion wird folgen.“
„Am seidenen Faden: Theresa May stand vergangene Nacht vor dem sensationellsten politischen Desaster seit Generationen, als die Wahlprognose vorhersagte, dass sie ihre konservative Mehrheit verlieren würde. (...) Sollte sich dieses Ergebnis bestätigen, wenn alle Stimmen ausgezählt sind, wäre dies ein katastrophales Risiko, das eine schwache und wackelige Premierministerin eingegangen ist, die nach dieser kolossalen Fehleinschätzung nicht mehr lange in der Downing Street (Regierungssitz) haben könnte.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ meint: „May versuchte, die Wähler mit Slogans abzuspeisen. Sie behandelte sie nicht wie Erwachsene. Bezüglich der Verhandlungen mit Brüssel über den Austritt aus der EU hat May gesagt: „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal.“ Ein Leser der „Financial Times“ griff diese Aussage auf, als er den wohl treffendsten Leserbrief des Jahres formulierte: „Sir, ich befinde mich in meinem achten Lebensjahrzehnt und finde, dass dieser Wahlkampf der erste ist, der Grund zur Erwägung eines neuen Slogans gibt: ,Kein Premierminister ist besser als ein schlechter Premierminister.' Stehe ich damit allein?“ Die Antwort lautet: nein.“
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Welches Desaster! Es ist ein Desaster für Theresa May, die den Wählern doch Stärke und Festigkeit versprochen hatte, und für die Partei. Vor einem Jahr hatte David Cameron mit der Abstimmung über einen Brexit aufs falsche Pferd gesetzt; der Ausgang ist bekannt, er verlor und musste zurücktreten. Jetzt könnte seine Nachfolgerin derselbe politische Schicksalsschlag treffen. Die Entscheidung für Neuwahlen trifft sie in jedem Fall wie ein Bumerang! Keine gute Idee! Zwei Premierminister, zwei Entscheidungen, die ihnen den Boden unter den Füßen wegzogen.“
„Chaos: Theresa May hat gezockt - und es sieht aus, als ob sie verloren hat. Großbritannien wird bald den Preis für dieses Versagen herausfinden. (...) Sollte die Prognose von letzter Nacht richtig sein, stehen wir vor einer verheerenden Phase von Ungewissheit und Unsicherheit.“
„Prognosen-Schock für May: Theresa Mays Wagnis, eine vorgezogene Wahl nach einem großen Vorsprung der Konservativen in den Umfragen auszurufen, scheint(...) fehlgeschlagen zu sein.“
„Schock für May - Prognosen deuten auf „hung parliament“ hin: Theresa Mays Wahl-Wagnis könnte letzte Nacht nach hinten losgegangen sein. (...) Dieses Ergebnis - wenn es sich bewahrheiten sollte - zieht sowohl Frau May als Premierministerin als auch den Brexit in Zweifel.“
„Großbritannien auf Messers Schneide: Großbritannien steuerte vergangene Nacht auf ein „hung parliament“ zu, nachdem ein überraschender, starker Labour-Anstieg Jeremy Corbyn in die Downing Street befördern könnte. (...) Das Ergebnis stürzt Großbritannien ins politische Chaos.“
Die schweizer „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt: „Der Entscheid von Premierministerin May für vorgezogene Neuwahlen in Grossbritannien ist zu einem Albtraum geworden - nicht nur für May selbst, die ihr Amt verlieren könnte, sondern auch für das Land und für Europa.“
Zu den Parlamentswahlen in Großbritannien heißt es am Freitag in der belgischen Zeitung „De Tijd“:
„Mit der schmerzhaften Wahlniederlage streut die britische Premierministerin Zweifel nicht nur an ihrer Zukunft, sondern auch hinsichtlich der Brexit-Verhandlungen mit Brüssel. Der Ruf nach ihrem Rücktritt wird laut. Zum zweiten Mal in Folge verpassen sich die britischen Konservativen ein Eigentor. 2016 schoss sich David Cameron in den Fuß, indem er das Referendum über die EU-Mitgliedschaft ansetzte und es dann verlor. Ein Jahr später setzte Theresa May vorgezogene Neuwahlen in der Hoffnung an, eine große Mehrheit als Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel zu bekommen. Die wäre erforderlich, damit sie nicht zur Geisel von ein paar Dutzend radikal anti-europäischer Tories wird, für die jedweder Kompromiss unannehmbar ist. Auch dieses Vorhaben ist missglückt. (...) Die Kernfrage ist nun, was dies für das Brexit-Timing bedeutet. May hatte den Austrittsartikel 50 des EU-Vertrags am 29. März aktiviert. Seitdem läuft die Stoppuhr mit der Frist von zwei Jahren. Der britische EU-Unterhändler Michel Barnier hatte gehofft, die komplizierten Gespräche am 19. Juni beginnen zu können, um eine Chance zu haben, sie bis zum Frühjahr 2019 abrunden zu können. Das sieht nun nach einem frommen Wunsch aus.“
Der österreichische „Kurier“ meint: „Theresa May hat sich gehörig verzockt. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen hat die britische Premierministerin die angestrebte absolute Mehrheit ihrer Konservativen Partei knapp, aber doch, verpasst. Ohne Partei mit absoluter Mehrheit („hung parliament“) muss nun ein Koalitionspartner gesucht werden. Eine schwere Schlappe für May - oder, wie es der konservative Abgeordnete Nigel Evans ausdrückte: „Das war kein Schuss ins Bein, das war ein Schuss in den Kopf.““
Zu den vorgezogenen Parlamentswahlen in Großbritannien schreibt die konservative französische Tageszeitung „Le Figaro“:
„Geht sie, geht sie nicht? Diese Frage treibt alle um an diesem Morgen, nach den (...) für Theresa May fatalen Wahlen. Es ist nunmehr klar, dass die von der Premierministerin geführte konservative Partei keine absolute Mehrheit im Parlament haben wird. Ihre Fähigkeit, eine „feste“ Regierung zu leiten, wird bezweifelt. Und dieses persönliche Scheitern stellt ihre Position in Frage. (...)
Falls Theresa May gehen sollte, wäre sie die britische Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit seit 94 Jahren. Sie kam vor 330 Tagen in die Downing Street, am 13. Juli 2016.“
Die italienische „La Repubblica“ schreibt: „In der Politik sind nicht immer die guten Nachrichten dazu da, um den Horizont aufzuhellen. Wenn Großbritannien immer noch integrierter Teil der Europäischen Union wäre, dann wäre die Niederlage von Theresa May, die sich in Hochrechnungen abgezeichnet hat, ein großartiger Sieg für Europa. Da aber London von Brüssel aus gesehen nur noch ein Gesprächspartner ist, mit dem man hart verhandelt, vergrößert die Aussicht auf ein „Parlament in der Schwebe“ das Schreckgespenst des Scheiterns, das über den Brexit-Verhandlungen schwebt.“
In der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“ heißt es: „Oh, oh, oh. Welch schrecklicher Fehler von Theresa May, eine völlig unnötige Wahl auszurufen. Jetzt schon schärfen ihre Parteifreunde die Messer und spekulieren darüber, wer die Führung übernehmen soll. Auf Großbritannien wartet eine chaotische politische Zukunft.“
Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ kommentiert am Freitag die Wahl in Großbritannien:
„Theresa May hat einen spektakulären Fehler begangen. Obwohl sie bis 2019 hätte regieren und die Verhandlungen zur Trennung von Brüssel beenden können, ist sie der Versuchung erlegen, vorzeitige Wahlen auszuschreiben, um die Mehrheit im Parlament zu festigen. (...) Jetzt könnte sie, wie die Exit Polls zeigen, ohne alleinige Mehrheit der Konservativen an der Spitze einer wackeligen Koalition landen oder sogar in die Opposition übergehen. (...)
So wie ihr Vorgänger David Cameron, der sicher war, das Referendum zum EU-Verbleib zu gewinnen, hat May ihr Ziel verfehlt. Sie hat vergessen, dass sie nicht die neue Margaret Thatcher ist, sondern eher Premierministerin aus Zufall: Als die Brexit-Befürworter mit Boris Johnson an der Spitze im vergangenen Jahr nicht die Verantwortung für das Land übernehmen wollten, griffen die Konservativen nach May, weil sie keine eindeutigen Meinungen vertrat und niemandem übermäßig im Weg stand.“
Die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien schreibt am Freitag zur Unterhauswahl in Großbritannien:
„Das neue Kabinett wird nicht einmal zwei Wochen Zeit haben, um sich zu orientieren. Denn dann beginnen die Verhandlungen mit der EU über den Brexit, die bis zum 30. März 2019 abgeschlossen sein sollen. (...) Theresa May wollte mit dieser vorgezogenen Wahl ein starkes Mandat für die Verhandlungen gewinnen - das ist ihr nach ersten Schätzungen nicht geglückt. Beide großen Parteien, sowohl die regierenden Konservativen als auch die oppositionelle Labour-Partei, haben den Wählern versprochen, ihre Austrittsentscheidung aus dem Referendum vom vorigen Jahr zu respektieren. Sehr wohl gibt es aber Unterschiede in den Einzelheiten.“
Die linksliberale slowakische Tageszeitung „Pravda“ kommentiert am Freitag die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens gegen US-Präsident Donald Trump:
„Ein abgenutztes Klischee aus den Zeiten von Al Capone besagt, es sei nicht wichtig, weshalb man den Bösewicht fange, Hauptsache man fange ihn. In die Welt der Politik übertragen heißt das: (Donald) Trump sollte erstens niemals Präsident werden und zweitens, wenn er es schon werden konnte, dann sollte er wegen seiner katastrophalen Inkompetenz gehen müssen. Wird er aber letztlich wegen des Verdachts der Verbrüderung mit einer fremden Macht oder wegen Behinderung der Justiz und Machtmissbrauchs zum Rücktritt gezwungen, dann zeigen schon jetzt Umfragen, was für ein großer Teil der Amerikaner aufatmen wird. Und sie werden nicht allein sein.“
Und wenn nicht?
EU-Chefunterhändler Michel Barnier gibt sich konziliant: Die Gespräche sollten beginnen, wenn das Vereinigte Königreich bereit dafür sei, erklärte er und forderte alle Seiten auf, an einer Einigung zu arbeiten. Der Zeitplan und die Positionen der EU seien klar. Die Verhandlungspositionen der Briten sind dagegen noch recht schwammig.
Wer ist Barniers Counterpart auf britischer Seite?
Noch ist das nicht klar. Bleibt May Regierungschefin, könnte sie erneut ihren bisherigen Brexit-Minister David Davis beauftragen. Er hatte für den Austritt aus der EU gekämpft und gilt eigentlich als Verfechter eines harten Brexit, obwohl er in jüngster Zeit in der Einwanderungspolitik Kompromissbereitschaft signalisierte.
Könnte die Frist für den Brexit verlängert werden?
Wieso ist es überhaupt wichtig, wann die Verhandlungen beginnen?
May hatte Ende März offiziell den Austritt aus der EU beantragt, der Countdown hat damit begonnen, Großbritannien wird am 29. März 2019 aus der Staatengemeinschaft austreten. Für die hochkomplexen Verhandlungen bleibt damit nur sehr wenig Zeit. Sie sollen am 19. Juni beginnen und im Herbst 2018 abgeschlossen sein, denn danach müssen die EU-Staaten, die nationalen Parlamente und das EU-Parlament das ausgehandelte Abkommen noch billigen. Schon jetzt ist klar, dass es äußerst schwierig werden dürfte, in diesem knapp bemessenen Zeitraum Resultate zu erzielen.
Ist eine Fristverlängerung möglich?
Eine Verlängerung der Verhandlungen ist laut EU-Verträgen nur mit Zustimmung aller 28 Mitgliedsländer möglich. Das könnte also heikel werden, denn im Frühsommer 2019 finden die nächsten Wahlen zum Europaparlament statt. Bis dahin sollte Großbritannien eigentlich schon ausgetreten sein. Stellt sich auch nur ein Mitglied der übrigen 27 Partnerländer quer, könnte die Verlängerung scheitern. Das aber vergrößert das Risiko eines Abschieds ohne Übergangsfristen und ohne Aussicht auf ein neues Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU. Für britische und deutsche Unternehmen wäre das ein großes Problem.
Was ist das "hung parliament"?
Die Wahl in Großbritannien hat ein „hung parliament“ hervorgebracht - ein „Parlament in der Schwebe“, in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat. In Deutschland ist das ganz normal, im Vereinigten Königreich dagegen die Ausnahme. Was nun passiert, ist nicht in der Verfassung festgeschrieben, denn die haben die Briten in der klassischen Form nicht, dafür aber viele Traditionen. So geht es jetzt - sehr wahrscheinlich - weiter:
Premierministerin Theresa May (oder auch ein möglicher Nachfolger an der Spitze der Konservativen) muss für ihre Partei eine Mehrheit organisieren. Entweder über eine formale Koalition oder über einen „Deal“ mit anderen Parteien, etwa der nordirischen DUP, die eine konservativ geführte Minderheitsregierung unterstützen würden.
Die Zusammenarbeit von Tories und DUP gilt aktuell als wahrscheinlichste Option. Rein rechnerisch braucht eine Regierung mindestens 326 der 650 Sitze im Parlament. In der Praxis sieht das aber anders aus. Die nordirisch-republikanische Sinn Fein hat 7 Sitze gewonnen, schickt jedoch traditionell keine Abgeordneten nach London. Also reichen schon weniger Mandate als die genaue Hälfte der Sitze für eine „Arbeits-Mehrheit“ aus. Eine Möglichkeit wäre auch, für jede Abstimmung einzeln eine Mehrheit zu organisieren.
Wenn May keine Chance auf eine Regierung unter ihrer Führung sieht, geht sie zu Königin Elizabeth II. und reicht dort ihren Rücktritt ein. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionsführer Jeremy Corbyn auffordern, mit seiner Labour-Partei eine Regierungsbildung zu versuchen und ein Regierungsprogramm zu zimmern.
Die Queen mischt sich in all das übrigens nicht ein, sie ist politisch neutral. Egal, von wem es am Ende kommt: Das Regierungsprogramm liest die Königin als Staatsoberhaupt in der sogenannten Queen's Speech vor. Geplant ist das bisher für den 19. Juni. Es folgt eine rund fünf Tage dauernde Debatte darüber im Unterhaus. Dann wird abgestimmt - hierbei handelt es sich de facto um eine Vertrauenserklärung für die neue Regierung, also die Nagelprobe.
Sollte sie scheitern, hätte die Gegenseite das Recht auf den nächsten Versuch. Die Abstimmung gilt aber als reine Formsache, weil die Mehrheiten vorher feststehen sollten. Kann sich also niemand sicher sein, ein Regierungsprogramm durchs Parlament zu bekommen, dann müssen die Briten möglicherweise ein weiteres Mal wählen gehen.
Ist die Wahrscheinlichkeit eines „weichen“ Brexit als Konsequenz der Wahlen gestiegen?
Viele Experten und Kommentatoren glauben das, aber mit Sicherheit lässt sich das nicht behaupten. Da May nun so geschwächt ist und im Parlament nicht mehr über eine Mehrheit verfügt, werde sie auf die europafreundlicheren Parteien zugehen müssen, lautet das Argument. Während May nämlich aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion austeigen will und sich in Punkto Freizügigkeit kompromisslos gibt, macht sich Labour-Chef Jeremy Corbyn für den Verbleib im EU-Binnenmarkt stark. Er will zwar keine unkontrollierte Einwanderung aus der EU, hat aber bisher auch keine Zahlen genannt, die er als Obergrenze für den Zuzug von EU-Ausländern sehen möchte. Auch die Grünen und die Liberaldemokraten sind Befürworter eines weichen Brexit. Das allerdings gilt nicht für die protestantische Nordirland-Partei DUP auf deren Unterstützung May nun setzt. Und angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse könnte sie persönlich künftig auch stärker als bisher unter Druck der euroskeptischen Hinterbänkler in ihrer eigenen Partei geraten.
Wie groß sind denn nun die Chancen für einen Exit vom Brexit?
Diese Frage zeugt von Wunschdenken, das in Kontinentaleuropa immer noch weit verbreitet ist. Denn nicht nur die Tories sondern auch die Labour-Partei hat sich verpflichtet, das Ergebnis des Referendums im letzten Juni umzusetzen. Hinzu kommen klare Mehrheiten bei den Abstimmungen im Unter- und im Oberhaus, als es Anfang 2017 um die Aktivierung des Artikels 50 – also des sogenannten Austrittsparagrafen – ging. Eine Kehrtwende wäre zwar rein rechtlich möglich, politisch aber kaum durchsetzbar, denn damit würde sich die britische Regierung über den Willen des Volkes hinwegsetzen, das vergangenen Juni mit 52 Prozent für den Austritt gestimmt hatte.
Allerdings schließt das (siehe oben) nicht aus, dass man einen weichen Brexit propagiert, der den heutigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU sehr ähnlich sein könnte.