NATO-Gipfel in Warschau Europa braucht eine gemeinsame Rüstung - und droht zu scheitern

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fordert eine europäische Rüstungsindustrie. Ökonomisch ist das sinnvoll, aber politisch umstritten. Und kommt der Brexit, dürfte das Projekt scheitern.

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Polnische Nato-Soldaten. Quelle: dpa Picture-Alliance

Es bedarf nicht vieler Reizworte, damit sich Rüstungsmanager Frank Haun in Rage redet. „Europa“ ist so ein Reizwort. Der Chef des Panzerherstellers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) kämpft nicht gegen eine vertiefte europäische Integration auch in seiner Branche, im Gegenteil: „Je mehr gleiche Waffensysteme im Einsatz sind, desto geringer sind die Kosten“, sagt er. Nein, Haun ärgert, dass Politiker gerne von der „Europäisierung“ des Militärischen fabulieren, ihren Bedarf an Rüstungsgütern aber nicht multinational ausschreiben.

Würden etwa Frankreich und Deutschland gemeinsam Panzer beschaffen, sagt Haun, wären die Stückzahlen höher, wäre die Produktion günstiger – und der Profit größer. Genau das will Haun erreichen, indem er das Münchner Familienunternehmen mit dem Pariser Konkurrenten Nexter fusioniert. Er spekuliert darauf, dass in Zukunft ein Auftrag für neue Kampfpanzer europaweit ausgeschrieben wird – und er sich diesen dann im Schulterschluss mit den Franzosen sichert. „Irgendjemand muss mit der Europäisierung anfangen“, sagt Haun über KNDS, so die interne Abkürzung: KMW & Nexter Defense Systems.

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Doch zieht die Politik mit, die Rüstungsfragen lange als nationale Domäne betrachtete? Im Entwurf des neuen Weißbuchs, das Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach dem Nato-Gipfel dieser Tage in Warschau vorstellen will, liest es sich so. Das wichtigste sicherheitspolitische Grundsatzpapier der vergangenen zehn Jahre dekretiert: Angesichts „begrenzter Spielräume für notwendige Erhöhungen der Wehretats“ komme es auf „Arbeitsteilung, Spezialisierung und Verzahnung der Streitkräfte, rüstungsindustrielle Standardisierung und Harmonisierung von Beschaffungszyklen“ an. Die Bundeswehr solle vorangehen, indem sie Fähigkeiten mit den Nachbarn teile und Militärgüter in europäischem Rahmen beschaffe, heißt es weiter, damit eine „wirklich integrierte“ Rüstungsindustrie entstehen könne.

Doch Papier ist geduldig. In der politischen Realität kommt meist etwas dazwischen, etwa der Brexit. Die Briten stellen ein Fünftel der EU-Militärkapazitäten. Scheren sie aus, „ist der Schwung für die Europäisierung der Rüstungspolitik dahin“, sagt Rolf Mützenich, Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion.

Aber auch vor dem Briten-Schock stand sich die Politik oft selbst im Wege. Diplomaten des Auswärtigen Amtes schrieben viele Sätze über „neue Risiken“ wie die Terrororganisation „IS“, Putins Russland oder Cyberangriffe ins Weißbuch. Doch im Kapitel über die Bundeswehr müssen die Beamtenkollegen aus dem Verteidigungsministerium eingestehen, dass die deutsche Armee für einen wirksamen Schutz vor derartigen Bedrohungen „noch nicht in dem angestrebten Umfang aufgestellt“ sei. Angesichts fehlender finanzieller Ausstattung, so das harsche Urteil, sei „administrativen Schwerfälligkeiten, Redundanzen, Fähigkeitsdefiziten und Ineffizienzen dringend entgegenzuwirken“.

McKinsey rechnet mit großem Sparpotential

Ehrliche Selbstkritik oder politische Eigen-PR? Ministerin von der Leyen kann spitz formulieren, solange ihre Vorgänger für die jahrelange Unterfinanzierung der Truppe verantwortlich sind und sie selbst als Reformerin glänzen kann: Bis 2030, verspricht von der Leyen, werden 130 Milliarden Euro mehr als geplant in den Wehretat gepumpt. Das hört sich nach richtig viel Geld an. Ist es aber nicht. Solange mit der deutschen Wirtschaft auch das Steueraufkommen wächst, steigen auch die finanziellen Spielräume im Verteidigungsetat. Außerdem dürfte ein Großteil der neuen Mittel auf das Personal und die fehlende Ausrüstung entfallen, etwa Rucksäcke und Panzer-Ersatzteile.

Umso wichtiger, dass die Bundesregierung ihre Mittel effektiver nutzt. Das Ziel: „More bang for the buck“, so nennt es ein leitender Mitarbeiter im Verteidigungsministerium in amerikanischer Manier. Auf Deutsch: Mehr Rumms pro Euro.

Mit einer Harmonisierung des Einkaufs und Betriebs von Rüstungsgütern wäre schon viel gewonnen. Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey würden die EU-Mitgliedstaaten zum Beispiel jedes Jahr mindestens eine halbe Milliarde Euro sparen, wenn sie die Wartung ihrer 16 Flugzeugtypen zusammenlegten. Ein anderes Beispiel: Im Ausland kämpft die Bundeswehr an der Seite vieler europäischer Verbündeter. Sie alle fahren unterschiedliche Schutzfahrzeuge – und benötigen entsprechend unterschiedliche Ersatzteile.

Die sechs wichtigsten Themen des Nato-Gipfels

Besser klappt die Koordination der Europäer, wenn die Nato Initiative zeigt. Deren größere Mitglieder überwachen etwa den Luftraum der baltischen Staaten, damit sich Estland, Lettland und Litauen keine teure Luftwaffe leisten müssen. Militärs nennen dies „Pooling“. Entsteht daraus eine gemeinsame Kommandostruktur, spricht man vom „Sharing“ – wie im Fall der Awacs-Aufklärungsflugzeuge, die für alle Nato-Staaten in der Nähe von Köln stationiert sind.

Würden EU-Staaten derlei Optionen nutzen, Fähigkeiten maximal spezialisieren und ihr Material teilen, heißt es im McKinsey-Papier, ließen sich sieben Prozent der Wehretats für andere Zwecke freisetzen – allein in Deutschland sind das 2,3 Milliarden Euro im Jahr.

Das klingt attraktiv. Allerdings geht mehr Effizienz in Rüstungsfragen einher mit Abstrichen bei der nationalen Souveränität. Ob die Polen wirklich davon begeistert wären, etwa ihre Panzerbrigade freiwillig einer deutschen Division zu unterstellen, darf zumindest bezweifelt werden. Von der Leyen will ihren Partnern ein leuchtendes Vorbild sein. Deutschland, heißt es in ihrem Weißbuch, nehme „in Sicherheitsfragen bewusst gegenseitige Abhängigkeiten in Kauf“ und setze auf „multinationale Lösungen zur Schließung von Fähigkeitslücken“, vor allem in Bereichen wie Cyberabwehr, Drohnen oder Satellitenkommunikation.

Der Ansatz folgt dem sogenannten Rahmennationen-Konzept (FNC) der Nato, das auf Initiative Deutschlands versucht, eine optimierte Arbeitsteilung zu erreichen. Das Prinzip: Bei der Planung des Kaufs von Rüstungsgütern und auch bei ihrem Einsatz übernimmt ein Land die Führung. So muss nicht jedes Land alles können, alles kaufen. Christian Mölling, Militärexperte beim German Marshall Fund in Berlin, sagt: „Aus der militärischen Arbeitsteilung kann sich leicht eine industrielle ableiten.“

Strategische Technologien sollen in deutscher Hand bleiben

Doch die Tücken lauern im Detail: Bislang sprengen die Kosten für Rüstungsprojekte, an denen europäische Konsortien beteiligt sind, regelmäßig die Vorgaben. Der Militärtransporter A400M, dessen Auslieferung 107 Monate hinter Plan liegt und mindestens sieben Milliarden Euro teurer wird als geplant, ist nur das jüngste Beispiel in einer Reihe zweifelhafter paneuropäischer Rüstungsprojekte. Dafür mitverantwortlich sind häufig nationale Extrawünsche. Zudem pocht so gut wie jede Regierung vor einer Bestellung darauf, dass heimische Unternehmen zum Zuge kommen, ganz gleich, ob sie qualifiziert sind oder nicht. „Über ein EU-weites Rüstungsprojekt zu verhandeln ist so kompliziert wie eine gemeinsame Uno-Resolution“, klagt ein Mitarbeiter im Verteidigungsministerium. Immerhin: Die Bundeswehr schrieb zuletzt den Bau einer Fregatte europaweit aus – ein Auftrag über vier Milliarden Euro, den EU-Staaten normalerweise national vergeben würden.

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Mit gutem Beispiel voran und allen Unstimmigkeiten ein Ende, so wünscht es sich von der Leyen. Sie verfolgt laut Weißbuch ein „möglichst einheitliches Design auf Basis einheitlicher Fähigkeitsforderungen“. Die Gestaltung solle einer „Leitnation“ überlassen sein – egal, ob sie nun Deutschland heißt oder nicht. Einzig für „strategische“ Technologien will Deutschland für die Bundeswehr die Führung übernehmen, etwa Verschlüsselungssysteme und U-Boote. Das neue Raketenabwehrsystem Meads etwa soll die deutsche Tochter des Pariser Lenkwaffenherstellers MBDA bauen. Im Umkehrschluss kann es künftig sein, dass etwa der Tornado-Kampfjet vom französischen Modell ersetzt wird und Korvetten aus Italien die Nordsee schützen – damit europäische Rüstungsprojekte schneller und effizienter abgewickelt werden.

Mit wem Deutschland die dicksten Waffengeschäfte macht
Ägypten Quelle: dpa
Algerien Quelle: Arche Caracalla, CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons
Schweden Quelle: dpa
Südkorea Quelle: dpa
Saudi-Arabien Quelle: dpa

Ob das klappt? „Kommt es zum Schwur, knickt die Politik doch wieder vor den Lobbyisten der deutschen Wehrindustrie ein und boxt nationale Lösungen durch“, fürchtet Tobias Lindner, Grünen-Verteidigungsexperte im Bundestag. Und manches wird aus wirtschaftlichen Gründen umstritten bleiben: Die Ausschreibung eines Kampfpanzers führt etwa zur Gretchenfrage, wer das Geschütz zuliefern soll: der deutsche Konzern Rheinmetall, wie bisher, oder etwa die Franzosen?

Was Panzerhersteller Frank Haun sich wünscht, ist klar: „Die Politik muss bessere Bedingungen für den europaweiten Rüstungseinkauf schaffen.“ Doch der KMW-Chef ist Realist genug, um nicht mit raschen Fortschritten zu rechnen. Bis auf Weiteres will Haun sich auf seine eigenen Firmen-Manöver verlassen.

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