Neue Regierung Papademos soll Griechen retten

Das tagelange Tauziehen ist beendet: Lucas Papademos wird neuer Ministerpräsident in Griechenland. Der Ex-EZB-Banker steht vor einer Herkules-Aufgabe.

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Lucas Papademos, griechischer Ministerpräsident in spe: Auf den künftigen Regierungschef warten Aufgaben herkulischen Maßes. Quelle: REUTERS

Er soll die Reformen voranbringen, die Sparprogramme umsetzen, den Griechen den Zufluss weiterer Hilfsgelder aus Brüssel und Washington sichern, die Finanzmärkte beruhigen und die Bevölkerung von der Notwendigkeit harter Einschnitte überzeugen. Lucas Papademos steht vor Herausforderungen herkulischer Natur. Denn: Der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank wird nach tagelangem Tauziehen Chef der Übergangsregierung. Die neue Führung soll Freitagmittag vereidigt werden und Schritte zur Konsolidierung der Staatsfinanzen umsetzen und Neuwahlen vorbereiten.

Der 64-jährige Ökonom und fühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB) tritt dadurch in das grelle Scheinwerferlicht der Weltbühne. Eine Rolle, die dem stillen Griechen ganz und gar nicht auf den Leib geschrieben ist. Denn seine Welt ist die der Wissenschaft und des intellektuellen Diskurses.

Chronologie der Euro-Krise
Chronologie der Euro-KriseGeschönter HaushaltAm Anfang war die Statistik: Der frisch gewählte griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou revidiert Ende Oktober 2009 die Schätzung des staatlichen Haushaltsdefizits. Statt 6 Prozent soll es nun bei 12 bis 13 Prozent liegen. Schon beim Euro-Beitritt hatte Griechenland das Defizit falsch angegeben. Quelle: AP
Erste HilfskrediteNachdem Papandreou ein Sparprogramm von 4,8 Milliarden Euro angestoßen hat, einigen sich IWF und EU am 2. Mai 2010 darauf, Griechenland Kredite über 110 Milliarden Euro bereitzustellen. Die Ratings des Landes verschlechtern sich weiter, im Land gibt es Proteste gegen die Kürzungen. Quelle: dapd
Die EZB mischt sich einWeil Investoren sich von Anleihen aus Griechenland, Portugal, Spanien und Irland trennen und niemand sie haben will, kauft die EZB am 10. Mai 2010 selbst Anleihen der betroffenen Länder. Der Tabubruch beruhigt die Märkte, sorgt aber für tiefe Verwerfungen innerhalb der Zentralbank. Quelle: dapd
Das Geld reicht nichtDie Euro-Länder einigen sich im Juni 2010 darauf, über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) 750 Milliarden Euro für weitere Krisenhilfen bereitzustellen. 440 Milliarden Euro zahlen die Mitgliedstaaten ein, rund 240 Milliarden können davon als Kredite genutzt werden. Quelle: dapd
Irland in NotWenig später ist es so weit: Irland, das viel Geld in die Rettung seiner von der Finanzkrise gebeutelten Banken gesteckt hat, beantragt am 21. November 2010 Hilfskredite. 85 Milliarden Euro fließen, die Iren beschließen ein Sparprogramm, der Regierungschef tritt zurück, es kommt zu Neuwahlen. Quelle: dpa
Neuer FondsDie EU-Länder einigen sich am 28. November auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der ab 2013 die EFSF dauerhaft ersetzen soll. Ausstattung: 700 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden für Kredite und erstmals Bareinlagen von 80 Milliarden. Private Gläubiger sollen beteiligt werden können. Quelle: dpa
Pakt für den EuroDie EFSF hält nicht bis 2013. Im März 2011 wird das Kreditvolumen auf 440 Milliarden Euro aufgestockt, der Stabilitätsmechanismus soll verschärft und die Wirtschaftspolitik enger koordiniert werden. Wenig später zeigt sich, wie nötig das war: Portugal braucht Hilfe, 78 Milliarden Euro Kredite fließen. Quelle: REUTERS

1947 in Athen geboren, hat Papademos (übersetzt: „Priester des Volkes“) viele Jahre an führenden Universitäten verbracht. Elf Jahr studierte er in den USA am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) Physik, Elektrotechnik und Wirtschaftswissenschaften. Das Studium der Ökonomie schloss er 1977 mit dem Doktortitel ab. Es folgten Jahre als Dozent und Wissenschaftler an der Columbia University in New York und bei der US-Notenbank Fed im Bezirk Boston. 1985 kehrte Papademos nach Griechenland zurück, um Chefökonom der Zentralbank in Athen zu werden.

1994 beförderte ihn der damalige Regierungschef Andreas Papandreou, der Vater der heutigen Regierungschefs, auf den Posten des Zentralbankpräsidenten, den er bis 2002 bekleidete. In dieser Funktion bereitete Papademos sein Land auf die Mitgliedschaft im Euro vor. Als einer der wenigen Ökonomen mahnte er seine Landsleute schon damals eindringlich zu mehr Haushaltsdisziplin. Allerdings werfen ihm Gegner vor, als Chef der Notenbank von den Statistik-Tricksereien gewusst zu haben, mit denen sich Griechenland den Beitritt zur Währungsunion erschlichen hat. Sein wohl größter Erfolg war es, die Inflation niedergerungen zu haben. Lag die griechische Teuerungsrate 1994 noch bei elf Prozent, waren es im Jahr 2000 nur noch 2,6 Prozent.

Ein finanzpolitischer Falke

Lucas Papademos Quelle: dapd

2002 wechselte Papademos zur EZB nach Frankfurt, wo er als Vize-Präsident im Direktorium für den Bereich Finanzstabilität verantwortlich war und den zwei Mal jährlich erscheinenden Finanzstabilitätsbericht der EZB verantwortete. Geldpolitisch gilt Papademos als gemäßigter Pragmatiker mit einer Tendenz zum Lager der Tauben. Diese plädieren dafür, im Zweifelsfall die Zinszügel lieber etwas lockerer zu lassen.

In finanzpolitischen Fragen tritt Papademos dagegen eher als Falke auf. Als EZB-Vize verteidigte er immerzu den Stabilitäts- und Wachstumspakt als Voraussetzung für eine funktionierende Währungsunion. In einem Gespräch mit der WirtschaftsWoche kurz nach der Lehman-Pleite warnte er davor, das Heil in kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen zu suchen. „Jeglicher staatliche Stimulus darf weder das Vertrauen in die langfristige Solidität der öffentlichen Haushalte noch die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gefährden“, sagte Papademos damals. Und: „Ein Verlust an Vertrauen in die Finanzpolitik ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können“.

Die Opfer der Eurokrise
Brian Cowen - IrlandErstes Krisen-Opfer war Irlands Ministerpräsident Brian Cowen. Ihn bezichtigen viele Iren offen der Lüge: Wenige Tage vor dem Eingeständnis, Geld aus dem europäischen Rettungstopf zu brauchen, hatten Cowen und sein Finanzminister Brian Lenihan im Frühjahr 2010 noch behauptet, Irland sei bis Mitte 2011 durchfinanziert. Kurz darauf gestanden die beiden ein Haushalts-Loch von 19 Milliarden Euro bei den laufenden Kosten ein. Quelle: Reuters
Vor seinem Abschied von der Regierungsspitze schaffte es Cohen noch, ein hartes Sparprogramm durchzupauken. Im Februar schließlich jagten die Iren seine erfolgsverwöhnte Fianna-Fail-Partei dann mit einer Erdrutschniederlage aus dem Amt. Seinem Nachfolger Enda Kenny hinterließ Cowen ein geschundenes Land. Der hält sich an Cowens striktes Sparprogramm - und kann inzwischen sogar Früchte ernten. Quelle: Reuters
José Luis Rodríguez Zapatero - SpanienDas wohl prominenteste Krisen-Opfer unter den Spitzenpolitikern ist bislang der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero: Im April verkündete er, nicht mehr zur Wiederwahl antreten zu wollen. Wiedergewählt würde er wohl ohnehin nicht mehr: Bei den vorgezogenen Wahlen am 20. November droht den regierenden Sozialisten ein Debakel, die Konservativen können auf eine absolute Mehrheit hoffen. Zapateros Popularität war im Zuge der spanischen Wirtschaftskrise und der drastischen Sparmaßnahmen in den Keller gerasselt. Quelle: dapd
José Sócrates - PortugalKrisen-Opfer Nummer Drei ist Zapateros Nachbar, der portugiesische Regierungschef José Sócrates. Auch für ihn war die schwere Wirtschaftskrise zu viel. Als Sócrates' Minderheitsregierung keine Mehrheit mehr für das vierte Sparpaket innerhalb von elf Monaten finden konnte, warf der unbeliebte Sozialist das Handtuch. Bei der Neuwahl im Juni jagten ihn die Portugiesen dann mit einer krachenden Wahlniederlage aus dem Amt. Quelle: Reuters
Vielleicht taten die Wähler Sócrates damit sogar einen Gefallen: Inzwischen steht auch die neue liberal-konservative Regierung unter Ministerpräsident Pedro Passos Coelho mächtig unter Druck. Geschichte wiederholt sich: Kritiker werfen ihm vor, den Bogen bei den Sanierungsmaßnahmen zu überspannen. Quelle: dapd
Iveta Radicova - SlowakeiIn der Slowakei war es die Debatte über den Euro-Rettungsschirm EFSF, die für einen innenpolitischen Scherbenhaufen sorgte. Die christlich-liberale Ministerpräsidentin Iveta Radicova verknüpfte eine erste Parlamentsabstimmung über die Rettungsschirm-Ausweitung mit der Vertrauensfrage - und verlor. Der neoliberale Koalitionspartner SaS verweigerte ihr die Gefolgschaft. Damit war Radicovas Regierung am Ende. Der nächsten Regierung dürfte Radicova nicht mehr angehören: Vor wenigen Tagen kündigte sie ihren Austritt aus der Regierungspartei SDKU an. Quelle: dapd
Giorgos Papandreou - GriechenlandMit Giorgos Papandreou wackelt bereits Kandidat Nummer fünf. Der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten wird täglich größer. Zuletzt brachte ihn sein Vorhaben, das Volk über das neue Hilfspaket für das Land abstimmen zu lassen, noch weiter in die Defensive. Dem Parlament signalisierte Papandreou bereits, dass er nicht an seinem Premierminister-Posten hänge und der Bildung einer Übergangsregierung in Griechenland zustimme. Quelle: dapd

Ob der Professor für Ökonomie seine finanzpolitischen Erkenntnisse als Chef einer Übergangsregierung in die Praxis umsetzen kann, muss sich zeigen. Zwar gilt Papademos als debattenstarkes Arbeitstier, das mit wenig Schlaf auskommt. Das dürfte ihm angesichts der in Politikerkreisen üblichen nächtlichen Krisensitzungen nützlich sein. Fraglich ist allerdings, ob der im persönlichen Umgang als „angenehm und respektvoll“ geltende Papademos die nötige Hemdsärmeligkeit, Lautstärke und Chuzpe besitzt, die erforderlich ist, um sich im Haifischbecken der Politik durchzusetzen und Entscheidendes zu bewegen.
Papademos dürften sicherlich seine Kontakte in die EZB, die er erst 2010 verließ, hilfreich sein. Er könnte darauf hinwirken, dass die EZB noch mehr Staatsanleihen der Krisenländer kauft, um deren Zinskosten nach unten zu drücken. Seine Beliebtheit unter den Regierungschefs der Krisenländer würde Papademos damit zwar steigern. Doch der Stabilität der gemeinsamen Währung, an der auch die Griechen festhalten wollen, täte er damit keinen Gefallen.

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