Emmanuel Macron ist ein Coup gelungen: Mit Edouard Philippe zieht an seiner Seite ein Politiker der bürgerlich-konservativen Republikaner in das wichtige Amt des Premierministers. Damit schlägt der neue französische Präsident eine Bresche in die über ihren künftigen Kurs streitende Partei. Macron hofft, dass in Philippes Folge weitere gemäßigte Republikaner sowie deren Wähler überwechseln und seiner sozial-liberalen Bewegung „La République en Marche“ bei den Parlamentswahlen im Juni zu der nötigen absoluten Mehrheit verhelfen werden.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
Der 46-Jährige Philippe ist seit 2012 Parlamentsabgeordneter und zudem Bürgermeister der nordwestfranzösischen Hafenstadt Le Havre. Erst in jüngerer Zeit wurde er über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt: Er war nämlich Wahlkampfdirektor des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Alain Juppé. Zum Bedauern vieler Franzosen, die den in der politischen Mitte verorteten Juppé als Idealbesetzung für das höchste Staatsamt betrachtet hatten, unterlag dieser im November völlig überraschend bei den Vorwahlen der Partei dem wertkonservativen Konkurrenten François Fillon.
Noch in den vergangenen Tagen wünschte sich eine Mehrheit der Franzosen, dass Juppé eine tragende Rolle bei der Versöhnung des zerrissenen Landes spielen und helfen würde, die soziale Spaltung zwischen Stadt- und Landbevölkerung, Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufzuheben. Dass nun einer von Juppés engsten Vertrauten Macron diese Unterstützung gewährt, zeigt, dass auch einige Republikaner die Überwindung des traditionellen links-rechts-Denkens als Voraussetzung für einen neuen moralischen und wirtschaftlichen Aufschwung des Landes erkannt haben.
„Man muss einen Teil der Republikaner destabilisieren,“ hatte Macron noch im Wahlkampf unmissverständlich sein Ziel ausgegeben. Ihm war immer wohl bewusst, dass er den Reformflügel der Sozialisten zur Zusammenarbeit bei schwierigen Vorhaben wie der Entschlackung des starren Arbeitsrechts würde bewegen können. Beinahe 30 ehemalige Sozialisten werden auf der Liste von „La République en Marche“ für die Parlamentswahlen kandidieren. Auch von den mehr als 200 Bewerbern, die aus der Zivilgesellschaft stammen und noch nie ein politisches Amt inne hatten, haben zahlreiche bereits für sozialistische Abgeordnete gearbeitet. Ohne das Wohlwollen zumindest eines Teils der Republikaner würde Macron als Staatschef aber womöglich in einer Zwangsjacke stecken. Frankreich hat kein Präsidialsystem, sondern nur ein semi-präsidentielles. Auch Koalitionsvereinbarungen wie in Deutschland sind in Frankreich unbekannt. Der Staatschef hat nur eine starke Position, wenn die Mehrheit des Parlaments und der sie anführende Premierminister dieselben Ziele wie er selbst verfolgen.
Macron diese Mehrheit in der Assemblée zu sichern, ist nun Aufgabe von Philippe. Er ist zunächst ein Übergangs-Premier bis zu den Parlamentswahlen. Erst danach werden die Mehrheitsverhältnisse darüber entscheiden, ob er es auch bleiben kann. „Er wird die Schlacht der Parlamentswahlen genau so führen müssen, wie Napoleon sich bei schwierigen Schlachten in die erste Frontlinie stellte“, bringt es der Politologie Stéphane Rozès ein wenig martialisch auf den Punkt. Auch nach Überzeugung von Dominique Reynié, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Fondapol, hängt von der Besetzung des Postens nicht weniger als Frankreichs Zukunft ab: „Wenn er sich bei der Wahl seines Premierministers irrt, vergeigt Emmanuel Macron seine gesamte Amtszeit“, warnte Reyniévor wenigen Tagen.
Macron braucht Rückhalt im Parlament
Mehr als hundert der insgesamt 577 Wahlkreise hat „La République en Marche“ für Bewerber der verbündeten Zentrumspartei MoDem sowie für mögliche Fahnenflüchtige der Republikaner bisher frei gehalten. Führt der Schachzug der Ernennung eines bürgerlichen Premiers nicht zum gewünschten Ergebnis, könnte dies im Extremfall zu einer jahrelangen Blockadepolitik führen. Adieu Flexibilisierung des Arbeitsrechts inklusive betriebsinterner Absprachen über Arbeitszeiten und einer Deckelung der Abfindungen im Kündigungsfall. Adieu Reform der großzügigen und teuren Arbeitslosenversicherung. Adieu Modernisierung der unübersichtlichen Rentenkassen.
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
Macron hat zwar angekündigt, die ersten Reformen schnell mit Hilfe von Verordnungen auf den Weg zu bringen. Er werde „auf nichts von dem verzichten, was ich im Wahlkampf zugesagt habe“, betonte er am Sonntag noch einmal bei seiner offiziellen Amtseinführung. Frankreich dürfe sich nicht „in Gewohnheiten und Gebräuche flüchten, die aus der Zeit gefallen sind“. Nicht zuletzt will er damit Berlin beweisen, dass Frankreich nicht nur Entgegenkommen auf EU-Ebene verlangt, sondern hausgemachte Probleme sehr wohl anpackt, um Deutschland erneut ein Partner auf Augenhöhe zu sein. Am Spätnachmittag wird Macron bei Kanzlerin Angela Merkel zum Antrittsbesuch in Berlin erwartet.
Doch Verordnungen sind keine Dekrete. Für Verordnungen braucht der Präsident vorab die Zustimmung einer Mehrheit der Parlamentarier. Für einen begrenzten Zeitraum können sie einwilligen, ihm gewisse Handlungsfreiheit zu gewähren. Nicht nur Frankreichs Linke macht bereits Wahlkampf dagegen. Auch Laurent Wauquiez, der nach der Niederlage des Republikaner-Kandidaten Fillon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Führung der Partei übernommen hat, sowie Wahlkampfchef François Baroin verfolgen einen strengen Oppositionskurs. Das ganze Wochenende über bearbeitete Baroin mögliche Abtrünnige, ja nicht fahnenflüchtig zu werden. Republikanern, die gemeinsame Sache mit Macron machen wollen, drohte er mit Parteiausschluss.
Leicht dürfte der Schritt Philippe nicht gefallen sein. Das erklärt womöglich, warum die ursprünglich bereits für Montagmorgen erwartete Amtseinführung des Premierministers schließlich erst am Nachmittag über die Bühne ging. Philippe sei „kein Schwergewicht“, versuchte der Senator Roger Karoutchi den Schaden für seine Partei zu minimieren. Dennoch beweist der Schritt Mut - und dass Leute wie Philippe sich bei den Republikanern von Wauquiez und Baroin nicht mehr uneingeschränkt zu Hause fühlen. Auch der ehemalige Minister Bruno le Maire hat Macron bereits öffentlich seine Zusammenarbeit angeboten. Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza und ein einflussreicher Politiker der Republikaner, hatte Baroin öffentlich gewarnt, sein Oppositionskurs werde genauso ins Verderben führen wie die Kandidatur von Fillon.
Macron übernimmt Amt des französischen Staatspräsidenten
Philippe war wie auch Macron in seiner Jugend ein Anhänger des sozialistischen Premierministers und späteren Parteivorsitzenden Michel Rocard. Auch wenn er später auf die bürgerlich-konservative Seite wechselte, ist er ein Politiker des Ausgleichs geblieben. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er Macron durchaus zwiespältig betrachtete: „Macron, der für nichts einsteht, aber alles verspricht, mit jugendlichem Ungestüm und dem Zynismus eines alten Fernfahrers - wofür wird sein Name einmal stehen? Für eine gescheiterte Revolution oder für einen Blitz-Sieg? Für einen gemeinen Verrat oder für vermessenen Ehrgeiz? Niemand kann das heute sagen“, urteilte er im Januar. „Denn eines ist sicher seit Beginn dieses Wahlkampfs: Was Politik angeht, sind wir Gallier mindestens so verrückt wie unsere Vorfahren, die Römer.“
In seiner Freizeit boxt Philippe. Diese Erfahrung könnte ihm nun durchaus im politischen Ring nutzen.