Bei der letzten Wahl lagen die Prognostiker deutlich daneben. Die Unterstützung für radikale Parteien wie die Socialistische Partij (SP) und die PVV fiel am Ende deutlich geringer aus als vorhergesagt. Geben die Umfragen die Stimmung der Niederländer diesmal besser wieder?
Da gibt es immer eine große Unsicherheit. Letztendlich lässt sich das natürlich nur am Wahlabend beantworten. Ich verlasse mich da auch nicht auf ein Institut, sondern schaue auf den Durschnitt der wichtigsten Umfragen.
In den vergangenen Tagen ging eine beeindruckende Zahl durch deutsche Medien: Demnach haben sich 75 Prozent der Wähler bisher noch nicht für eine Partei entschieden. Woher kommt diese Unsicherheit?
Mittlerweile soll diese Zahl noch bei 50 Prozent liegen, was immer noch sehr viel ist. Das liegt an zwei Dingen. Zunächst einmal ist die parteipolitische Treue in den Niederlanden weitgehend verschwunden. Das hängt sicherlich auch mit sehr allgemeinen Trends zusammen, die alle westlichen Staaten betreffen, wie die Individualisierung der Gesellschaft. Doch es gibt in den Niederlanden auch viele Parteien in der politischen Mitte, die sich nicht wahnsinnig voneinander unterscheiden. Natürlich gibt es eindeutige Unterschiede zwischen der VVD und den Sozialdemokraten (Partij van de Arbeid, PvdA). Aber die haben in den vergangenen vier Jahren gut und produktiv zusammen regiert. Viele Wähler achten deshalb auf die Person. Und schauen dann bis zum letzten Abend: Wer macht’s gut? Wer macht auf den letzten Metern noch Fehler? In Deutschland, wo das Parteienspektrum weniger breit ist, gibt es das seltener. Auch wenn die Zahl der Wechselwähler hier ebenfalls zunimmt.
Zu den großen Gewinnern dieser Wahl könnte GroenLinks zählen: Die linke Umweltpartei ist kurz davor, die Zahl ihrer Sitze zu verfünffachen. Wie ist dieser Zuwachs zu erklären?
Das liegt hauptsächlich an der Person Jesse Klaver. Der grüne Parteichef präsentiert sich glaubwürdig als Hoffnungsträger. In den Debatten ist er schlagkräftig, gleichzeitig offen und polarisiert nicht zu hart. Das zeigt, wie wichtig die Rolle von Personen im Wahlkampf geworden ist. Auf der anderen Seite muss man berücksichtigen, dass der starke Zugewinn auch damit zusammenhängt, dass die Grünen 2012 eine dramatische Niederlage erlitten haben. Sie kommen aus der Talsohle. Doch am Ende werden sie wohl höher steigen als je zuvor.
Das ist Geert Wilders
Der niederländische Politiker Geert Wilders wurde am 6. September 1963 in Venlo geboren und ist seit 1992 mit einer Ungarin verheiratet. Neben einer Tätigkeit bei einer Versicherungsgesellschaft studierte Wilders Rechtswissenschaften an der niederländischen Open Universiteit. Geert Wilders lebte eine längere Zeit in Israel. Wegen Volksverhetzung - Wilders nannte Muslime pauschal "gefährlich" - stand Wilders Anfang 2010 vor Gericht. Die Richter sprachen ihn frei, bei seiner Äußerung handele es sich um "freie Meinungsäußerung".
Euroskepsis und Fremdenhass ist das, was die „Partei für die Freiheit“ (PVV) ausmacht. In den Augen ihres Gründers Geert Wilders ist der Islam eine faschistische Ideologie. Ein Einwanderungsstopp ist seiner Ansicht nach die einzig logische Konsequenz. Wilders spricht sich zudem gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union aus und findet, dass die EU sich in einem "schrecklichen Zustand" befindet.
Anfang 2006 gründete Wilders die "Partij voor de Vrijheid", mit der er bei den niederländischen Parlamentswahlen am 22. November 2006 antrat und aus dem Nichts neun Sitze im Parlament erhielt. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wählte ihn daraufhin 2007 zum Politiker des Jahres. 2010 holte seine Partei bei den Wahlen über 15 Prozent der Stimmen. Wilders wurde zum Zünglein an der Waage und duldete die Minderheitsregierung von Mark Rutte.
Geert Wilders ist radikaler Gegner des Islams. Er fordert eine Steuer für das Tragen von Kopftüchern und Vergleich den Koran bereits mit Hitlers „Mein Kampf“. Für seine Äußerung, Muslime seien grundsätzlich potentiell gefährlich, musste er sich vor Gericht verantworten.
Sie haben vorhin die niederländische Identität angesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage: Wie halten es die Niederländer mit dem Islam?
Es ist nicht einfach, darauf eine allgemeine Antwort zu geben. Es gibt sicherlich eine Minderheit der Niederländer, die im Islam eine Bedrohung sieht. Aber die Art und Weise, wie zum Beispiel Geert Wilders darüber redet, ist auch den meisten seiner Anhänger viel zu radikal. Wenn er zum Beispiel den Koran mit Adolf Hitlers „Mein Kampf“ vergleicht oder den Islam mit dem Nationalsozialismus, dann wird das auch von seiner Gefolgschaft kritisch gesehen. Auch Maßnahmen wie die Schließung von Moscheen oder ein Einreiseverbot für Muslime werden selbst von vielen Wilders-Anhängern abgelehnt. Aber man darf auch nicht übersehen: Es gibt eine erhöhte Empfindlichkeit der Niederländer gegenüber dem Islam, wie in anderen europäischen Ländern auch.
Wie ist die Situation der Einwanderer in der niederländischen Gesellschaft? Welche Rolle wird diese Gruppe bei der Wahl spielen?
Diejenigen, die einen niederländischen Pass haben, haben in der Vergangenheit sehr oft sozialdemokratisch gewählt. Jetzt gibt es eine Alternative: die Beweging Denk, gegründet von zwei ehemaligen Sozialdemokraten mit türkischem Hintergrund. Denk versucht die Unzufriedenen, die Sich-Abgehängt-Fühlenden einzufangen. Auch Jesse Klaver von den Grünen, der selbst einen Migrantenhintergrund hat, nimmt Standpunkte ein, die bei den Einwanderern sicher gern gehört werden. Er wirft der Regierung vor, Leute auszugrenzen – Leute, die Klaver wiederum mitnehmen will.