Niederlande Wo die Rechtspopulisten gebändigt sind

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Polemik, aber mit Verantwortung

In Rotterdam hingegen suchte Leefbaar zwar den Streit, ohne aber in die Verantwortungslosigkeit abzudriften. „Pim Fortuyn hat einen Diskurs vorweggenommen, der mit 15 Jahren Verspätung jetzt den Rest Europas und Nordamerika erreicht hat: den Wunsch nach weniger politischer Korrektheit“, sagt Mark van Ostaijen, der an der Erasmus-Universität das Zusammenwirken von Integrationspolitik und Populismus untersucht. „Der Fall Rotterdam zeigt: Konflikthafte Politik kann konstruktiv sein.“ Beleg dafür ist aus seiner Sicht der Vergleich des Rotterdamer Südens mit den abgehängten Vierteln Antwerpens, Brüssels oder rund um Paris. „Ohne den Fortuyn-Schock kämen die Meldungen über Terrorverstecke und Migrantenunruhen heute wahrscheinlich auch aus Rotterdam.“ Der „Fortuyn-Schock“ bedeutete in Rotterdam zunächst einmal die unbequeme Konfrontation mit der Realität. So provokant Fortuyns Aussagen waren, sie sorgten doch dafür, dass die Probleme im Süden der Stadt in den Mittelpunkt der Diskussion rückten. Und dass die Politiker, die eben noch gegen Ausländer polemisiert hatten, jetzt dafür verantwortlich waren, das Zusammenleben in der Stadt zu verbessern.

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders verliert zwei Wochen vor der Parlamentswahlen in den Umfragen an Wählergunst. Seine Freiheitspartei landet bei einer aktuellen Erhebung auf dem zweiten Platz.

Die Sozialdemokraten auf der Gegenseite brachte der Schock der verlorenen Mehrheit dazu, sich nicht länger hinter wohlfeiner Rhetorik zu verstecken, sondern sich tatsächlich zu einer weltoffenen Gesellschaft zu bekennen. 2008 benannte die Den Haager Regierung Ahmed Aboutaleb zum Bürgermeister der Stadt und ersten gläubigen Muslimen in dieser Rolle in einer europäischen Großstadt, während der Stadtrat in der Hand der populistischen Leefbaar war. „Wir streiten uns regelmäßig mit Bürgermeister Aboutaleb, aber am Ende machen wir gemeinsam ziemlich gute Politik“, sagt Leefbaar-Fraktionschef Buijt und hat dafür ein paar eindrückliche Beispiele, wie das „Rotterdam-Gesetz“. Die Idee: „Probleme wie Arbeitslosigkeit und Kriminalität werden immer schwieriger zu lösen, je mehr sie sich räumlich innerhalb einer Stadt ballen“, sagt Buijt. Das Gesetz schreibt seit einigen Jahren vor: Wer in den als problematisch identifizierten Arealen eine Wohnung mieten möchte, der muss ein Mindesteinkommen nachweisen und sich auf eine Mindestmietdauer verpflichten. Ziemlich rabiat, aber auch erstaunlich effektiv. „Die Integrationspolitik in Rotterdam unterscheidet sich von hergebrachten Ansätzen dadurch, dass hier mehr gefordert und weniger gefördert wird“, sagt van Ostaijen. „So wurden auch die Migranten provoziert, sich in die politische Debatte einzumischen.“

Von der siechen sozialdemokratischen Partei PvdA spalteten sich so einige Migranten ab und gründeten die Gruppierung Denk, die nun ins Parlament einziehen dürfte. Was landesweit eine Premiere ist, war in Rotterdam schon fast Routine: Bereits 2014 haben die Stadtverordneten der Partei Nida im Rathaus ihre Büros bezogen. Und das nur zwei Gehminuten entfernt vom Pim-Fortuyn-Platz, in dessen Mitte der Erfinder des Rechtspopulismus vom Sockel grüßt. So kann es aussehen, wenn aus dem Streit der Kulturen Streitkultur wird.

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