Nikos Dimou im Interview Vom Unglück ein Grieche zu sein

Seite 3/4

Die politische Mitte schwindet

Wie ausgeprägt ist die Westfeindlichkeit in der politischen Klasse in Griechenland?

Die Leute, die mit den Geldgebern im Westen verhandeln, sind klug und gebildet genug, um zu wissen, dass all diese Ideen nicht zählen. Wenn sie aber gewählt werden wollen, dann müssen sie dem Volk sagen, dass sie dem Westen misstrauen.

Ist das ein Grund für die Erosion der politischen Mitte in Griechenland?

Wir sehen in der Tat ein verheerendes Verschwinden der politischen Mitte. Pasok, also die linke Mitte, war in den vergangenen 35 Jahren die dominierende Macht und ist jetzt gespalten in Hunderte von kleinen Gruppen. 2009 kam sie auf 44 Prozent der Stimmen. Bei der Europa- und Kommunalwahl im Mai kann sie froh sein, wenn sie noch 4,4 Prozent bekommt. Die Rechte ist ebenso gespalten. Und das Schlimmste ist, dass die Politik ein so schlechtes Image hat: Niemand will sich damit beschäftigen. Erfolgreiche Leute sagen: Um Gottes willen, was soll ich dort?

Es gibt doch Beispiele von Leuten, die in die Politik gewechselt sind, weil sie dem Elend nicht untätig zusehen wollen...

...und denen geht es, als wenn sie im New York der Zwanzigerjahre eine Anti-Mafia-Partei gründen wollten. Auf einmal rotten sich alle zusammen und stellen sich gegen die Neulinge. Die Erneuerung des griechischen politischen Korps bereitet mir großes Kopfzerbrechen. Ich sehe keine interessanten neuen Köpfe. Die Leute, die uns nun „retten“ wollen, sind diejenigen, die uns in die Krise gestoßen haben.

Inwieweit können die internationalen Geldgeber denn von außen helfen?

Bei manchen Themen gar nicht. Bei der Erneuerung der Politik zum Beispiel gäbe es nichts Schlimmeres, als wenn ein Kandidat in den Verdacht käme, von den Deutschen oder Franzosen unterstützt zu werden. Schauen Sie, das, was der Westen von uns will, ist unrealistisch: dass wir von heute auf morgen eine ganz andere Mentalität annehmen. Der Westen hat nicht kapiert, was für ein Land Griechenland ist, wie die Griechen denken und reagieren. Die Vorgaben des Westens waren sehr logisch – aber wir sind nicht logisch! Auch wenn die Logik von Aristoteles erfunden wurde.

Erklärt dies das schlechte Funktionieren des Staats?

Der Staat ist unser größtes Problem. Er ist zu groß, kostet sehr viel Geld und ist so schlecht organisiert, dass man ihn kaum reformieren kann. Übrigens hat das nicht mal die Diktatur geschafft. Die Obristen haben große Worte gemacht, was sie alles verändern wollten. Und am Schluss hat die Bürokratie die Diktatur bürokratisiert. Heute müssen Patienten im Krankenhaus zwei Stunden anstehen, ehe sie aufgenommen werden. Leute, die das erfinden, sind Sadisten. Aber Beamte sind glücklich, wenn sich nichts ändert.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%