Norwegen Eine Frau gegen die Sucht nach Öl

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E-Mail an den Mentor

Mit 29 Jahren beispielsweise schreibt sie eine E-Mail an einen der einflussreichsten Männer Norwegens. Seine Adresse hat sie gegoogelt, er hat noch nie von ihr gehört. Die Nachwuchsmanagerin bittet um ein Treffen. Die Nachricht geht an Harald Norvik, den ehemaligen Chef von Statoil, dem größten Unternehmen des Landes. Der 55-Jährige ist verdutzt, gleichwohl neugierig und lädt sie ein. Als Traaseth an seine Bürotür klopft, hat sie nicht nur eine Tüte der Konditorei in der Hand, sondern auch ihren Lebenslauf. Sie stellt sich vor und fragt: „Möchten Sie mein Mentor sein?“

Norvik wird später eine ihrer vier Referenzen für den CEO-Posten bei Hewlett-Packard. Doch als die Regierung sie 2014 bittet, Innovationschefin des Landes zu werden, empfiehlt er ihr: Nimm den Job an. Auch der ehemalige Ölchef merkte, dass die Zukunft seines Landes ohne Öl entschieden wird.

Jahrzehntelang gingen Nachwuchsmanager nach Stavanger, eine Stadt an der Südwestküste. Sie liegt direkt an den Ölfeldern und ist damit das Klondike-Gebiet Norwegens, hier sitzt auch Statoil. 19.000 Norweger arbeiten für die Firma, die zu zwei Dritteln dem Staat gehört. Doch in den letzten zwei Jahren mussten bereits 1400 Kollegen gehen. 2015 brach der Umsatz um ein Viertel ein. Und wenn Statoil strauchelt, dann trifft das alle Norweger – selbst die, die noch nicht geboren sind.

Denn die Norweger haben etwas Einzigartiges geschaffen. Seit über 25 Jahren fließen alle staatlichen Öleinnahmen und -steuergelder in einen Fonds. Damit wollen sie ihren Wohlstand für zukünftige Generationen sparen. Mittlerweile hat der Fonds ein Volumen von rund 825 Milliarden Euro, welches weltweit in Wertpapiere und Immobilien investiert wird. Allein in Deutschland ist er an allen Dax-Unternehmen beteiligt. Es ist der größte Staatsfonds der Welt. Doch je weniger Geld Norwegen mit Öl umsetzt, desto geringer die Zuflüsse. Waren es 2012 noch 30 Milliarden Euro, konnten die Norweger 2015 nur noch 4,5 Milliarden zurücklegen.

Börsenbeben für die Ölmultis

„Der Ölpreisverfall war für Statoil ein Horrortrip. Doch gleichzeitig hat uns das gezwungen, neue Möglichkeiten auszuloten“, sagt Elisabeth Kvalheim, Technikchefin bei Statoil. Da die neuen Projekte finanziert werden müssten, brauche man die bestehenden Geschäftsfelder, also Öl. Und so hat Statoil im September 5,5 Milliarden Euro in den Ausbau eines Ölfeldes investiert. Zum ersten Mal seit 20 Jahren darf das Unternehmen wieder in unerforschten Gebieten des nördlichen Atlantiks nach Öl suchen. Dieses Mal waren nicht nur Umweltschützer entsetzt. Sondern auch Menschen, die Öl zu Geld machen sollen.

Nordea gehört zu den führenden Finanzkonzernen des Landes. In der Mitte des achtstöckigen Hochhauses befindet sich ein gläsernes Atrium, das Thina Saltvedt durch mehrere Sicherheitstüren betritt. Sie ist Rohstoffanalystin. Ihre Prognosen des Ölpreisverfalls 2013 waren die exaktesten des Landes. „Das ist eine hochriskante Wette, deren Einsatz die zukünftigen Generationen bezahlen müssen“, sagt sie. Sie breitet eine Karte aus, auf der sie alle Ölplattformen des Landes eingezeichnet hat. Vor allem die Punkte im Norden, in den arktischen Feldern, hat sie rot markiert. In ihren Berechnungen bedeutet das: unprofitabel.

„Früher konnte man in alles in der Ölindustrie investieren, und es lohnte sich. Heute müssen Investoren viel vorsichtiger sein“, sagt Saltvedt. Andere Länder können deutlich billiger Öl fördern als Norwegen. Die Kosten, um an den Rohstoff in der Nordsee zu kommen, sind mehr als doppelt so hoch wie in der Wüste Saudi-Arabiens. „Es könnte sein, dass die Ölindustrie irgendwann wie die Kohleindustrie wird – etwas, das man als Investor lieber nicht anfasst“, sagt sie.

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