Norwegen Rohstoffe, Reichtum - Regierungswechsel?

Norwegen wählt ein neues Parlament. Ministerpräsident Jens Stoltenberg steht vor der Abwahl – obwohl er bei den Bürgern beliebt ist. Derweil erlangt das Land immer größeren Wohlstand. Genau das sorgt für Probleme.

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Jens Stoltenberg Quelle: dpa

In Norwegen bekommt das geflügelte Wort vom Luxusproblem eine ganz neue Bedeutung – und zwar gleich mehrfach. So sind die Bürger, die bis Montag zur Wahl aufgerufen sind, mit ihrem Regierungschef Jens Stoltenberg durchaus zufrieden. Kein Wunder: Der Wohlstand ist hoch, die Arbeitslosigkeit niedrig. Und auch nach dem Terroranschlag des Rechtsextremisten Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der nahen Insel Utøya 77 Menschen getötet hatte, fand der Premier die richtigen Worte. Dennoch droht den Sozialdemokraten die Abwahl. Die Chefin der konservativen Partei Høyre, Erna Solberg, geht als Favoriten ins Rennen. In Solbergs künftiger Koalition könnte erstmals die rechtspopulistische Fortschrittspartei an die Regierung kommen.

Der so beliebte Jens Stoltenberg versuchte in den vergangenen Wochen alles, um seine Chancen zu steigern. Fast täglich sprach er über kleine Wackelvideos, wie sie sonst vor allem Jugendliche auf  Youtube veröffentlichen, zu den Bürgern. Er diskutierte mit Musikern, Schauspielern, anderen Politkern und Menschen aus dem Volk. Im Juni setzte er sich nach seinem wöchentlichen Besuch des Königs in ein Taxi – und zwar hinter das Lenkrad. „Als Ministerpräsident ist es wichtig, sich die Meinung der Menschen anzuhören“, kommentierte Stoltenberg die Aktion. „Und wenn es einen Ort gibt, an dem die Menschen wirklich sagen, was sie denken, dann ist es im Taxi.“  Also fuhr einen Tag die Osloer durch die Gegend und sammelte Sympathiepunkte.

Erna Solberg Quelle: dpa

Auch im Ausland genießt Stoltenberg hohe Popularität. Nachdem Anders Breivik 2011 auf der südnorwegischen Insel Utøya fast 70 junge Parteimitglieder hinrichtete, rief Stoltenberg zur Trauer, aber vor allem zu mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit auf. „Wenn ein Mann so viel Hass zeigen kann, überlegt mal, wie viel Liebe wir alle zeigen können“, sagte er. Symbolisch streckten Jens Stoltenberg und tausende Norweger als Zeichen der Trauer Rosen in die Luft und umarmte Familienangehörige. Das Bild des weinenden Ministerpräsidenten ging um die Welt. Nie war Stoltenberg beliebter.

Und auch die Fakten sprechen für eine weitere Amtszeit der rot-rot-grüne Koalition. Die Arbeitslosenquote liegt gerade einmal bei 3,5 Prozent und dank der Ölförderung sind jede Menge Überschüsse sind die Staatskassen geflossen. Den Wert der staatlichen Fonds konnte Stoltenberg seit 2005 verdreifachen. Ende Juni lag er bei 544 Milliarden Euro. Laut Human Development Index der UN gilt Norwegen weltweit als das Wohlstandsland Nummer eins.

Dass Stoltenberg dennoch um Fortführung seiner Vorzeige-Regierung bangen muss, hat weniger mit seiner Person, als mit den Öl-Milliarden zu tun. Denn die etablierten Parteien in Norwegen – einzige Ausnahme ist die rechtspopulistische Fortschrittspartei – haben sich bereits in den 1990er Jahren darauf geeinigt, dass die jährlich maximal vier Prozent aus dem Fond auch in den Staatshaushalt übergehen dürfen. Grund dafür ist eine langfristige Sicherstellung des Vermögens, denn das Öl wird nicht ewig förderbar sein. Stoltenberg will an dieser Regelung nicht rütteln. Und so müssen auch die reichen Norweger sparsam sein. Kaputte Straßen, Lehrermangel und lange Wartezeiten auf OP-Plätze gibt es entsprechend auch dort.

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