Ökonom über Griechenlands Premier „Alexis Tsipras hat fast alle enttäuscht“

Die Regierungszeit von Alexis Tsipras sind verlorene Jahre für Griechenland, sagt der Ökonom Jens Bastian. Als Aufräumer gestartet, führt er die Vetternwirtschaft nun selbst weiter. Wären jetzt Wahlen, würde er sie verlieren.

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Wie geht es weiter Herr Tsipras? Quelle: REUTERS

Alexis Tsipras ist seit zwei Jahren im Amt. Hat er Griechenland vorangebracht?
Jens Bastian: Leider nein, es waren eher zwei verlorene Jahre. Er hat nahezu alle Wahlversprechen gebrochen. Die ersten sechs Monate nach seinem Amtsantritt haben viele Griechen als einzige Katastrophe in Erinnerung. Damals gingen Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis auf Konfrontationskurs zu den internationalen Geldgebern – mit der Folge, dass Griechenlands Austritt aus der Eurozone drohte. Seitdem bestehen Kapitalverkehrskontrollen für Privatpersonen und Unternehmen. Jeder Grieche kriegt seit Juni 2015 maximal 420 Euro pro Woche in bar am Geldautomaten.

Und das lasten die Griechen ihrem Premier an?
In den Meinungsumfragen ist er dramatisch abgerutscht. Viele haben den Eindruck, Tsipras regiere als Premierminister nur für einen bestimmten Teil der Gesellschaft, aber nicht für alle Griechen.

Alexis Tsipras und die Schuldenkrise

Was war sein größter Fehler?
Tsipras hat den Klientelismus in Griechenland zwar immer kritisiert, im Amt dann aber selbst fortgesetzt. Er hat Sympathisanten von Syriza, seiner eigenen Linkspartei, auf Schlüsselposten in der Verwaltung, Staatsunternehmen und in den Regionen gesetzt. Und mindestens genauso wichtig: Die Massenarbeitslosigkeit ist weiter hoch. Sie ist zwar von knapp 28 Prozent auf nun 23 zurückgegangen. Weiterhin sind aber über eine Million Griechen ohne Job. Bei den 15- bis 24-Jährigen liegt die Arbeitslosenquote bei über 40 Prozent, ein Spitzenwert in Europa. Das ist keine Erfolgsgeschichte für einen linken Premierminister.

Immerhin hat er den Haushalt konsolidiert. Im vergangenen Jahr hat der Primärüberschuss 2,5 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung betragen.
Das stimmt und ist ermutigend. Der Primärüberschuss wurde aber nicht auf Basis einer steigenden Wirtschaftsleistung eingefahren, sondern vornehmlich aufgrund steigender Steuereinnahmen. Die zusätzlichen Steuerbelastungen seit Tsipras Regierungsantritt für Privathaushalte und Unternehmen sind einschneidend. Viele Unternehmen können deswegen nicht investieren, Privatleuten fehlt es an verfügbarem Einkommen, um größeren Anschaffungen machen.

Tsipras wurde gewählt, um genau jene Politik nicht zu machen. Warum jetzt doch?
Er selbst spricht immer von Auflagen, nie Reformen, zu denen ihn die internationalen Geldgeber zwingen würden. Als Griechenland im Sommer 2015 beinahe aus der Eurozone geschmissen wurde, unterschrieb er am Ende ein drittes Rettungsprogramm, das schlimmer war als alles, was bis dahin als Verhandlungsangebot auf dem Tisch lag. Das hat er sich mit seinem Konfrontationskurs damals selbst eingebrockt. Aber die Zeche zahlen heute Wirtschaft und Gesellschaft in Griechenland.

Welche Art Politiker ist er heute?
Er ist ein machtbewusster Premierminister mit einem guten Radar für Stimmungen in der Bevölkerung. Er weiß genau, dass er Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wohl krachend verlieren würde. Außerdem hat Tsipras seine politischen Ecken und Kanten abgeschliffen. Wenn er im Ausland unterwegs ist, sagt er dort genau das, was man von ihm in Brüssel oder Berlin hören will. Im griechischen Parlament in Athen erzählt er im Zweifel das glatte Gegenteil.

Ein Opportunist also.
Ein kluger Opportunist würde ich sagen. Jemand, der durchaus versteht, wann es notwendig ist, auf europäischem Parkett Kompromisse einzugehen. Das primäre Ziel ist mittlerweile der Machterhalt. Sein politischer Fahrplan ist folgender: Er will den Griechen zeigen, dass eine Regierung die volle Legislaturperiode durchhalten kann. Er will das dritte Hilfsprogramm im Sommer 2018 zu Ende bringen, die Lorbeeren einsammeln und sich dann ein Jahr später regulär zur Wahl stellen.

Wenn das Programm erfolgreich abgeschlossen wird, verkauft er das dann als Befreiung von den Geldgebern?
Womöglich rhetorisch. Wenn das Programm regulär beendet wird, muss Griechenland aber weiterhin seine Schulden gegenüber den Gläubigern bedienen, vor allem dem IWF und der EZB sowie umfassenden Verpflichtungen nachkommen, beispielsweise in der Fiskalpolitik.

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