Ökonom über Griechenlands Premier „Alexis Tsipras hat fast alle enttäuscht“

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Tsipras verprellt seinen Verbündeten

Schafft Griechenland das auch?
Jedenfalls bleiben die internationalen Geldgeber aufgrund der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren eher misstrauisch. Ein Beispiel: Kurz vor Weihnachten ließ Tsipras an die Bezieher von Niedrigrenten ein Weihnachtsgeld auszahlen – ohne Absprache mit den internationalen Geldgebern. Das hat Vertrauen zerstört. Das Athener Finanzministerium musste schriftlich gegenüber den Geldgebern bestätigen, dass solche eigenmächtigen Entscheidungen künftig nicht mehr stattfinden.

Möglicherweise steigt der Internationale Währungsfonds aus dem Quartett der internationalen Geldgeber aus. Was würde das bedeuten?
Wenn der IWF ausscheidet, ist die Geschäftsgrundlage des dritten Programms von 2015 hinfällig. Dann muss eventuell ein viertes Programm verhandelt werden. Dann geht das ganze Drama wieder von vorne los.

Für Griechenland wäre das schlecht, immerhin unterstützt der IWF die Forderung nach einem Schuldenschnitt.
Eigentlich ist der IWF der wichtigste Fürsprecher der Tsipras-Regierung in der Debatte um den notwendigen Schuldenschnitt. Die griechische Regierung tut trotzdem alles dafür, um den IWF aus dem Programm rauszudrängen, weil sie glaubt, mit den Europäern wäre es einfacher. Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Tsipras kämpft gegen einen Verbündeten in dem wichtigsten Politikfeld seiner Regierung.

Alexis Tsipras bittet in Berlin um Schuldenerleichterungen für sein Land. Dass er bei Angela Merkel auf taube Ohren stößt, hat er sich selbst zuzuschreiben. Denn der Premier hat zwei schwere Fehler gemacht.
von Marc Etzold

Es heißt, der europäische Rettungsschirm ESM könnte ein viertes Programm alleine stemmen.
Der ESM ist mittlerweile der wichtigste Geldgeber und dazu finanziell in der Lage. Aber: Wenn es ein reines ESM-Programm gäbe, dann wird auch nach ESM-Regeln entschieden. Und im ESM-Rat hat Deutschland einen gewichteten Stimmenanteil von 27 Prozent. Dagegen kann Griechenland kaum etwas machen. Es ist nicht im Sinne Athens, wenn Berlin faktisch die Spielregeln bestimmen würde.

Wovon hängt ab, ob der IWF bleibt oder geht?
Entscheidend ist das Eigeninteresse des Währungsfonds. Im Sommer 2015 hatte der damalige Finanzminister Varoufakis eine Schuldenrückzahlung an den IWF ausgesetzt. Diese Erfahrung wirkt bis heute in Washington nach. Der IWF will sichergehen, dass er sein Geld auch tatsächlich zurückbekommt. Und er will vermeiden, dass Griechenland in zwölf Monaten wieder anklopft und nach frischem Geld fragt. Deswegen pocht die Washingtoner Institution auf einen Schuldenschnitt und klare Verpflichtungen nach Auslaufen des dritten Programms.

Zur Person

Ihre Prognose – wie geht der Streit mit dem IWF aus?
Ich gehe davon aus, dass sich der IWF geringfügig finanziell beteiligt und im Gegenzug auf viel Überwachung und strikte Auflagen bestehen wird. Wenn das gegeben ist, kann der IWF gemeinsam mit der Eurogruppe über mittelfristige Schuldenerleichterungen für Griechenland verhandeln.

Zum Abschluss noch der Blick nach vorne. Die griechische Wirtshaft soll dieses Jahr um 2,7 Prozent wachsen. Das sind doch gute Nachrichten.
Da steckt viel Hoffnung und Regierungslyrik drin. Abschließende Zahlen zum vergangen Jahr stehen noch aus, die Wirtschaft ist aber maximal um 0,5 Prozent gewachsen. Damit sie 2,7 Prozent wachsen kann, müssen auch jene Sektoren wieder zulegen, die bislang stagnieren. Im Tourismus beispielsweise läuft es gut, in der Bauindustrie dagegen weniger. Zudem müssten der Einzelhandel und die Investitionen anziehen. Das geht aber nur, wenn die Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft werden und politische Berechenbarkeit gewährleistet ist. Aber die Kapitalkontrollen haben einen interessanten Nebeneffekt: Die Schattenökonomie geht langsam zurück. Wer heute mit Kreditkarte statt Bargeld zahlt, kommt um die Mehrwertsteuer nicht mehr herum. Das trägt zu etwas besseren Wirtschaftsdaten in Griechenland bei.

Sie klingen nicht sehr optimistisch.
Ich erinnere mich noch an den Optimismus vor zwei Jahren als Tsipras gewählt wurde. Damals herrschte Aufbruchsstimmung im Land. Danach hat Tsipras aber fast alle enttäuscht. Zumal es in den vergangenen Jahren immer wieder Momente gab, in denen Griechenland scheinbar die Wende geschafft hatte. Und jedes Mal wurden die Hoffnungen enttäuscht. Daher bin ich vorsichtig und bleibe Realist.

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