Ölpreis-Rutsch Norwegische Wirtschaftspolitik gerät ins Wanken

Wegen des niedrigen Ölpreises steht das norwegische Modell auf der Probe. Der Osloer Ökonom Øystein Noreng erklärt, wieso sein Land mehr wie Deutschland werden muss und wie die Öl-Misere Norwegen langfristig nutzen kann.

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Prof. Øystein Noreng von der BI Norwegian Business School in Oslo: Der niedrige Ölpreis und die Krise der Ölwirtschaft sind eine Chance für Norwegen. Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Die norwegische Wirtschaft ist aufgrund des fallenden Ölpreises erheblich unter Druck geraten. Wie reagiert das Land darauf?

Øystein Noreng: Wir haben zum Glück nicht die Nerven verloren. Es gibt auch keinen Grund zur Panik. In Dollar gemessen liegt der derzeitige Realpreis für Öl ungefähr auf dem Niveau von vor zehn Jahren. In den 90er Jahren war der Ölpreis sehr niedrig, eine schwierige Zeit. 2005 ging es uns aber gut. Und auf dem Niveau sind wir jetzt wieder angekommen. Das Problem ist nur, dass sich unsere Gesellschaft seitdem auf die höheren Löhne und den höheren Lebensstandard eingestellt hat.

Welche Folgen hat der niedrige Ölpreis für die Bevölkerung?

Möglicherweise werden wir die Einkommenssteuer erhöhen müssen, damit unsere Geldmaschine auch für künftige Generationen erhalten bleibt.

Zur Person

Mit der Geldmaschine meinen Sie den norwegischen Öl-Fonds.

Ja, alle Erdöleinnahmen des Staates werden in diesen Fonds eingezahlt. Dessen Volumen beträgt rund das Zweieinhalbfache des Bruttoinlandsproduktes …

…derzeit etwa 820 Milliarden Euro.

Der Fonds ist zurzeit der größte der Welt. Das Geld haben wir in Aktien, Anleihen und Immobilien angelegt. Zwischen ein und zwei Prozent aller Aktienwerte der Welt sind im Besitz des norwegischen Fonds. Unsere Politiker wollen diese Geldmaschine am liebsten unendlich lang am Leben halten. Wenn der Staat mehr ausgeben will, konnte er das bislang über die Rendite des Fonds finanzieren. Höhere Steuern waren nicht nötig. Das könnte sich nun ändern.

Mit über 100.000 Dollar ist das Pro-Kopf-Einkommen in Norwegen so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Wird das so bleiben?

Tatsächlich haben wir die teuersten Arbeitskräfte der Welt. Die Reallöhne sind 30 Prozent höher als in Schweden. Wir sind aber nicht 30 Prozent produktiver als unsere schwedischen Nachbarn. Wir müssen uns anpassen und werden in den nächsten Jahren wohl kaum Lohnzuwächse erleben. Der Lebensstandard wird bleiben, wie er ist – hoffentlich.

Wer vom billigen Öl profitiert – und wer verliert
Jemand arbeitet an einer Tragfläche eines Flugzeugs Quelle: PR
Autos Quelle: AP
Jemand greift nach Körperpflegeprodukten in einem Regal Quelle: REUTERS
Containerschiff Quelle: dpa
Lastwagen der Deutschen Post Quelle: dpa
Packungen mit Medikamenten Quelle: dpa
Anlage mit Tank, auf dem BASF steht Quelle: dpa

Stagnation auf hohem Niveau. Wird das zu sozialem Unfrieden führen?

Kaum. Die Einkommensunterschiede sind in Norwegen relativ gering. Und die Bevölkerung versteht, dass Lebensstandard und Löhne nicht so stark steigen können, wie in den letzten Jahren. Das sehen auch die Gewerkschaften so. Vor 30 Jahren mussten wir schon einmal durch so eine Phase. Die Norweger kennen das. Wir wurden auch von der Finanzkrise getroffen; es gelang uns aber die Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Das ist auch jetzt die große Herausforderung.

Sie klingen nicht sonderlich besorgt.

Der Boom der letzten zehn Jahre war eine Sondersituation. Es war klar, dass es nicht immer so weiter gehen kann. Nach einer Überhitzung kommt immer eine Abkühlung. Wir hatten lange das Gefühl, Norwegen sei ein eigener Planet. Eine Insel der Glückseeligen, die mit der Außenwelt nicht viel zu tun hat. Jetzt kehrt wieder Normalität ein, vielleicht schneller als viele Beobachter es annehmen.

"Der niedrige Ölpreis hat bei allen Problemen auch etwas Gutes"

Ein reinigendes Gewitter?

Ja, das haben wir 1986 schon einmal erlebt. Damals sackte der Erdölpreis von 28 auf 10 Dollar in sehr kurzer Zeit ab. Das war schwer, aber nützlich. Diesmal fiel er von 110 auf 55 Dollar. Das ist schwierig, aber keine Tragödie.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Welche Folgen hat der niedrige Ölpreis für die Industrie in Norwegen?

Unsere Erdölindustrie wird schrumpfen und schlanker werden müssen. Die Kosten für die Erdölförderung sind in den letzten Jahren geradezu explodiert. Ein Beispiel: Vor zehn Jahren hat ein Bohrschiff etwa 100.000 Dollar am Tag gekostet. Mittlerweile zahlen wir eine halbe Million Dollar. Die Lieferanten und Dienstleister der Erdölindustrie haben im letzten Jahrzehnt viel Geld verdient. Jetzt wird unsere Erdölindustrie leiden. Aber das geht anderen Öl-Nationen nicht anders.

Etwa 250.000 Menschen sind in der Ölindustrie beschäftigt. In einigen Schätzungen heißt es, dass bis zu 40.000 Jobs verloren gehen könnten.

Ja, das ist für die Betroffenen schwierig, aber für die Gesamtwirtschaft kaum ein großes Problem. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Niemand kann derzeit seriös prognostizieren, wie viele Jobs ohne Neubeschäftigung verloren gehen werden. Aber Norwegen ist mehr als die Erdölwirtschaft, die rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht. Die Öl-Dominanz wird geringer und zeitgleich verbessern sich die Wachstumsbedingungen für andere Wirtschaftsbereiche.

Zum Beispiel?

Die Schwer- und Chemieindustrie wird bedeutender, ebenso die Aluminiumindustrie und die Stromwirtschaft. Norwegen kann seinen eigenen Strombedarf zu über 95 Prozent aus Wasserkraft decken. Auch die Fischerei, Bergbau und Holzindustrie sind noch immer wichtig für uns. Die Ölindustrie hat der gesamten Wirtschaft hochtechnologische Impulse gegeben. Die teure, aber gut gebildete Arbeiterschaft hat den Betrieben Anreize gegeben, sich technologisch zu modernisieren.

Meilensteine der Ölpreisentwicklung

Wie konkurrenzfähig sind diese Wirtschaftszweige?

Sie wird zunehmend konkurrenzfähiger. Der niedrige Ölpreis hat bei allen Problemen eben auch etwas Gutes. Die norwegische Krone ist gegenüber dem Dollar gesunken, dem Euro gegenüber aber weniger. Damit verbessert sich die Konkurrenzfähigkeit vieler Wirtschaftszweige. Wie schon öfters in der Geschichte werden wir uns umstellen müssen. Die norwegische Art des Kapitalismus hat sich durch die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitgeber und Staat flexibel und umstellungsfähig gezeigt.

Bereitet sich Norwegen auf eine Zeit ohne Öl vor?

So würde ich es nicht formulieren. Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Erdölwirtschaft noch viele Jahrzehnte zu unserem Wohlstand beitragen wird. Die Preise und Erträge werden immer wieder schwanken, so wie wir es derzeit erleben.

"Norwegens Wirtschaftsstruktur ist völlig anders ist als in jedem anderen Land Europas"

Wie lange wird das Öl noch reichen?

Das weiß keiner. Die Technologie verbessert sich stetig und wir finden immer neue Vorkommen. Das Meeresgebiet Norwegens ist etwa 2,2 Millionen Quadratkilometer groß – von Russland im Osten bis Island im Westen und Dänemark im Süden. Die Geologen vermuten, dass rund die Hälfte dieses Gebietes Erdölpotential hat. Bislang haben wir gerade mal an vier bis fünf Prozent dieses riesigen Gebiets gebohrt.

Was den Ölpreis bestimmt

Die US-Energiebehörde EIA kalkuliert mit gut sechs Milliarden Barrel Ölreserven, die Norwegen noch fördern kann. Demnach würde das Öl noch neun Jahre reichen.

Das sind sehr konservative Schätzungen, die eine ganz begrenzte Grundlage haben. Die amerikanischen Behörden veröffentlichen solche Zahlen regelmäßig seit dem Ersten Weltkrieg. Bislang haben sie sich immer geirrt. Daher rate ich zu größtmöglicher Vorsicht.

Zwei Mal wollte Norwegen der EU bereits beitreten. Die Wähler haben das 1972 und 1994 in Volksabstimmungen verhindert. Denken die Norweger vor dem Hintergrund der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen nun wieder an einen EU-Beitritt, womöglich sogar an eine Einführung des Euro?

Wir haben eine Wirtschaftsstruktur, die völlig anders ist als in jedem anderen Land Europas. Geht die Konjunktur in Deutschland hoch, geht sie bei uns zurück. Und läuft es bei uns besser, geht es bei euch meist ein wenig schlechter. Ähnlich ist es beim niedrigen Ölpreis. Für Deutschland ist er gut, für uns eher weniger. Daher ist es in der jetzigen Situation gut, dass wir eine eigene Währung haben, die wir abwerten können, um in anderen Bereichen konkurrenzfähiger zu werden. Aber wir sind durch den Europäischen Wirtschaftsraum ohnehin eng an die EU gebunden und von der europäischen Wirtschaft stark abhängig.

Zum Abschluss: Wie wird sich Norwegen in den nächsten fünf bis zehn Jahren wirtschaftlich verändern?

Die Ölwirtschaft bleibt wichtig für uns, aber wir werden weniger von Rohstoffen abhängig sein. Norwegen wird vielleicht allmählich ein normales europäisches Industrieland mit einem größeren Dienstleistungssektor. Wir werden ein bisschen mehr wie Schweden oder Deutschland sein – also mehr verarbeitende Industrie haben. Und wenn es soweit ist, werden wir auch ein größeres Interesse daran haben, in Brüssel mitzureden. Lassen Sie uns also in fünf bis zehn Jahren nochmal über die EU-Frage sprechen, besonders wenn der Ölpreis niedrig bleibt.

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