Österreich Aufatmen, nicht entspannen

Der Sieg Alexander van der Bellens ist eine gute Nachricht für das liberale Europa. Doch Österreichs innenpolitische Lage bleibt brisant – und könnte den Kontinent schon bald erschüttern.

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Alexander Van der Bellen hat die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten gewonnen. Quelle: dpa

Das liberale Österreich atmet auf. Der ehemalige Grünen-Chef und EU-Befürworter Alexander van der Bellen liegt bei den österreichischen Präsidentschaftswahl uneinholbar vor dem Rechtspopulisten Norbert Hofer. Das ist eine gute Nachricht für die Europäische Gemeinschaft. Grund zur Entspannung hat Österreichs Wirtschaft und dessen politisches Establishment trotz dieses Wahlergebnisses jedoch nicht.

Die Gefahr für Österreichs Wirtschaft hat trotz Wahlkampfgetöns nie Norbert Hofer geheißen. Zwar hätte die Wahl des Burschenschafters Hofer einen braunen Schatten auf das wohlgepflegte Image aus Lipizzanern, Sissi und Mozartkugeln geworfen. Mehr als einen symbolischen Schaden hätte der Wirtschaftsstandort Österreich aber selbst unter dem Rechtspopulisten kaum genommen.

Ganz anders könnte das jedoch mit Hofers Parteikollegen Heinz-Christian Strache kommen. Dem Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit Jugenderfahrung in Neonazi-Kreisen werden beste Aussichten eingeräumt, es zum nächsten Kanzler der Alpenrepublik zu bringen. Bekommt die Große Koalition im Alpenland nicht endlich den Reformstau in den Griff, könnten Österreichs Rechtspopulisten dem Kontinent bereits im kommenden Jahr wieder einen Wahlkrimi liefern.

Denn die derzeitige Lichtfigur der österreichischen Innenpolitik, der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern, übt sich seit seinem Amtsantritt vor wenigen Monaten in der in Österreich so geläufigen Form des Diminutivs: Statt Reformen gibt es bloß Reförmchen. Statt dringende Anpassungen am Arbeitsmarkt und im Bildungswesen anzupacken, verteilen die Koalitionspartner aus Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) gerade Hundert Euro an jeden österreichischen Pensionisten. Was als vorgezogenes Wahlgeschenk gedacht ist, wird von den Österreichern auch genau so verstanden. Doch während sich die Koalitionspartner gegenseitig belauern, blockieren und auf Neuwahlen im kommenden Jahren spekulieren, zieht H.C. Strache – wie der Rechtspopulist sich selbst jugendnahe nennt – in den Umfragen davon.

Die Wirtschaftspolitik von Strache ist zwar ähnlich ausgereift wie jene von Donald Trump. Doch von diesem Vakuum an Ideen lassen sich die zunehmend vom Wohlstand und der gesellschaftlichen Teilnahme abgehängten Wähler nicht mehr abschrecken. Anstatt sich vom Sieg Van der Bellens zu Neuwahlen tragen zu lassen, sollte Österreichs Kanzler nun endlich Reformen liefern. Denn nicht nur die Lipizzaner wollen gepflegt sein. Auch der Wirtschaftsstandort Österreich verlangt das.

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