Ortsbesuch in Zell am See Wenn Araber und Europäer gemeinsam Urlaub machen ...

Europas Öffentlichkeit vermisst zwischen Burkini und Burka ihr Maß für Toleranz – und ihr Verhältnis zum Islam gleich mit. Was aber passiert, wo Araber und Europäer sich so nahe kommen wie sonst kaum irgendwo? Ein Ortsbesuch in Zell am See.

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Arabische Touristen in Zell am See. Quelle: dpa Picture-Alliance

Landläufig gilt die alpine Einwohnerschaft ja nicht unbedingt als weltoffen und kulturell aufgeschlossen – zumal in den Bergen Österreichs, wo die Rechtspopulisten der FPÖ schon vor zwei Jahrzehnten auf Stimmenfang gingen, in den Trutzburgen der Intoleranz. Wer in die Höhen des Alpenlands reist, erwartet insgeheim dieses erzkonservativ-katholische Bergvolk, das sich weidlich über die geizigen „Piefkes“ echauffiert und für die islamische Kultur noch weniger Verständnis entgegen bringt.

Dann strandet man in Zell am See im südlichen Salzburger Land – und plötzlich lösen sich all diese Vorurteile in Luft auf.

Es ist ein ganz normaler Augusttag – und das bedeutet, dass arabische Touristen den Gesamteindruck prägen in Zell am See. Ein junges Pärchen schlendert Hand in Hand entlang der schmucken Seepromenade: er mit Ray-Ban-Sonnenbrille, sie mit Kopftuch. Am Gehweg dreht ein Mädchen auf dem Kinderkarussell die Runden; eine Frau passt auf, dass die Kleine nicht vom Pferd fällt: ihr Gesicht verhüllt im schwarzen Niqab, den auch die Österreicher gern für die in Afghanistan übliche Burka halten. Vom Pier legt eine Großfamilie im Tretboot ab: im ersten strampelt der Vater voraus, das zweite lenkt die verschleierte Mutter hinterher.

Jahr für Jahr kommen sommers rund 70.000 Touristen aus Saudi-Arabien, Kuwait und den Emiraten ins beschauliche Zell am See, ein Nest mit 10000 Einwohnern. Es sind Menschen der Mittelschicht, die vor der Hitze der Heimat fliehen. Indes ist es weniger bemerkenswert, dass die Araber kommen, denn das ist seit zehn Jahren so. Erstaunlicher ist, wie die Österreicher sie nach anfänglicher Skepsis aufnehmen: freundlich, hilfsbereit, kulturoffen – letzteres so sehr, dass sich Handel, Hotellerie und Gastwirte den Wünschen der fremden Gäste anpassen.

Einige gehen sogar so weit, dass sie „ihre Araber“ gar in Schutz nehmen ob der Diskussion über das Burka-Verbot, die von Deutschland her hinüberzieht. Österreichs Parlament hat dies vor zwei Jahren abgelehnt, und das ist auch gut so, sagt Designerin Tracy Hauenschild: „Ich finde es richtig, dass ein Land seine religiösen und kulturellen Traditionen bewahrt“, sagt die junge Frau, sie mache ja mit ihrer Trachtenkollektion nichts anderes.

In der Bahnhofstraße betreibt Tracy Hauenschild ein Atelier für österreichische Mode. Die meisten Oberteile kosten 500 Euro aufwärts, aber der Laden boomt. Arabische Frauen, schätzt die Modeschneiderin, kaufen im Sommer gut ein Viertel ihrer Ware. Damit hatte sie nicht gerechnet, als sie vor fünf Jahren der Liebe wegen nach Zell kam. Aber rasch sie fand heraus, dass die Araberinnen auf traditionelle Mode stehen, die vor Ort hergestellt wird. „Unterm Schleier sind die Kundinnen wunderschöne Frauen, mit Make-up bis ins kleinste Detail“, sagt Hauenschild. Abends machen sie dann Shopping-Parties im „Grand Hotel“ oder in der „Neuen Post“.

„Die Burka verhindert die Integration, erniedrigt die Frau und fördert Parallelgesellschaften“
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Zuallererst sieht sich die Designerin als Geschäftsfrau. Und sie wäre eine schlechte, sagt sie, wenn sie sich auf die Wünsche der Kundinnen vom Golf nicht einstelle. Darum verwendet sie mehr Gold in ihrer Kollektion, das geht immer. Und von der Tracht mit dem Hirschkopf auf der rechten Brustseite lässt sie größere Mengen schneidern, denn die reißen sie ihr gerade aus den Händen. Im Winter, wenn die Holländer in Zell sind und die Geschäfte ruhiger laufen, will sie nach Saudi-Arabien reisen und sich mit dem Schnitt der schleierhaften Mode beschäftigen: „Ich bekomme viele Anfrage, diese traditionelle Kleidung in Österreichs Landesfarben zu entwerfen“, sagt Hauenschild. Aber bevor sie sich das zutraue, wolle sie mehr über den kulturellen Hintergrund des Schleiers erfahren.

Nicht nur Modegeschäfte boomen – überhaupt könnte die Stimmung im Einzelhandel nicht besser sein. In Zell am See hat gerade das dritte arabische Restaurant eröffnet, es gibt zwei Supermärkte mit arabischen Produkten und eine Shisha-Lounge. Das neu eröffnete Casino wirbt mit Flyern auf Arabisch und empfängt abends spielfreudige junge Männer, in deren Religion Glückspiel eigentlich untersagt ist. Aber im Urlaub trinken sie oft auch Alkohol an der Hotelbar, wo sie in mehreren Hotels arabischsprachige Kellner begrüßen. Sogar syrische Flüchtlinge finden in Zell eine Beschäftigung. Einer davon ist Achmad, der in der Kreuzgasse Handyzubehör im Shop eines Irakers verkauft. Vor drei Jahren war er aus Aleppo geflohen, der Schleuser nahm ihm 6000 Euro für eine dreitägige Fahrt in einem sauerstoffarmen Container ab. Irgendwann ging die Ladeluke auf – und plötzlich war er in Österreich.

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