Otmar Issing „Macron stellt das Fundament der EU infrage“

Geld- und Währungsexperte Otmar Issing Quelle: imago images

Der Koalitionsvertrag opfere die Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung, fürchtet Otmar Issing. Der ehemalige EZB-Chefökonom warnt vor der europäischen Transferunion nach französischen Wünschen.

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WirtschaftsWoche: Professor Issing, wie beurteilen Sie die Koalitionsvereinbarungen zwischen Union und SPD zum Thema Europapolitik?
Otmar Issing: Ich habe den Eindruck, dass die Vereinbarung im „Europakapitel“ die auf Wettbewerb und Stabilität beruhenden Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung einer falsch verstandenen Europabegeisterung opfert.

Inwiefern?
Offenbar geht man in Berlin davon aus, alle Probleme in Europa mit dem Geldbeutel der Steuerzahler lösen zu können. Das funktioniert nicht. Im Gegenteil. Wer aus der EU eine Transferunion macht, legt die Saat für künftige Konflikte.

Auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fordert eine stärkere Integration der EU.
Es ist schon erstaunlich, dass Macron in Frankreich auf mehr Markt und Deregulierung setzt, bei seinen Plänen für Europa hingegen Ideen aus der französischen Mottenkiste der Planification hervorholt.

Vielleicht, weil sich damit am einfachsten das Vormachtstreben Frankreichs in Europa realisieren lässt?
Das kann man so interpretieren. Viele der Probleme in der EU haben ihre Ursache darin, dass es von Anfang an unterschiedliche Vorstellungen zwischen Deutschland und Frankreich gab, wie Europa gesellschaftlich und wirtschaftlich gestaltet werden soll. Während Frankreich mehr auf zentrale staatliche Lenkung und Protektionismus setzte, vertraute Deutschland dem dezentralen marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Diese Unterschiede im Denken bestehen fort. Insofern ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich von einem Kampf der Ideen geprägt.

Kann es zwischen beiden Positionen einen Kompromiss geben?
Das gesamte europäische Gebäude besteht aus Kompromissbausteinen. Aber das Fundament war immer die Idee des freien Binnenmarktes. Macron stellt dieses Fundament infrage, indem er die EU als Schutzraum definiert, der Unternehmen und Arbeiter vor Wettbewerb und Konkurrenz abschirmen soll.

Sie beziehen sich auf den von Macron angestrebten Ausbau Europas zu einer Sozialunion?
Ja, das hätte verheerende Wirkungen. Macrons Schutzraum gilt ja auch für das Verhältnis der EU-Länder untereinander. Er will französische Arbeiter vor billigeren Arbeitskräften aus Osteuropa schützen und die Mindestlöhne angleichen. Das ist Ausfluss französischen protektionistischen Denkens und nimmt den Ländern in Osteuropa die Chance, zum Westen aufzuschließen. Die Folgen sind Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen und noch mehr Migration aus dem Osten in die Sozialsysteme Westeuropas. Eine Sozialunion, wie Macron sie anstrebt, wird den Kontinent spalten und die Europäer in einer Weise gegeneinander aufbringen, die über das hinausgeht, was wir bisher gesehen haben.

Deutschland hat in der Europapolitik immer darauf vertraut, dass sich alle an die vereinbarten Regeln halten ...
... was, im Nachhinein betrachtet, ziemlich naiv war. Auch ich war in dieser Hinsicht ein wenig naiv und habe wie die meisten Deutschen an eine Rechtsgemeinschaft in Europa geglaubt, in der man Verträge schließt, um sie einzuhalten. Das hat sich weithin als Illusion erwiesen. Ich habe daher große Zweifel, dass neue Verträge, die im Zuge einer verstärkten Integration noch tiefer in die Souveränität der einzelnen Länder eingreifen, in Zukunft eingehalten werden. Das Vertrauen in die Vertragstreue der Regierungen ist perdu. Auf dieser Basis kann man nicht weiter gehen in Richtung stärkerer Integration, sprich Zentralisierung. Schon gar nicht, wenn es um Finanzen und Steuern geht, den Kernbereich der nationalen Souveränität.

Die designierte Bundesregierung will in diese Richtung gehen und den Euro-Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds ausbauen und unter EU-Recht stellen.
Bei der Gründung des ESM hieß es, er solle in nationaler Verantwortung der Länder bleiben. Ich habe von Anfang an nicht daran geglaubt, dass man den Fonds wetterfest machen kann gegenüber europapolitischen Einflüssen. Wenn der ESM unter EU-Recht gestellt wird und Beschlüsse über Rettungshilfen nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, höhlt dies die fiskalpolitische Souveränität der Länder aus.

Sehen Sie noch eine Chance, die marktwirtschaftlichen Positionen Deutschlands in Europa durchsetzen?
Ehrlich gesagt ist meine Hoffnung sehr begrenzt. Wir gehen in Deutschland mit ordnungspolitischen Prinzipien selbst immer laxer um. Heute beruft sich ein jeder von politisch links bis rechts auf die Marktwirtschaft, der Begriff ist inhaltsleer geworden. Wenn es schon in Deutschland keine ordnungspolitische Orientierung mehr gibt, wie will man dann in Europa dafür kämpfen? Was mich dabei besonders ärgert: Wer Bedenken gegen den sich in Europa ausbreitenden Zentralismus und Interventionismus äußert, wird als schlechter Europäer gebrandmarkt. Dabei ist das Gegenteil richtig. Europa ist ein großartiges Projekt. Umso mehr bedarf es eines soliden, auf der Wahrung des Rechts und gegenseitigen Vertrauens gegründeten Fundaments.

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