Der französische Premierminister Edouard Philippe hat die neue zentristische Partei von Präsident Emmanuel Macron zum Sieger der ersten Runde der Parlamentswahl erklärt. „Frankreich ist zurück“, erklärte Philippe und kündigte rasche Reformen beim Arbeitsrecht und in der Sicherheitspolitik an.
Die Wähler hätten am Sonntag die unzweideutige Botschaft gesandt, dass sie ein Parlament mit einem „neuen Gesicht“ wollten, sagte Philippe. Zugleich dankte der Premierminister den Sicherheitsdiensten für den Schutz der Wahllokale. Sie hätten nach der Serie tödlicher Terroranschläge in den vergangenen Monaten einen sicheren Urnengang gewährleistet. Macrons Partei "La République en Marche" (LREM) wird für die zweite Wahlrunde am kommenden Sonntag eine überwältigende Mehrheit vorhergesagt.
Ersten Hochrechnungen zufolge erhielt die Partei LREM mehr als 30 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium am Sonntag nach Auszählung der ersten Stimmen mitteilte. Damit könnte sich die Partei in der zweiten Runde der Parlamentswahl am kommenden Sonntag eine Dreiviertel-Mehrheit im Parlament sichern. Die Wähler hätten ihren Willen deutlich gemacht, nun wichtige Reformen schnell auf den Weg zu bringen, sagte ein Regierungssprecher.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
Die Konservativen kamen Umfragen zufolge abgeschlagen auf den zweiten Platz mit knapp 21 Prozent der Stimmen, gefolgt vom rechtsextremen Front National mit gut 13 Prozent und den Sozialisten und einer Gruppe von linksgerichteten Parteien mit neun Prozent. Ein Vertreter der Konservativen bezeichnete das Ergebnis als Enttäuschung für seine Partei. Ein Abgeordneter sagte, die politische Macht sollte nicht in der Hand einer einzigen Partei konzentriert sein. Einer Erhebung des Instituts Elabe zufolge könnten sich die Konservativen 80 bis 100 der insgesamt 577 Sitze im Parlament sichern und wären damit die wichtigste Oppositionspartei.
Den Sozialisten sagen die Institute 30 bis 40 Sitze voraus. Die erste Runde der Parlamentswahl sei ein beispielloser Rückschlag für die sozialistische Partei, sagte Parteichef Jean-Christophe Cambadelis. "Wenn Macron wie vorhergesagt in der zweiten Runde gewinnt, gibt es im Parlament keinen Raum für eine demokratische Debatte." Die Wahlbeteiligung war nach Angaben des Innenministeriums gering. 51,4 Prozent der Wahlberechtigten blieben den Angaben nach der Abstimmung fern. Dies sei besorgniserregend, sagte die Chefin des Front National, Marine Le Pen.
Abgestimmt wurde unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen. Um im ersten Durchgang gewählt zu werden, muss ein Kandidat mindestens 50 Prozent gewinnen. Gelingt dies nicht, nehmen alle Kandidaten mit mindestens 12,5 Prozent an der Stichwahl am 18. Juni teil, bei der dann die einfache Stimmenmehrheit entscheidet.
Macron will Reformen vorantreiben
Der 39-jährige Präsident stellt mit seiner erst ein Jahr alten Organisation die Parteienlandschaft des Landes auf den Kopf. In der Gruppierung, die sich weder links noch rechts positionieren will, sind erfahrene Politiker und Neulinge wie ein ehemaliger Stierkämpfer, ein Kampfpilot oder ein Ex-Polizei-Kommandeur vertreten. Macron ernannte einen Republikaner zum Regierungschef, gleichzeitig umwirbt seine Partei sozialistische Abgeordnete unter dem Banner von LREM zu kandidieren.
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
Der jüngste französische Präsident seit Napoleon setzt auf eine große Mehrheit im Parlament, um sein wichtigstes Projekt vorantreiben zu können, den Umbau des französischen Arbeitsrechts. Macron hat angekündigt, die Gesetze unternehmerfreundlicher zu gestalten, um mehr Jobs zu schaffen. Im Klartext bedeutet das, Entlassungen und befristete Einstellungen zu erleichtern. Auch treibt er die starken Gewerkschaften mit seinem Plan auf die Barrikaden, die Unternehmenssteuer zu senken. Zustimmung erhält er für den Plan, über fünf Jahre 50 Milliarden Euro in die Ankurbelung der Wirtschaft zu investieren - von Qualifizierungsmaßnahmen bis hin zum Ausbau der Erneuerbaren Energien reicht das Spektrum.
Mit der Wirtschaftsreform will er sofort nach der Wahl beginnen. Um sie durchzusetzen, setzt er auf seine große Macht als Präsident: Die wichtigsten Teile sollen per Erlass - wahrscheinlich in der schläfrigen französischen Sommerpause - durchgesetzt werden.