Ist es Mitleid oder echte Unterstützung? Theresa May erhält viel Beifall bei ihrer Rede auf dem Parteitag der britischen Konservativen am Mittwoch in Manchester. Doch obwohl die Premierministerin inhaltlich punkten kann, gelingt ihr keine Demonstration der Stärke. Im Gegenteil: Britische Medien schreiben von einer „Alptraumrede“.
May erinnert demütig an die Wahlschlappe im Juni. „Ich übernehme die Verantwortung, ich habe den Wahlkampf angeführt, es tut mir leid.“ Dann geht sie in die Offensive. Sie legt ihre Vision für ein gerechteres Großbritannien dar, mit dem sie Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei den Wind aus den Segeln nehmen will.
Doch als ein Komiker ans Rednerpult tritt, um ihr - angeblich im Namen des Außenministers Boris Johnson - ein Entlassungsschreiben zu überreichen, ist es um ihr souveränes Auftreten geschehen. May räuspert sich, hustet, krächzt. Sie hat Mühe, die Rede zu Ende zu bringen. Zu allem Übel fallen hinter ihr auch noch die Buchstaben aus dem Parteitags-Slogan an der Wand. Der Vorfall kann als symbolisch für die vergangenen Wochen betrachtet werden.
Statt Großbritannien auf dem Weg zum Brexit zu neuen Höhen zu führen, hatte die 61-Jährige alle Hände voll zu tun mit Querelen in ihrem Kabinett. Vor allem Außenminister Johnson macht ihr das Leben schwer. Mehrmals hatte er vor dem Parteitag ohne vorherige Absprache seine eigenen Vorstellungen zum EU-Austritt in der Öffentlichkeit dargelegt. Nicht wenige glauben, dass er im Sturz Mays die einzige Chance sieht, selbst noch ins Amt des Regierungschefs zu kommen.
Die Wahlschlappe im Juni hat deutlich ihren Tribut gefordert. May hatte die Parlamentswahl ohne Not einberufen, weil sie sich einen Erdrutschsieg erhofft hatte - inzwischen regiert sie mit einer Minderheitsregierung. Die Brexit-Gespräche verlaufen schleppend.
Hört man sich unter den Delegierten um, gibt es trotzdem kaum jemanden, der öffentlich ihren Rücktritt fordert. Viel zu groß wäre die Gefahr, dass es zu Neuwahlen kommt und Labour-Chef Jeremy Corbyn im Regierungssitz Downing Street 10 einzieht. Erst vergangene Woche ließ sich Corbyn beim Labour-Parteitag in Brighton an der englischen Südküste von seinen Unterstützern wie ein Messias feiern.
„Theresa May wird für die nächsten zwei bis drei Jahre Premierministerin bleiben“, sagt Duncan Ross, ein Zahnarzt und Tory-Mitglied aus Manchester. Dass May bei der nächsten Wahl noch einmal antritt, hält er aber für ausgeschlossen.
Außenminister Boris Johnson gibt sich in Manchester alle Mühe, die Gerüchte um seine Ambitionen zu zerstreuen. Obwohl er seine Parteitagsrede am Dienstag mit dem Titel „Lass den Löwen brüllen“ ankündigt, gerät sie überraschend zahm. Das Kabinett sei hinter „jeder Silbe“ der Brexit-Rede der Premierministerin in Florenz vereint, sagte Johnson. Der Löwe schnurrt, zumindest vorübergehend.
Doch das hält Johnson nicht davon ab, in ein Fettnäpfchen zu treten. Bei einer Nebenveranstaltung am Dienstag zieht er mit einer Bemerkung zu Libyen scharfe Kritik auf sich. Die ehemalige IS-Hochburg Sirte könne zu einem neuen Dubai werden, sagte Johnson. „Sie müssen nur die Leichen wegräumen“, fügt der Außenminister lachend hinzu. Ansonsten habe die Stadt mit ihrem weißen Sandstrand und „wunderschönem Meer“ alle Voraussetzungen für ein Touristenparadies. Die Empörung schlägt große Wellen, eine Parteikollegin fordert per Twitter Johnsons Rausschmiss.
May versucht, die Sticheleien Johnsons herunterzuspielen. In Fernsehinterviews sagt sie, sie wolle kein Kabinett aus Ja-Sagern. Ihre Politik werde keineswegs von Johnson untergraben. Doch kann sie sich sicher sein, dass der Außenminister die Seitenhiebe von nun an sein lässt?
Draußen vor dem Konferenzgelände steht ein Mann, der wenig Zweifel daran hat, dass Johnson den nächsten Streich schon vorbereitet. Drew Galdron ist professioneller Boris-Johnson-Imitator. Er gehört zu den 30 000 Menschen, die allein am ersten Tag des Parteitags gegen Brexit und Sparpolitik der Regierung auf die Straße gingen. Die Ähnlichkeit zum Außenminister ist nicht zu leugnen. Nur bei den blonden Haaren habe er ein bisschen nachgeholfen, gibt er zu. „Everything I do, I do it for me“ (Alles was ich tue, tue ich für mich) - singt er einen leicht abgeänderten Bryan-Adams-Song mit sonorer Boris-Stimme in ein Mikrofon.
Möglicherweise fürchtet Johnson auch, von rechts überholt zu werden. Kaum ein Konservativer ist bei dem Parteitag so gefragt wie Jacob Rees-Mogg. Der Millionär und strenggläubige Katholik ist der neue Liebling der Brexit-Befürworter - jede Veranstaltung mit ihm ist überlaufen. Mit seinem gescheitelten Haar, der Nickelbrille und seinen Anzügen wirkt er wie eine Figur aus dem frühen 20. Jahrhundert. Er ist radikaler Abtreibungsgegner und stolz darauf, noch nie eine Windel bei einem seiner sechs Kinder gewechselt zu haben. Bei einer Umfrage unter Tory-Anhängern auf der Website Conservativehome rangiert er inzwischen auf dem zweiten Platz für den Posten des nächsten Parteichefs - direkt hinter Johnson.