Plan von George Soros Sieben Punkte - so lösen wir die Flüchtlingskrise

Seite 4/6

Bündnis der Willigen

Für ihre Finanzierung werden früher oder später neue europäische Steuern erhoben werden müssen. In der Zwischenzeit kann der Bedarf teilweise durch die Mobilisierung von nicht in Anspruch genommenen Kreditlinien bereits bestehender EU-Finanzinstrumente gedeckt werden – der Einrichtung zur Zahlungsbilanzhilfe („Balance-of-Payments Assistance“), des Makrofinanzhilfe-Programms und des Europäischen Finanzstabilitätsmechanismus (EFSM). In diesen Instrumenten sind zusammengenommen mehr als 50 Milliarden Euro nicht in Anspruch genommener Mittel verfügbar. Diese Einrichtungen müssten umgenutzt werden und ihre Mandate erweitert werden, was auf nennenswerten Widerstand stoßen wird, doch diese Zahlen verdeutlichen die ungenutzte finanzielle Kapazität der Europäischen Union.

Auf dem Höhepunkt der Eurokrise konnten Mitgliedsstaaten die politische Entschlossenheit aufbringen, unverzüglich ein Instrumentarium zu schaffen, welches in erheblichem Maß die Finanzkraft der EU vergrößerte. Der EFSM, der dann zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde, erhöhte die Kreditaufnahmekapazität der EU auf etwa 500 Milliarden Euro in gerade mal einem Jahr und bewies somit, dass es einen Weg gibt, wenn ein Wille da ist. Doch all diese Instrumente sind mit drei Beschränkungen konfrontiert: Sie sind zumeist zwischenstaatlich und sind auf Garantien der Mitgliedsstaaten angewiesen statt auf den EU-Haushalt, der zu klein bleibt für eine derart hohe Anleihe; sie benötigen einstimmige Ermächtigung durch die Mitgliedsstaaten; und sie sind im Wesentlichen dafür konzipiert, anderen Mitgliedsstaaten Geld zu leihen, weniger um wirkliche Ausgaben im Namen der EU zu motivieren.

Der einzige Weg ist, „Bündnisse der Willigen“ zu bilden, die keine einstimmige Zustimmung erfordern.

Diese Initiativen könnten tiefgreifendere Reformen des EU-Haushalts anregen. Daher fühlte ich mich im vergangenen Jahr sehr ermutigt, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine gesamteuropäische Benzinsteuer vorschlug. Ich war jedoch bald darauf desillusioniert, als er ausdrücklich davor warnte, die weitgehend ungenutzte Kreditfähigkeit der Europäischen Union nutzbar zu machen.

Das bloße Fortbestehen der Europäischen Union steht auf dem Spiel. Es ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit und der Pflichtverletzung, den Zerfall der EU zuzulassen, ohne ihre gesamten finanziellen Ressourcen zu nutzen. Durch die Geschichte hindurch haben Regierungen als Reaktion auf nationale Notlagen Schuldverschreibungen ausgegeben. Wann sollte die Europäische Union ihre weitgehend unausgeschöpfte Kreditfähigkeit nutzen, wenn nicht zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich in Lebensgefahr befindet? Dies zu tun hätte zusätzlich den Vorteil eines dringend benötigten wirtschaftlichen Impulses. Angesichts von Zinssätzen auf historischen Tiefständen ist derzeit ein besonders günstiger Zeitpunkt für eine solche Neuverschuldung.

Viertens: Die Krise muss dazu genutzt werden, gemeinsame europäische Mechanismen für den Schutz von Grenzen, die Prüfung von Asylanträgen und die Umsiedelung von Flüchtlingen zu schaffen. Bescheidene Fortschritte sind auf dem Weg: Im vergangenen Monat wurden vom Europäischen Parlament Rechtsvorschriften für den Aufbau der „European Border and Coast Guard“ (EBCG) beschlossen. Doch die Dublin-III-Verordnung – Grundlage für die Festlegung, welcher Staat die Verantwortung für Abwicklung und Aufnahme von Asylsuchenden trägt – verhindert durch die Belastung des Ersteintrittsstaats Solidarität unter EU-Mitgliedsstaaten; über sie muss neu verhandelt werden.

Wie Dax-Konzerne Flüchtlingen helfen – oder auch nicht
Als die Flüchtlingszahlen stiegen, brüstete sich die deutsche Wirtschaft mit großen Versprechungen: Daimler-Chef Dieter Zetsche orakelte von einem neuen Wirtschaftswunder, BDI-Chef Ulrich Grillo versprach, die Industrie werde „ganz vorne“ mitmachen bei der Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. Quelle: dpa/picture-alliance
Viele Initiativen gründeten sich, viele prominente Stimmen meldeten sich zu Wort, ein Credo: Arbeit, Sprache, Bildung sind die Basis gelungener Integration, und überhaupt: Deutschland brauche diese Leute. Quelle: dpa/picture-alliance
Was ist nun aus den großen Versprechungen geworden? Ein Streifzug durch die deutsche Arbeitswelt zeigt: Manche tun nicht viel, außer sich mit der Mitgliedschaft in einer der werbeintensiven Hilfsinitiativen zu brüsten, andere spenden siebenstellige Beträge oder schaffen Hunderte Praktikums- und Ausbildungsplätze. Neben dem Erwartbaren findet sich in der Palette der Hilfsangebote aber auch manche Überraschung. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Sportkonzern hat auch 30 Praktikumsplätze in den Bereichen Handel, Logistik und diversen Abteilungen am Headquarter geschaffen. Aber es gibt auch Sport-, Spiel- und Bastelnachmittage mit den Flüchtlingen hier in Herzogenaurach, und engagierte Mitarbeiter können finanzielle Unterstützung für „ihre“ Flüchtlingsprojekte anfragen. Dann gibt es aus dem Adidas-Fördertopf zum Beispiel Trikots für Fußball-Teams oder Schuhe für die Läufer, die am Stadtlauf teilnehmen. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Reifenhersteller konzentriert sich auf das Wesentliche: Arbeit und Sprache. Deutschlandweit hat der Konzern in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit 50 Plätze für eine sogenannte Einstiegsqualifizierung geschaffen. Das Programm dauert sechs bis zwölf Monate und soll die Leute fit machen für den Arbeitsmarkt. Ziel ist zum Beispiel die Übernahme in eine Ausbildung bei Conti – zehn Flüchtlinge haben bereits einen Vertrag für die Qualifizierung unterschrieben. Quelle: dpa/picture-alliance
Die Deutsche Post hat bereits mehr als 150 Flüchtlinge auf Praktika im Konzern vermittelt, mehr als 50 Menschen unter anderem aus Ruanda, Eritrea, Togo und Syrien sind außerdem auf konkrete Arbeitsplätze angestellt worden. Besonders stolz ist der Konzern auf seine Mitarbeiter: Mehr als 13.000 Beschäftigte engagieren sich in mehr als 650 Projekten. Auch nett: Etwa 26.000 Quadratmeter Liegenschaften hat der Konzern den Kommunen überlassen, um zum Beispiel Notunterkünfte oder Kleiderkammern einzurichten. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Stromkonzern ist Gründungsmitglied der bundesweiten Initiative „Wir zusammen“, die vor allem Plattform zum Austausch über Projekte sein will. RWE ist aber auch Krise, weshalb man derzeit „keine Möglichkeit“ sehe, Flüchtlinge fest anzustellen. Immerhin gibt es zusätzliche 46 Praktikumsplätze und zwei Ausbildungsplätze. Außerdem geben Mitarbeiter Flüchtlingen Sprachkurse, dolmetschen oder lassen sich zu sogenannten Integrationslotsen ausbilden. Eine Aktion, die für einen Stromkonzern vielleicht wie Peanuts anmutet, für die Flüchtlinge sicherlich von großer Bedeutung: In Zusammenarbeit mit der Telekom hat RWE in einem Erstaufnahmelager kostenfreies WLAN-Netz organisiert. Quelle: dpa/picture-alliance

Eine europäische Lösung entsteht derzeit vor Ort in Griechenland, wo das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) de facto die Asylanträge untersucht, um die überforderten griechischen Behörden zu unterstützen. Ein einheitliches europäisches Asylverfahren würde die Anreize für Asylshopping beseitigen und das Vertrauen unter den Mitgliedsstaaten wieder stärken.

Fünftens: Sobald Flüchtlinge anerkannt sind, muss es einen Mechanisms geben, um sie auf vereinbarte Art und Weise innerhalb Europas umzusiedeln. Für die EU wird es unabdingbar, die Durchführung ihrer totgeborenen Neuansiedlungs- und Umsiedlungsprogramme grundlegend zu überdenken; ein zaghafter Schritt in diese Richtung wurde in der vergangenen Woche durch neue Vorschläge der Europäischen Kommission unternommen. Die Union darf weder Mitgliedsstaaten noch Flüchtlinge zur Teilnahme an diesen Programmen nötigen. Sie müssen auf Freiwilligkeit beruhen; ein übereinstimmendes System könnte Präferenzen sowohl von den Flüchtlingen als auch von den Aufnahmegemeinschaften eruieren, damit Menschen am Ende dort landen, wo sie sein wollen und wo sie willkommen sind. Das EASO hat begonnen, ein übereinstimmendes System zu entwickeln.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%