Einige Regierungschefs in Europa haben nach einem Marshall Plan für Afrika gerufen. Ein lobenswertes Ziel; doch wenn es um die Einzelheiten geht, ist Europa weit entfernt von einer solchen Zukunftsvision. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten 1,4 Prozent ihres BIP investiert, um Europa wieder aufzubauen – jedes Jahr, vier Jahre lang. Eine Investition in der Größenordnung des originalen Marshall Plans würde für die kommenden vier Jahre in etwa 270 Milliarden Dollar pro Jahr erfordern, eine Zahl, von der wir weit entfernt sind.
Die siebte und letzte Säule ist, dass Europa angesichts seiner älter werdenden Bevölkerung früher oder später ein Umfeld schaffen muss, in dem Vielfalt und wirtschaftliche Migrationsbewegungen willkommen geheißen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Deutschlands Türen den Flüchtlingen weit geöffnet, doch ihre großzügige Geste war nicht gut durchdacht; sie klammerte den Anziehungseffekt aus. Ein plötzlicher Zustrom von mehr als einer Million Flüchtlinge überwältigte die Kapazitäten der Behörden und kehrte so die öffentliche Meinung gegen die Zuwanderer. Nun muss die EU dringend den generellen Zustrom an Neuankömmlingen beschränken, und das geht nur, indem Wirtschaftsmigranten benachteiligt werden. Dies bleibt hoffentlich eine temporäre Angelegenheit, doch so lange sie andauert, ist sie ebenso unangemessen wie schädlich.
Das Asylpaket II
Die Vorsitzenden der Koalitionsparteien haben mit ihrer Einigung am Donnerstag den Weg für das Asylpaket II freigemacht. Die Inhalte des Gesetzesvorhabens im Überblick (Quelle: Reuters).
Aufnahmezentren: Kern des Pakets sind spezielle Aufnahmezentren, von denen bundesweit drei bis fünf entstehen sollen. Auf diese hatten sich die Parteichefs bereits im November als Kompromiss im Streit um die von der Union geforderten Transitzonen verständigt.
In den Zentren sollen bestimmte Gruppen von Asylbewerbern Schnellverfahren durchlaufen. Dazu gehören Menschen aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperren oder Folgeanträgen. Aber auch Asylsuchende, die keine Bereitschaft zur Mitwirkung zeigen, falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht oder Dokumente mutwillig vernichtet haben, sollen darunter fallen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll über ihre Anträge vor Ort innerhalb von einer Woche entscheiden. Inklusive eines möglichen Widerspruchs vor dem Verwaltungsgericht soll das Verfahren innerhalb von drei Wochen beendet sein. Abgelehnte Asylbewerber sollen möglichst direkt aus den Einrichtungen zurückgebracht werden.
Für die Dauer des Verfahrens und gegebenenfalls bis zur Ausreise sind die Personen verpflichtet, sich nur im Bezirk der jeweiligen Ausländerbehörde aufzuhalten. Bei Verstößen riskiert der Asylbewerber, dass sein Verfahren eingestellt wird.
Für Flüchtlinge mit dem geringsten subsidiären Schutz soll der Nachzug von Familienmitgliedern für zwei Jahre ausgesetzt werden. Dabei handelt es sich um Personen, die nicht unmittelbar persönlich verfolgt sind und deshalb weder Schutz als Flüchtling noch nach dem Asylrecht erhalten. Wenn ihnen dennoch im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht, wird ihnen der subsidiäre Schutz zuerkannt.
Die Einschränkung des Familiennachzugs für diesen Personenkreis war zum Schluss der Hauptknackpunkt. Die SPD hatte eigentlich erreichen wollen, dass Syrer von der Regelung ausgenommen werden, was die CSU aber nicht mitmachte. Der Kompromiss sieht nun vor, dass innerhalb künftiger Kontingente von Flüchtlingen, die der Türkei, dem Libanon oder Jordanien abgenommen werden, "der Familiennachzug zu bereits in Deutschland lebenden Flüchtlingen vorrangig berücksichtigt" werden soll.
Erst zum 1. August vergangenen Jahres waren subsidiär Schutzbedürftige beim Familiennachzug anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt worden, wodurch sie in der Regel Ehepartner und Kinder nachholen dürfen. Nach Ablauf der zwei Jahre soll diese Rechtslage automatisch wieder in Kraft treten.
Flüchtlinge müssen sich künftig an den Kosten von Sprach- und Integrationskursen mit zehn Euro im Monat beteiligen. Der Betrag wird ihnen von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abgezogen.
Generell sollen Abschiebungen erleichtert werden. Die Bundesregierung will dazu die Rahmenbedingungen für ärztliche Atteste präzisieren, mit denen Flüchtlinge ihre Abschiebung verhindern können. Einem Gesetzentwurf von Mitte Januar zufolge sollen grundsätzlich nur lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Rückführung verhindern können. Eine ärztliche Bescheinigung muss künftig bestimmten Kriterien entsprechen, um die Erkrankung glaubhaft zu machen.
In einem weiteren Gesetz soll mehr Rechtssicherheit für Flüchtlinge, die eine Lehre in Deutschland machen und ihre Ausbildungsbetriebe geschaffen werden. Laut Vizekanzler Sigmar Gabriel soll ein Migrant nach der Ausbildung unabhängig von seinem Status zwei Jahre in Deutschland arbeiten können. Das Alter, bis zu dem Flüchtlinge eine Lehre aufnehmen dürfen, werde von 21 auf 25 heraufgesetzt.
Marokko, Tunesien und Algerien sollen per Gesetz zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Die Asylverfahren für Personen aus diesen Ländern werden dadurch beschleunigt. Die Regelung soll aber nicht ins Asylpaket aufgenommen werden, weil es sonst die Zustimmung des Bundesrats benötigen würde, wo Union und SPD keine eigene Mehrheit haben.
Die Vorteile, die Zuwanderung mit sich bringt, wiegen weitaus schwerer als die Kosten für die Integration der Einwanderer. Hochqualifizierte Wirtschaftsmigranten verbessern die Produktivität, generieren Wachstum und erhöhen die Absorptionsfähigkeit des Empfängerstaats. Unterschiedliche Bevölkerungen bieten unterschiedliche Fertigkeiten, doch die Beiträge rühren ebenso von den Innovationen her, die sie einführen, wie von ihren besonderen Sachkenntnissen – sowohl in ihren Ursprungsländern als auch in ihren Bestimmungsländern. Es gibt eine Fülle an Anekdoten als Beweis dafür, angefangen bei der Mitwirkung der Hugenotten an der ersten industriellen Revolution, da sie sowohl die Weberei als auch das Bankenwesen nach England brachten. Zuwanderer haben ein hohes Potenzial, um für Innovation und Entwicklung zu sorgen, wenn sie hierfür entsprechende Chancen bekommen.
Diese sieben Grundregeln zu verfolgen ist unerlässlich, um öffentliche Ängste zu beruhigen, chaotische Ströme von Asylsuchenden zu verringern, die vollständige Eingliederung von Neuankömmlingen zu gewährleisten, beiderseitig vorteilhafte Beziehungen mit Ländern im Mittleren Osten und in Afrika zu schaffen und um Europas internationale humanitäre Verpflichtungen zu erfüllen.
Fazit
Die Flüchtlingskrise ist nicht die einzige Krise, mit der Europa konfrontiert ist, aber es ist die dringlichste. Und könnten beträchtliche Fortschritte in der Flüchtlingsfrage gemacht werden, so wäre es einfacher, die übrigen Probleme – von der anhaltenden griechischen Schuldenkrise über die Folgen des Brexit bis hin zu den von Russland ausgehenden Herausforderungen – in Angriff zu nehmen. Alle Einzelteile müssen zusammenpassen, und die Erfolgschancen bleiben schmal. Doch so lange es eine Strategie mit Erfolgsaussichten gibt, sollten alle Menschen, denen das Überleben der Europäischen Union am Herzen liegt, sich geschlossen hinter sie stellen.