WirtschaftsWoche: Herr Monedero, Sie haben das Regime von Hugo Chávez in Venezuela beraten. Ist das sozialistische Land ein Vorbild für Spanien?
Juan Carlos Mondero: Nein. Ich habe die Regierung beraten, um die Politik zu verbessern und nicht, weil ich deren Regierungsform bewundere. Die Ziele von Chávez waren redlich und er hat es auch geschafft, die Armut zu reduzieren. Dann aber hat die Korruption die Fortschritte zunichte gemacht und das Land in den Abgrund gestürzt. Ich bin gewissermaßen mit meiner Beratung auch ein Stück weit gescheitert – und hoffe, dass wir es mit Podemos besser machen.
Ist Kommunismus oder Sozialismus eine Option für Sie?
Absolut nicht. Die Planwirtschaft ist eindeutig gescheitert. Aber: Wir müssen die Demokratie überdenken und im demokratischen Rahmen neue Bürgerbeteiligungen und mehr Gerechtigkeit schaffen.
Zum Thema
Juan Carlos Monedero ist einer der Gründer von “Podemos”, einer erfolgreichen spanischen Protest-Partei. Monedero hat an der Heidelberger Universität über das Ende der DDR promoviert - und das Chávez-Regime in Venezuela beraten. Der 52-Jährige unterrichtet Politikwissenschaften an der Madrider Universität und verurteilt die deutsche Europa-Politik.
Die linksgerichtete Partei “Podemos” (auf Deutsch: „Wir können“) gibt es erst seit gut einem Jahr. Sie hat keine Mitglieder, finanziert sich allein über Spenden und Crowdfunding und nach dem Erfolg der regionalen Wahlen in Andalusien auch immer mehr über Steuergelder. Ende des Jahres wählt Spanien ein neues Parlament. Podemos werden gute Chancen eingeräumt, das traditionelle Zwei-Parteiensystem auf nationaler Ebene zu durchbrechen und die Sozialisten oder Konservativen in eine Koalition – möglicherweise auch mit Podemos – zu zwingen.
Was haben Sie konkret vor?
Wir wollen die Macht wieder dem Volk zurückgeben, weil die demokratischen Repräsentanten gescheitert sind. Alle vier Jahre zu wählen, reicht nicht. Wir haben Podemos so aufgebaut, dass wir ständig im Kontakt mit der Gesellschaft sind, mit Meinungsführern und Hilfsorganisationen. Wir haben keine Mitglieder, wir verzichten auf viele Ämter und ziehen es stattdessen vor, dass wir viele Versammlungen organisieren, in denen wir gemeinsam mit unseren Unterstützern Entscheidungen treffen. Das Vertrauen in die Politik ist in Spanien auf einem Tiefpunkt angelangt, wir müssen es wieder aktivieren.
Was treibt Sie außenpolitisch an?
Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle in Europa: In fast allen Peripherieländern gibt es große soziale Not, während die stabilitätsorientieren Ländern gut durch die Krise gekommen sind und ihren Wohlstand gar noch vermehrt haben. Die Merkel‘sche Austeritätspolitik hat die sozialen Ungleichheiten verschärft. Wir leben in einem Europa, in dem alle die Befehle Deutschlands folgen.
Wissenswertes über Spanien
Ob in Barcelona, Santander oder Málaga: Spaniens Bürger haben oftmals den Strand vor der Tür. Kein Wunder: Immerhin 4.064 Kilometer lang ist die spanische Küste. Die Fläche der Strände beträgt gar über 8000 Kilometer. Ausgerechnet die Hauptstädter müssen allerdings auf das Baden im Meer im Alltag verzichten. Sie sind gut 350 Kilometer vom Meer entfernt.
Die spanischen Stierkampf-Fans jubeln, Tierschützer sind empört: In der vergangenen Woche erklärte das Parlament das blutige Spektakel zum Kulturgut. Damit wird der Stierkampf, der in der heutigen Form in Spanien seit vier Jahrhunderten besteht, zum ersten Mal in der Geschichte gesetzlich anerkannt und einem besonderen Schutz unterstellt.
… allerdings nur beim Verkauf von Olivenöl. Fast die Hälfte (44 Prozent) aller verkauften Flaschen des Pflanzenöls kommen aus Spanien. Auch Autos und Kfz-Teile werden global verkauft, dazu Maschinen, Chemieprodukte und Nahrungsmittel. Deutschland ist zweitgrößter Handelspartner Spaniens nach Frankreich in Bezug auf die Exporte, bei den Importen Spaniens liegt Deutschland auf Platz eins (vor Frankreich).
Tapas – das spanische Pendant zu Antipasti – gehören in Spanien zu einem guten Abend dazu. Die Appetithäppchen, die zu Wein oder Sangria gereicht werden, verzehrt man üblicherweise im Stehen. Meist werden sie kostenlos als Beilage zum Getränk serviert. Einer Legende zufolge soll König Alfons X. von Kastilien während einer Krankheit gezwungen gewesen sein, kleine Zwischenmahlzeiten zu sich zu nehmen. Nach seiner Genesung soll er veranlasst haben, Wein immer mit einem Appetithappen zu servieren. Dieser Brauch hält sich bis heute.
Spanien hat mit 1,2 Millionen Hektar die größte Weinanbaufläche der Welt. Auf ihren Bodegas – so nennen sich die spanischen Weingüter – zaubern spanische Winzer aus mehr als 250 Rebarten die verschiedensten Sorten Wein. Damit werden die Spanier zum Spitzenreiter im Weinanbau.
Das sind sehr harte Worte. Wie meinen Sie das?
Die Politik in Brüssel wird seit einigen Jahren komplett von der deutschen Regierung und der Bundesbank bestimmt. Das war aber nicht so angedacht, als die Europäische Gemeinschaft geschaffen wurde. Es sollte eine Gemeinschaft mit gemeinschaftlichen Entscheidungen sein.
Jetzt ist Deutschland in Europa so mächtig wie noch nie, nur noch Merkel gibt den Ton an. Die Kürzungen in den südlichen Krisenländern bei Gesundheit, Erziehung und Sozialleistungen haben die Armut wachsen lassen. Der Norden hat daran eindeutig Schuld aufgrund der Austeritätspolitik. Da müssen wir ansetzen und andere Lösungen finden.
Aber Merkel hat doch nicht vorgegeben, wo gekürzt werden soll?
Die deutsche Regierung hat über IWF, EZB und die Europäische Kommission Druck gemacht, dass die Ausgaben drastisch und schnell gekürzt werden. Das geht immer über diesen Weg: Gesundheitswesen und Sozialleistungen, gleichzeitig wird die Mehrwertsteuer erhöht. Spanien hat genau das gemacht.
"Wir empfinden das deutsche Auftreten in Europa als vorschreibend"
Statt auf Deutschland zu schimpfen, könnten Sie sich ja auch an der demokratischen Reife der Bundesrepublik orientieren: der soziale Dialog funktioniert, Tarifparteien regeln die Löhne, die Justiz ist unabhängig, und die Bürger nehmen am politischen und gesellschaftlichen Leben teil, die Korruption ist gering.
Deutschland ist eine Demokratie, die nach innen, für die eigenen Leute sehr gut funktioniert. Und ich bewundere das Bewusstsein des Einzelnen für die ganze Gesellschaft, die grundsätzliche soziale Verantwortung jedes Deutschen dem Staat gegenüber. Diese ist verankert in der Kultur. Ich bewundere auch die intellektuellen Debatten, die es in Deutschland gibt.
Die Kanzlerin Angela Merkel handelt auch durchaus gerecht ihrem Volk gegenüber. Die Deutschen genießen viele Sozialleistungen und Privilegien. Sie erleben Wohlstand, der Staat beschützt sie. Aber außerhalb des Landes agiert die deutsche Regierung alles andere als demokratisch und empathisch. Wir empfinden das deutsche Auftreten in Europa als vorschreibend, bestimmend und wenig solidarisch.
Was sind denn Ihre konkreten Konzepte gegen die Krise – oder sind Sie mit dem Status quo, immerhin gibt es Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung, zufrieden?
Wir geben uns nicht mit kurzfristigen Besserungen der wirtschaftliche Lage zufrieden, wir streben eine Systemänderung an, ähnlich der Ansätze von Christan Felbers Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“. Wir wollen auch eine neue demokratischere Entscheidungsstruktur in Brüssel. Es geht hier nicht um etwas weniger Arbeitslose oder etwas mehr Wachstum. Wir haben strukturelle Probleme, ein Auseinanderdriften von Arm und Reich, und das erleben wir nicht nur in Spanien, sondern in vielen Industrieländern, wo der Mittelstand schwindet.
Sie werden in Spanien von einigen als Hoffnungsträger für einen Wandel gefeiert, Sie werden unterstützt aus Protest gegen das etablierte Parteiensystem. Was erhoffen Sie sich von den Parlamentswahlen am Ende des Jahres in Spanien?
Wir wollen aktiv die Politik in Spanien bestimmen. In Partnerschaft mit anderen Parteien oder aus der Opposition heraus. Ohne irgendwo in der Regierung zu sein, haben wir in Spanien schon viele Dinge verändert. Die Menschen sind aufgerüttelt und akzeptieren nicht mehr alles, sie haben die Volksparteien bei den Europawahlen und den regionalen Abstimmungen bereits abgestraft. Die Krise ermöglicht Spanien seit langer Zeit erstmal wieder, durchgreifende Änderungen in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Die Krise ist damit eine einmalige Chance, die wir haben.