Politik der EZB Ohne Zins droht das Chaos

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Ein ökonomischer Albtraum

Der natürliche Zins ist immer und überall positiv. Er lässt sich aus dem menschlichen Handeln nicht wegdenken. Seine Existenz kommt darin zum Ausdruck, dass der Handelnde gegenwärtige Güter höher wertet als zukünftige Güter. Der natürliche Zins ist Ausdruck einer Wertdifferenz: Künftige Güter erleiden – und zwar notwendigerweise – einen Wertabschlag gegenüber gegenwärtigen Gütern.

Der natürliche Zins kann nicht auf null oder darunter fallen. Wäre er null, dann hieße das, dass man nicht mehr konsumieren, sondern nur noch sparen würde. Nicht nur heute, auch morgen und übermorgen und für alle Zeit. Eine völlig irrige Vorstellung. Ganz zu schweigen von der Vorstellung, der natürliche Zins könnte negativ werden; was das ökonomisch bedeuten soll, lässt sich vom menschlichen Geist nicht einmal erfassen.

Jetzt, wo die Zentralbanken die Marktzinsen heruntermanipuliert haben, versuchen Sparer den Folgen zu entkommen. Sie fragen zum Beispiel risikoreichere Schuldpapiere nach wie zum Beispiel Unternehmensanleihen. Auch Aktien und Immobilien stehen auf der Einkaufsliste. Die steigende Nachfrage nach diesen Gütern treibt deren Preise in die Höhe. Die Folgen der Null- und Negativzinspolitik breiten sich auf alle Finanzmärkte aus.

Es ist absehbar, was dabei passieren wird: Die Preise aller Vermögensbestände steigen so weit an, bis sich keine positive Verzinsung mehr erzielen lässt, bis es nirgendwo mehr eine positive Rendite gibt. Beispielsweise erreichen die Aktienkurse irgendwann ein Niveau, das keine positive Rendite mehr in Aussicht stellt. Die Kurse können sogar so weit steigen, dass fortan mit negativer Verzinsung zu rechnen ist.

Der Instrumentenkasten der EZB

Die Aussicht Null- oder gar Negativverzinsung markiert einen kritischen Punkt: Die Marktwirtschaft – oder das, was von ihr heute noch übrig ist – ist im wahrsten Sinne des Wortes am Ende. Ohne die Möglichkeit, einen positiven Zins verdienen zu können, kommt die arbeitsteilige Wirtschaft zum Erliegen. Das kapitalistische Sparen und Investieren hört auf.

In einer Welt, in der es keinen positiven Zins mehr zu verdienen gibt, stellt sich Kapital-verzehr ein. Buchstäblich alles, was noch in den Regalen liegt, wird aufgezehrt und nicht mehr neu produziert. Es gibt keine Ersatz- und Neuinvestitionen mehr. Die Volkswirtschaft fällt in eine primitive Subsistenzwirtschaft zurück. Eine Welt ohne Zins ist eine Dystopie.

Was auf den ersten Blick als „konjunkturstützende“ Wirkung der Null- beziehungsweise Negativzinsen erscheinen mag, ist in Wahrheit also eine verheerende Politik. Die Null- und Negativzinspolitik der Zentralbanken baut nicht auf, sondern sie zerstört. Sie mag zwar kurzfristig das Wirtschaftsgeschehen stützen. Aber sie übertüncht damit lediglich den Kapitalverzehr, der die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft untergräbt.

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