Politikwissenschaftler Werner Patzelt "Gegen Europa zu sein, ist Ausdruck politischer Torheit"

Am Dienstag kommt das neue Europaparlament erstmals zusammen. Politikwissenschaftler Werner Patzelt spricht im Interview über die Europa-Gegner, die Macht des Parlaments und drohende soziale Unruhen.

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Werner Patzelt ist Politikwissenschaftler - mit Schwerpunkt Vergleichende Politikwissenschaft - in Dresden. Quelle: Pressebild

Wirtschaftswoche Online: Herr Patzelt, das Europäische Parlament konstituiert sich am Dienstag. Wer hat die Macht im Haus – und in Europa?

Werner Patzelt: Das Europäische Parlament lässt weder durch die europäischen Staatschefs noch durch die Medien beeinflussen. Für letzteres fehlt schlichtweg eine europäisch-mediale Öffentlichkeit. Das Parlament ist in seinen Entscheidungen frei – und steigert seinen Einfluss von Jahr zu Jahr. Dabei haben sich die Machtverhältnisse im Europäischen Parlament durch die Wahl im Mai nicht dramatisch verändert: Es haben Volkspartei und Sozialdemokraten weiterhin die klare Mehrheit.

Rechtsaußen-Parteien, etwa der Front National in Frankreich und die PVV von Geert Wilders in den Niederlanden, haben bei den Wahlen viele Stimmen eingesammelt. Sie sind aber mit dem Versuch gescheitert, eine Fraktion zu bilden. Wieso?

Es reicht nicht, einfach nur ein Gegner der europäischen Integration oder der Europäischen Union zu sein, um hinlänglich viele Schnittmengen zu haben, die für eine Fraktionsbildung ausreichen. Für die Abgeordneten jener Parteien ist das freilich bitter, weil der Zugang zu Positionen und Ressourcen des Europäischen Parlamentes nun einmal über Fraktionen führt. Für jene, die eine stabile europäische Einigung befürworten, ist das Fehlen einer solchen Fraktion hingegen Grund zur Freude.

Zur Person

Wie bewerten Sie die Zusammensetzung der EVP, jener konservativen Fraktion, der auch die CDU und CSU angehören -  und möglicherweise auch wieder die umstrittene ungarische Partei Fidesz von Viktor Orbán?

Parlamente brauchen Fraktionen, denn ohne sind sie nicht handlungsfähig. In Nationalstaaten könnten nur Parteien Fraktionen bilden, die nicht miteinander konkurrieren. In einem multinationalen Parlament ist die Sache anders: Da muss man sich einigen, welcher Parteifamilie eine Partei angehört. Und da ist es wie im richtigen Leben: Nicht jedes Familienmitglied gefällt. Aber wenn man ein Familienmitglied schneidet, bleibt es trotzdem Teil einer Familie. Vermutlich ist es dann besser, sich innerhalb der Familie zu vertragen und zu versuchen, störendes Benehmen zu verbessern. Im Klartext: Jene, denen die Orbán-Partei nicht gefällt, haben mit den Kollegen von dieser Partei über deren missfallende Züge zu reden, während ‚Ausschließeritis‘ zu praktizieren in der Regel wenig bessern wird.

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Macht aber nicht gerade diese Zusammenarbeit rechte Parteien salonfähig?

Wenn man verhindern will, dass die Menschen sehr rechte Parteien wählen, dann muss eine Partei der rechten Mitte ihnen ein Politik- und Personalangebot machen, das es unnötig macht, noch rechtere Parteien zu wählen. Anders gewendet: Wer innerhalb einer relativ vernünftigen Partei und Fraktion keine rechten Positionen zu vertreten erlaubt, der muss sich nicht wundern, wenn rechts von ihm eine viel rechtere und wenig willkommene Partei entsteht. Das gilt übrigens für den linken politischen Rand ebenso.

Haben die Euro-Kritiker mit der Wahl vom Mai ihren Zenit überschritten – oder erwarten Sie einen weiteren Anstieg der Zustimmung für EU-skeptische Positionen?

Europakritisch zu sein, ist zunächst einmal nichts Schlechtes, weil ja Kritik nichts Schlechtes ist. Ein Europagegner zu sein, ist hingegen Ausdruck politischen Torheit. Und zwischen diesen beiden Polen vollzieht sich eben konkrete Europapolitik. Dabei scheint es, als hätten die politischen Eliten Europas zu wenig Gedanken um die Sichtweisen der europäischen Bevölkerungen gemacht, als sie den Einigungsprozess immer weiter vorantrieben. Der designierte Kommissionspräsident hat es einmal auf eine für Demokraten wenig erfreuliche Formel gebracht: Europapolitik betreiben heiße, möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit voranzugehen. Vor diesem Hintergrund meint Europakritik dann eben, dass man sich den Kurs der EU nicht einfach mehr von politischen Eliten vorgeben lassen will. Das aber ist nicht nur zulässig, sondern auch sinnvoll – und hat viel mit Demokratie zu tun. Sollten die europäischen Eliten weiterhin den EU-Bürgern Anlass geben, auf reiner Selbstermächtigung beruhendes Handeln zu empfinden, wird es mit europakritischen, europaskeptischen, ja auch mit europafeindlichen Parteien weiter aufwärtsgehen.

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