Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld "Ein Brexit wäre fatal - für die Briten"

David Cameron ist zu Gast in Berlin. Der britische Premier will über eine Reform der EU verhandeln. Das ist nichts Neues, sagt Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Er fordert: Die EU sollte Cameron Zugeständnisse machen.

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Was die Briten an der EU stört
Mittelstand könnte beim Brexit-Referendum am 23. Juni den Ausschlag geben Quelle: dpa, Montage
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Der britische Premierminister David Cameron tourt durch Europa, um Partner für seine Forderungen nach Reformen in der Europäischen Union zu finden. Erste Stationen waren am Donnerstag Frankreich und die Niederlande. Am Freitag kommt Cameron nach Berlin.

"Der Status Quo ist nicht gut genug", sagte Cameron nach einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande in Paris. Er hoffe, dass die Europäische Union flexibel und einfallsreich genug ist, gemeinsame Strategien zu entwickeln, um den Staatenbund erfolgreicher und wettbewerbsfähiger zu machen. Hollande betonte, Frankreich wolle, dass Großbritannien in der EU bleibt. Allerdings gelte es, den Willen der Menschen zu respektieren, sagte er mit Blick auf die anstehende Volksabstimmung über den Verbleib in der EU.

Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) der Ludwig-Maximilians-Universität München, beruhigt: Die Briten werden in der EU bleiben. Ein "Brexit" hält Europa-Experte Weidenfeld für unwahrscheinlich. Wieso er sich so sicher ist und was David Cameron mit seinen Reformplänen bezweckt, erklärt er im Interview.

Herr Weidenfeld, Sie haben vor einem Jahr im Gespräch mit uns gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Briten in der EU bleiben, liegt bei 100 Prozent. Müssen Sie nun etwas zurückrudern?

Werner Weidenfeld: Nein, ich bin mit Blick auf meine Prognose ganz entspannt. Es ist nachweisbar so, dass die Zustimmung zur Europäischen Union bei den Bürgern immer dann steigt, wenn es eine intensive Debatte über das Für und Wider des Staatenbundes gibt. Diese Diskussion wird erst noch Fahrt aufnehmen. Es wird Studien über die wirtschaftlichen Auswirkungen geben, die Parteien werden appellieren und erklären, was ein „Brexit“ für das Königreich bedeuten würde: nämlich eine Katastrophe.

Zur Person

Was wäre das Hauptproblem für die Briten, wenn sie die EU verlassen würden?

Wenn Großbritannien Europa den Rücken kehrt, wäre die Insel abgeschottet vom Binnenmarkt. Das wäre fatal. Schon heute gibt es erste kleinere Auswirkungen auf die Volkswirtschaft – nur weil es Spekulationen um einen „Brexit“ gibt. Unternehmen denken laut darüber nach, ihren Firmensitz zu verlagern; wenn sie dies in die Tat umsetzen, würde Großbritannien Jobs und Steuereinnahmen in bedrohlichem Maße verlieren. Das übrigens weiß auch Premier David Cameron. Er persönlich will im Übrigen ja auch gar nicht austreten, er hat nie gesagt: "Wir wollen raus aus der EU".

Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld im Interview mit WirtschaftsWoche Online.

Was will Cameron denn dann?

Er steht innenpolitisch unter Druck. Deswegen will er nun Europa reformieren – und vorrangig, eigene Vorteile aushandeln. Ich bin überzeugt, dass Cameron über die Freizügigkeit in Europa sprechen will, dass er Sozialleistungen für Nicht-Briten einkassieren und vielleicht auch den berühmten Briten-Rabatt verlängern will. Die finanzielle Entlastung – Großbritannien muss weniger in die EU-Töpfe zahlen, als es seiner Größe entspricht – läuft 2020 aus. Dies könnte man in den kommenden Monaten bereits neu verhandeln.

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