Worin liegt denn das – wie Sie sagen – enorme Potenzial der EU?
Europa hat Wirtschafts- und Innovationskraft, Erfindergeist, eine reiche Kultur, demokratische Strukturen, eine spannende Ausstrahlung. Es gibt zig positive Dinge. Die Frage ist, wie wir dieses Potenzial ausschöpfen und organisieren können. Das ist in weiten Teilen noch ungeklärt.
Ausgerechnet eines der größten Mitgliedsländer der EU, Großbritannien, scheint das Potenzial Europas nicht zu erkennen.
Die Zweifel der Briten an Europa begleiten uns seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das gehört auf der Insel schon zum guten Ton, ich erinnere an Winston Churchill und Margaret Thatcher. Ersterer erklärte noch 1946, sein Land werde einem europäischen Bündnis nie beitreten. Thatcher wollte später von Brüssel ihr Geld zurück. Also: Großbritannien hat die Einigungsversuche stets ausgebremst – allerdings ist es immer auf den Zug Europa aufgesprungen, sobald das System funktionierte. Und zwar immer kurz bevor es zu spät war. Das wird auch dieses Mal so sein. Erstaunlicherweise deckt sich diese Erfahrung mit der öffentlichen Meinung. Jahrelang wird gemosert und kritisiert. Wenn aber Konsequenzen drohen, dreht sich der Wind. Auch die Debatte über die Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft der Briten läuft doch gerade erst an. Da müssen Sie sich keine Sorgen machen.
Königliche Geldsorgen
Als die "Sunday Times" 1989 zum ersten Mal die Liste der 1000 wohlhabendsten Bürger Großbritanniens veröffentlichte, stand Königin Elizabeth II mit 5,2 Milliarden Pfund an erster Stelle. Auch in den folgenden Jahren nahm die Monarchin die Spitzenposition ein.
2014 belegt die Queen mit einem Vermögen von 330 Millionen Pfund auf der Skala der Superreichen nur noch Platz 285.
Der Absturz kommt vor allem daher, dass Buckingham Palace, die Kunstsammlung Royal Collection, die Kronjuwelen und Liegenschaften des Königshauses nicht mehr ihrem Privatvermögen zugerechnet werden, sondern im sogenannten Kronvermögen (Crown Estate) gebündelt wurden. Doch auch im Tagesgeschäft hat die königliche Familie Geldprobleme. Ein Parlamentsbericht kam vor einigen Monaten zu dem Schluss, die königliche Kassenlage sei auf einem „historischen Tiefpunkt“. Der Hof gebe beständig mehr aus, als ihm vom Staat an Mitteln zugewiesen werde. Seit Ende 2000 sind die Reserven von 35 Millionen Pfund (rund 43 Millionen Euro) auf nur noch eine Million Pfund geschrumpft. In den renovierungsbedürftigen Gemäuern Buckingham Palace und Windsor Castle sind die Dächer so undicht, dass bei starken Regenfällen Eimer aufgestellt werden müssen, um Antiquitäten und Gemälde zu schützen. Allein die altmodischen Boiler in den Schlössern verursachen im Jahr Kosten von 774.000 Pfund.
Am Hungertuch nagt die 88-jährige Monarchin, die seit 1992 auf ihr Privatvermögen Steuern zahlen muss, gleichwohl nicht. Sie besitzt Immobilien wie Balmoral Castle in Schottland, Schloss Sandringham in der englischen Grafschaft Norfolk und Liegenschaften der Duchy of Lancaster mit 18 700 Hektar Land. Hinzu kommen Küstengrundstücke und Gestüte, eine private Kunstsammlung im Wert von zwei Millionen Pfund, Aktien und Wertpapiere in geschätzter Höhe von rund 100 Millionen Pfund, die legendäre Briefmarkensammlung ihres Großvaters sowie wertvolle Erbstücke ihrer Mutter.
Das Vermögen von Crown Estate (Gesamtwert: rund 7,3 Milliarden Pfund) gehört der Nation, die Königin profitiert jedoch von den Erträgen. Seit 2013 erhält sie 15 Prozent der Gewinne als „Sovereign Grant“. Damit muss sie die Ausgaben finanzieren, die ihr aus den offiziellen Pflichten als Staatsoberhaupt entstehen, etwa für Löhne ihrer Angestellten und den Erhalt der Schlösser. Für Letzteres sollte sie die königliche Schatulle künftig vielleicht weiter öffnen – damit es zu Hause nicht mehr reinregnet.
Wie hoch taxieren Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibt?
Bei 100 Prozent.
Wie sieht idealtypisch die Rolle der Europäischen Union in den kommenden Jahren aus? An wessen Seiten stehen wir?
Die Welt wird multipolarer, es gibt nicht mehr nur eine oder zwei Supermächte wie aktuell mit den USA und China. Die Europäische Union wird eine von mehreren Weltmächten sein; neben den USA, China, Indien, Japan, Russland und Australien. In solch einem System werden wir dann je nach Thema und Lage strategische Partnerschaften aufbauen. Wir sind dann mal Partner von China, und mal von Russland, sofern die sich mal wieder gefangen haben.
Das wäre die Rückkehr der Koalition der Willigen zulasten der USA?
Ich spreche lieber von strategischen Partnerschaften, im Kern ist es aber dasselbe. Ich glaube nicht, dass die USA sonderlich geschockt oder enttäuscht wären. Wir würden ja einfach ihren Stil kopieren. Die US-Amerikaner haben eine klare Vorstellung, was in ihrem Interesse liegt und was nicht. Und danach handeln sie. So deute ich auch die NSA-Affäre – über die sich in Amerika keiner aufregt. Schließlich wird die amerikanische Sicherheit so gewährleistet. Wir Europäer sind da oftmals nicht so klar und kühl gestrickt. Das wird sich aber sicher in einer komplexer werdenden Welt ändern. Die USA werden Bündnispartner nicht vor die Wahl stellen, sondern zusehen, eigene Mehrheiten für ihre Interessen zu schmieden. Wichtig ist ihren nur, dass sie nicht als Verlierer dastehen.
Und wo liegen die Grenzen der Europäischen Union?
Die Grenzen sind dort, wo die Menschen eine Trennlinie wahrnehmen. Derzeit wollen acht weitere Staaten perspektivisch Mitglied der EU werden. Da sind nicht die Länder dabei, die Interesse haben, aber im klassischen Denken nicht in Europa liegen. Ich denke an Kasachstan, ich denke an Georgien. Das heißt nicht, dass sich diese Sicht nicht ändern kann. Schauen Sie in die Geschichte. Im 6. Jahrhundert nach Christi bezeichnete man die griechische Halbinsel als Europa, drumherum lebten die „Barbaren“. Dieses Bild hat sich mit jeder Erkundung gewandelt. Europa hat natürliche Grenzen im Norden, Süden und Westen gefunden – nämlich dort, wo Küsten sind. Im Osten gibt es diese Trennlinien nicht. Folglich hat sich auch die Wahrnehmung, wo Europas Ostgrenze liegt, verschoben. Die große Frage bei der Erweiterung der Europäischen Union wird sein, ob die Türkei je Mitglied wird. Das ist eine offene Kontroverse. Die wird uns noch über Jahre begleiten.