Politische Union Deutschland droht der Souveränitätsverlust

Verzweifelt versuchen Europas Regierungen die krisengeschüttelte Währungsunion zu retten. Jetzt soll eine politische Union noch mehr Macht nach Brüssel verlagern. Selbst das deutsche Grundgesetz steht wegen der Euro-Rettung zur Disposition – ebenso wie Deutschlands Wohlstand.

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Barroso und Merkel auf der Umschlagsseite des Grundgesetzes Quelle: dpa, Montage

Der mit Spannung erwartete EU-Gipfel stieß das Tor zu einer Vergemeinschaftung von Schulden in Europa zunächst nur für die Banken auf. Aber die gemeinsame Verantwortung der EU-Staaten nimmt mit den Beschlüssen zu Bankenrefinanzierung und Wachstumspakt wieder ein Stück zu. Dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor so deutlich wie nie zuvor gemacht, wo für Deutschland die roten Linien bei der Euro-Rettung verlaufen. „Gemeinsame Haftung kann erst dann stattfinden, wenn ausreichende Kontrolle gesichert ist“, sagte Merkel.

Ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn die fünf Wirtschaftsweisen vorschlagen, sowie Euro-Bonds oder Euro-Bills, wie sie die Krisenländer penetrant fordern, um Deutschland für ihre Schulden mit in Haft zu nehmen, würden in Deutschland auch „verfassungsrechtlich nicht gehen“, so Merkel. Damit bestätigte die Kanzlerin, was sie vergangene Woche schon vor der FDP-Fraktion gesagt hatte. Ein Vergemeinschaften von Schulden werde es in der EU nicht geben „solange ich lebe“.

"Das ist ein erneuter Dammbruch"
Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler lehnt die direkte Kreditvergaben der Euro-Rettungsfonds an notleidende Banken, wie sie der EU-Gipfel gerade beschlossen hat, ab. „Das ist ein erneuter Dammbruch", sagte der Euro-Skeptiker Schäffler am Freitag. „Jetzt boxen wir auch (nach einigen deutschen Instituten) andere europäische Banken mit Steuerzahlergeld heraus", bemängelte er. „Die bisherigen Regeln lassen das eigentlich nicht zu", ergänzte er. „Es geht also alles immer stärker in diese Transferunion hinein.“Auch die Schaffung einer europäischen Bankenaufsicht trifft auf Skepsis bei Schäffler. „Ich sehe das insofern kritisch, als das nicht schnell realisierbar ist", sagte er. Ein solches Vorhaben brauche Zeit, aber die Krise gebe es aktuell. „Jetzt eine neue Bankenaufsicht zu schaffen in so einer schwierigen Phase, das halte ich für sehr schwierig und das schafft vielleicht weitere Verunsicherung". Dass die EZB bei dieser europäischen Bankenaufsicht eine bestimmende Rolle spielen solle, sehe er allerdings nicht so kritisch. Quelle: dpa
Schäffler bemängelte, insbesondere mit Blick auf die am Freitag anstehenden Entscheidungen des Bundestages und des Bundesrates zum neuen dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und zum europäischen Fiskalpakt: „Es ist wie bei manchen vorigen Entscheidungen: die Tinte ist noch nicht ganz trocken, da werden schon die nächsten Schritte angekündigt." Mit den jüngsten Entscheidungen in Brüssel werde erneut klar, alles gehe in Richtung Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. „Das ist so", unterstrich der FDP-Bundestagsabgeordnete. Die letzte Konsequenz seien dann die bislang von der Bundesregierung abgelehnten Euro-Bonds. Quelle: dapd
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig hat sich mit den Vereinbarungen des Brüsseler EU-Gipfels zufrieden gezeigt. Die Ergebnisse wiesen nach vorn, sagte der SPD-Politiker am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Im Sinne Europas müssten Italien und Spanien mit ihren Finanzproblemen wieder auf Kurs gebracht werden. „Wir sind diejenigen in Europa, die am meisten davon profitieren, dass Europa funktioniert", betonte Albig. Dazu sei Wachstum notwendig. Deshalb befürworte er dass entsprechende Paket in Höhe von 120 Milliarden Euro, dass auf den Weg gebracht worden sei, sagte der Kieler Regierungschef. Quelle: dpa
Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, hat die Ergebnisse der Brüsseler Gipfelnacht kritisiert. Einige Beschlüsse widersprächen den bisherigen Positionenen Deutschlands, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. „Bisher haben wir deshalb nie rote Linien überschritten, weil immer dann, wenn die rote Linie erreicht war, sie weiter verschoben wurde", beklagte der CDU-Politiker.Wenn beispielsweise der Vorrang des dauerhaften Rettungsschirm ESM vor den Verbindlichkeiten gegenüber privater Gläubiger wegfalle, sei das eine gute Nachricht für die privaten Gläubiger, aber nicht für die Steuerzahler, sagte Bosbach. Positiv bewertete er dagegen die Verabschiedung des Wachstumspakts. Quelle: dapd
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat die Beschlüsse des Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs verteidigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe Versuche, eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden einzuführen, „erfolgreich" und "unterstützt von anderen Ländern" abgewehrt, sagte er am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Merkel habe sich in Brüssel „mit einem klaren Nein zu fragwürdiger Vergemeinschaftung durchgesetzt".Bei den Beschlüssen zu einer leichteren Unterstützung für Banken bleibe es dabei, „dass die Haftung der Kontrolle folgt und eben Bankenhilfen erst möglich sind, wenn es auch eine europäische Bankenaufsicht gibt", sagte Gröhe. Merkel sei insgesamt „standfest" geblieben und „für deutsche Interessen" eingetreten. „Deutschland muss Stabilitätsanker bleiben, darf nicht überfordert werden", sagte Gröhe. Quelle: dpa
Auf Deutschland kommen nach Überzeugung des CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch trotz des Neins zu Euro-Bonds wachsende Risiken zu. Deutschland sei längst in einem Mechanismus gefangen, der letztlich dazu führe, „dass die Risiken zu uns wandern", sagte der Kritiker des Berliner und Brüsseler Euro-Kurses am Freitag im Südwestrundfunk. Das halte er für grundfalsch, betonte Willsch. Letztlich würden die Finanzmarktakteure nicht mehr glauben, dass Deutschland alle Risiken tragen könne. „Und dann werden unsere Zinsen auch steigen", befürchtet der CDU-Politiker. Quelle: PR
Die SPD findet die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Bewältigung der Euro-Krise akzeptabel. Zwar habe Bundeskanzlerin Angela Merkel in wesentlichen Punkten, in denen sie vorher rote Linie markiert habe, nachgeben müssen, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Freitag dem Nachrichtensender n-tv. Sie fügte aber hinzu: „Aus meiner Sicht ist das inhaltlich aber durchaus begründet, und insoweit kann ich mit dem Ergebnis leben."Zufrieden zeigte sich Nahles, dass das Wachstumspaket, das auch die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen solle, jetzt auf dem Weg sei. Auch eine gemeinsame Bankenaufsicht in Europa sei richtig. Dass es direkte Bankenhilfen geben solle, werde im konservativen Lager noch erhebliche Widerstände hervorrufen, mutmaßte Nahles. Da das aber mit der Bankenaufsicht verbunden sei, halte sie das für vertretbar. Quelle: dpa

Gemeinsame Haftung eingebettet in eine politische Union

Jetzt darf gewettet werden, wie die Kanzlerin die roten Linien halten kann oder wann sie doch noch überschritten werden. Denn der Druck auf Deutschland, zur Rettung des Euro das Portemonnaie ganz weit zu öffnen, steigt täglich. Vor allem aus Brüssel. Beim EU-Gipfel am vergangenen Donnerstag präsentierten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, ein Konzept, das Europa in ein neues Zeitalter katapultieren soll. Eine Fiskal- und Bankenunion soll alle Länder zu einer Haftungsgemeinschaft zusammenschweißen. Eingebettet in eine politische Union, sollen die Nationalstaaten wichtige Kompetenzen – vor allem in der Finanz- und Haushaltspolitik – an Brüssel abgeben.

Die Blaupause lieferte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Europa, so räsonierte er unlängst, brauche eine Fiskalunion mit einem europäischen Finanzminister, der den Nationalstaaten diktiert, wann sie welche Steuern zu erhöhen beziehungsweise Ausgaben zu senken haben, damit ihr Haushalt wieder in Ordnung kommt. Die EU-Kommission müsse zu einer Euro-Regierung aufgewertet und von einem Präsidenten geleitet werden, den das Volk direkt wählt. Das EU-Parlament, so Schäuble, soll das Recht erhalten, Gesetze auf den Weg zu bringen und müsse durch eine Länderkammer nach dem Vorbild des Bundesrats ergänzt werden.

Die Instrumente zur Euro-Rettung

In Brüssel betört der deutsche Finanzminister mit seinen Visionen offene Ohren. Denn den Brüsseler Eurokraten ist die nationale Kleinstaaterei auf dem Kontinent seit Langem ein Dorn im Auge. Um diese zu überwinden, wollen sie möglichst viele Politikbereiche europäisieren. Ihr Fernziel: die Vereinigten Staaten von Europa.

Doch der Weg dorthin ist nicht nur mit hohen rechtlichen Hürden verbunden. In Deutschland wäre wohl die Verabschiedung einer neuen Verfassung durch eine Volksabstimmung nötig. Ein europäischer Superstaat käme Deutschland zudem teuer zu stehen. Denn er institutionalisierte, wogegen sich die Deutschen bisher mit Händen und Füßen gewehrt haben – die allumfassende Transferunion.

Mit Banken- und Fiskalunion zum neuen Europa

 Mariano Rajoy, Francois Hollande, Mario Monti und Angela Merkel (von links) Quelle: dpa

Dass Europas Politiker so vehement mehr Europa, mehr Integration und mehr Solidarität fordern, ist darauf zurückzuführen, dass die Rettungspakete und Liquiditätsspritzen, mit denen sie die Krise bisher bekämpft haben, verpufft sind. Ihre schmerzstillende Wirkung hielt nur wenige Wochen, dann brach der Krisen-Virus wieder durch.

In ihrer Not ziehen die Regierungen jetzt den letzten Trumpf aus dem Ärmel. Eine politische Union soll der Währungsunion ein Dach geben, das sie vor den Gewittern der Finanzmärkte schützt. Die zentralen Stützpfeiler des neuen Gebäudes: eine Banken- und eine Fiskalunion.

Hinter dem simpel klingenden Begriff Bankenunion verbirgt sich ein weitreichender Umbau des Finanzsystems, über dessen Einzelheiten noch keine Klarheit besteht. Dabei hängt es von den Details der neuen Konstruktion ab, ob sie tatsächlich mehr Stabilität in den Finanzsektor bringt. Denn manche verstehen unter Bankenunion nur eine gemeinsame Aufsicht, andere auch die Haftung der nationalen Einlagensicherungsfonds für die Geldhäuser der Nachbarn.

Noch ist offen, welche Banken auf europäischer Ebene beaufsichtigt werden sollen. Am liebsten hätten die EU-Aufseher Zugriff auf alle Institute. „Es sind nicht immer nur die großen, systemischen Banken, die Probleme hervorrufen“, sagt EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Doch jede Bank und jede Sparkasse einer EU-Aufsicht zu unterstellen ist illusorisch. Beschränkt man sich daher auf die größten Häuser, ist die genaue Zahl entscheidend. „Ob man 30, 50 oder 100 auswählt, ist die Hälfte der Geschichte“, urteilt Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel.

National oder auf EU-Ebene entscheiden?
Die deutsche und die europäische Flagge Quelle: dpa
Rentner Quelle: dpa
Die Familie einer Sozialhilfeempfängerin Quelle: dpa
Eine Steuererklärung Quelle: dpa
Die Schulden-Uhr Quelle: dpa
Ein Jobcenter in Madrid Quelle: dpa
Eine Migrantin in einem Deutsch-Kurs Quelle: dpa

Wolff hat gemeinsam mit seinen Kollegen Jean Pisani-Ferry, André Sapir und Nicolas Véron ein 20 Seiten langes Grundsatzpapier zur Bankenunion geschrieben, mit dem sich Beamte der Finanzministerien in Berlin und Paris seit einigen Tagen beschäftigen. Resümee der Bruegel-Experten: Die Bankenunion „muss sehr sorgfältig entworfen werden“.

Beschränkte sich die Aufsicht auf große, systemrelevante Banken, wären Länder wie Frankreich fast komplett erfasst, deren Bankensystem fast nur aus großen Einheiten besteht (siehe Grafik Seite 24). Portugal und Irland wären dagegen nicht betroffen. Das erhöht die Gefahr von Verzerrungen, weil nationale Aufseher anders als die europäischen agieren könnten. Ein weiteres Problem: Großbritannien hat bereits klargestellt, sich nicht an der Bankenunion zu beteiligen. Damit entzöge sich der wichtigste Finanzplatz der EU der gemeinsamen Aufsicht. Europa wäre zweigeteilt.

Organisation einer europäischen Regierung

Voraussetzung für eine Bankenunion wäre zudem, dass alle Banken auf Herz und Nieren geprüft werden. „Man müsste einen richtigen Stresstest abhalten“, sagt Bruegel-Ökonom Wolff. Doch die bisherigen Stresstests haben jedes Mal einen Teil der Wahrheit verschleiert. Und das lange Zögern Spaniens, Hilfe für seine maroden Banken zu beantragen, zeigt, wie die Politik die wahren Zustände im Finanzsektor gerne vertuscht. Auch die Regierung in Zypern erweckt nicht den Eindruck, mit offenen Karten zu spielen.

Völlig unklar bleibt, welche Behörde eine Bank abwickeln dürfte, wenn sie nicht mehr lebensfähig ist. Eine solch elementare Ermächtigung – immerhin geht es um einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte – müsste zuvor von den nationalen Parlamenten abgesegnet werden.

Irrweg gemeinsamer Einlagensicherung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Francois Hollande Quelle: dpa

Heikler noch als die Aufsicht ist das Konzept einer gemeinsamen Einlagensicherung und eines einheitlichen Abwicklungsfonds. Die Idee stamme von Leuten, „die an die Fleischtöpfe wollen“, schimpft Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken. Er geißelt die Bankenunion insgesamt als „Irrweg“. Die deutschen Privatbanken äußern sich bisher nicht zum Umfang ihrer Einlagensicherung und Notfonds. Aber sie fühlen große Begehrlichkeiten.

Doch die entscheidende Frage einer Bankenunion ist: Wie will man verhindern, dass Banken hemmungslos zocken, wenn sie wissen, dass entweder die Geldhäuser oder die Steuerzahler anderer Länder für ihre Einlagen aufkommen? Die Summen, um die es geht, sind schon jetzt schwindelerregend. Ende vergangenen Jahres beliefen sich die Bankenschulden in Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien auf 9,2 Billionen Euro. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt hingegen macht nur 2,5 Billionen Euro aus. „Deutschland würde sich mit Garantieerklärungen gewaltig überheben“, warnt daher Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts.

Ebenso problematisch wie eine Bankenunion ist eine Fiskalunion. In ihr müssten die Steuerzahler der soliden Länder für die Schulden der verantwortungslos wirtschaftenden Regierungen in den Krisenländern bluten. Zwar hat die Bundeskanzlerin Euro-Bonds eine Absage erteilt. Was aber, wenn bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr SPD und Grüne den Sieg davontragen? Die Genossen und die Ökopaxe sind bekanntermaßen Freunde der Schuldensozialisierung.

Sieben gegen Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gemeinsam mit Frankreichs konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy die harte Sanierung Europas durchgesetzt. Bei den Wahlen in Frankreich und Griechenland hat sie zwei wichtige Mitstreiter verloren, der Chor der Kritiker wird immer lauter. Quelle: dapd
1. Die FranzosenDer neue Staatspräsident François Hollande (Foto) verlangt die Ergänzung des europäischen Fiskalpakts: Er will zwar nicht die vorgesehene Haushaltsdisziplin und die Sanktionierung von Etatsündern ändern, den Fiskalpakt aber durch Wachstumsinitiativen ergänzen. Dazu hat der sozialistische Politiker bereits ein vier Punkte umfassendes Memorandum vorgelegt: Gemeinsam begebene europäische Anleihen sollen für EU-Projekte aufgelegt werden; verfügbare Gelder der EU-Strukturfonds sollen den Krisenländern zugutekommen; die Europäische Investitionsbank soll mehr Kredite geben; eine Finanztransaktionssteuer soll die Einnahmen erhöhen. Kompliziert daran ist nur eine Forderung: die nach Euro-Bonds. Hollande will sie nicht einführen, um nationale Schulden zu vergemeinschaften, sondern um gemeinsame Infrastruktur- und Energieprojekte zu finanzieren. Lebhafte Diskussionen wird es zwischen Merkel und Hollande auch über die Rolle der Europäischen Zentralbank geben. Hollande schwebt ein ähnliches Mandat vor wie das der US-Notenbank, also eine Verantwortung der Notenbank für Geldwertstabilität und für Wachstum. Quelle: dapd
2. Die GriechenEin „Signal des Umsturzes und der friedlichen Revolution“ - so interpretiert Alexis Tsipras (Foto) das Ergebnis der griechischen Parlamentswahl, aus der sein „Bündnis der radikalen Linken“ als zweitstärkste Partei hervorging. Eine Botschaft, „die vor allem Frau Merkel verstehen muss“. Ihre Politik des Sparens habe „eine vernichtende Niederlage“ erlitten, tönt der 37-jährige Politiker, der den Stimmenanteil seiner Partei gegenüber der Wahl von 2009 vervierfachen konnte. Das griechische Volk habe gezeigt, dass es sich nicht mit den „barbarischen Auflagen“ der Sparpakete abfinde. Das deutsch-griechische Verhältnis war bereits gespannt. Mit diesem Wahlergebnis wird es noch schwieriger. In Tsipras hat Merkel einen selbstbewussten Gegenspieler gefunden. Um große Sprüche ist der neue Star der Linken nicht verlegen: Mit der Wahl sei „nach zweieinhalb Jahren Barbarei die Demokratie an jenen Ort zurückgekehrt, an dem sie geboren wurde“. Nicht nur Tsipras, auch Parteien wie die Ultranationalisten und die Neofaschisten verdanken einen großen Teil ihres Erfolgs dem Feindbild Deutschland. Quelle: dapd
3. Der IWFIWF-Chefin Christine Lagarde (Foto) hält den deutschen Fokus auf Sparprogramme für zu einseitig. Der Fiskalpakt, für Kanzlerin Merkel Herzstück der Euro-Krisenbekämpfung, sollte aus ihrer Sicht ein eher nachrangiger Baustein innerhalb eines umfassenderen Konzepts sein. Wichtiger als Sparen ist ihr Wachstum - und ein ausreichend großer Rettungsfonds, mit dem sich die Euro-Zone von den Finanzmärkten abschirmen kann. „Mit schnellen, undifferenzierten Sparmaßnahmen werden wir uns selbst besiegen“, mahnte Lagarde Anfang April. Zugleich appellierte sie an die USA, nicht auch noch auf den europäischen Sparkurs einzuschwenken, sondern weiter staatliche Wachstumsimpulse zu setzen. Anfang Januar warnte sie vor einer „Weltwirtschaftskrise wie 1930“ und verlangte: „Die Euro-Zone braucht dringend mehr Wirtschaftswachstum.“ Anders als Merkel versteht sie unter Wachstumsimpulsen nicht allein Strukturreformen, sondern durchaus auch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme. Lagarde kämpfte zudem vehement für höhere Brandmauern für die Euro-Zone. Quelle: dpa
4. Der Ex-PräsidentEs war Bill Clinton (Foto), den Washington vorschickte, um die deutsche Wirtschaftspolitik zu kritisieren. "Die Politik des Sparens wird weiter vorangetrieben, obwohl es offensichtlich ist, dass sie nicht funktioniert", sagte der Alt-Präsident vergangene Woche. Europa solle sich stärker auf die Wachstumsförderung konzentrieren und nicht nur auf Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Die Äußerung des 65-Jährigen war nicht die Einzelmeinung eines pensionierten Präsidenten. Vielmehr spiegelt Clintons Sichtweise die Meinung im Weißen Haus wider. Dort wird bereits seit Monaten der deutsche Kurs kaum verhohlen kritisiert. US-Präsident Barack Obama hatte sogar öffentlich im Herbst 2011 mehr Einsatz der Euro-Zone im Kampf gegen die Schuldenkrise gefordert. Er meinte damit nicht den Abbau von Schulden, sondern staatliche Konjunkturmaßnahmen, um zu verhindern, dass die europäische Wirtschaft weiter abrutscht. Quelle: dpa
5. Deutsche BankUlrich Stephan ist sich sicher. „Nur Sparen allein wird nicht helfen, den Schuldenberg in Europa abzutragen“, sagt der Chefanlagestratege der Deutschen Bank (Foto). Viel wichtiger sei es, das Wachstum zu stärken. Die jeweiligen Regierungen dürften sich dabei allerdings nicht scheuen, notwendige Strukturreformen anzugehen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Dies sei zwar ein äußerst schmerzhafter Prozess für die Beteiligten, letztlich aber ohne Alternative. Dass es funktionieren kann, zeige Deutschland, sagt Stephan. Dank der Agenda 2010 stehe man wieder sehr gut da, wenngleich der Weg dorthin mühsam war und eine Weile gedauert habe. Stephan ist in der Branche nicht allein mit seiner Einschätzung. Sparen ja, aber nicht um jeden Preis. Ganz ähnlich sieht es auch Holger Schmieding, der Chefvolkswirt der Hamburger Berenberg Bank. Ohne die Staatshaushalte in den Griff zu bekommen, würden die Probleme in Europa zwar nicht gelöst werden können, sagt der Ökonom. Man müsse den betroffenen Staaten aber auch Zeit dafür geben. Luft zum Atmen gewissermaßen. Letztlich, sagt Stephan von der Deutschen Bank, könne Europas Schuldenberg nur über einen ganzen Mix an Maßnahmen abgetragen werden. „Grundlegende Reformen, um das Wirtschaftswachstum zu stärken, dazu entsprechende Sparmaßnahmen der einzelnen Staaten - und moderat höhere Inflationsraten.“ Quelle: Deutsche Bank
6. Der NobelpreisträgerSeit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise führt der Nobelpreisträger Paul Krugman (Foto) den Chor der angelsächsischen Ökonomen an, der die von der Bundeskanzlerin dominierte Krisenpolitik der Europäer kritisiert. Es ist ein großer, gemischter Chor aus vielen prominenten Stimmen, der da singt. Er enthält die vielen Ökonomen, die nie an den Euro geglaubt haben, diejenigen, die die deutschen Handelsbilanzüberschüsse schon immer für Teufelswerk hielten, und Enttäuschte, die den Euro bisher gegen ihre Landsleute verteidigt hatten. Was Krugman Angela Merkel vorhält, ist ihr stures Festhalten an der Sparpolitik. Die Deutschen hätten sich in die Idee verrannt, dass Europa Reformen nach ihrem Vorbild brauche, kritisiert er. Dabei könne sich nicht jedes Land durch Exportüberschüsse aus der Krise befreien, warnt der Starökonom und verlangt höhere Inflationsraten in Deutschland und Konjunkturprogramme für den Süden. Mit Joseph Stiglitz stimmt ein weiterer Nobelpreisträger in die Kritik ein: Europa müsse jetzt die Staatsausgaben erhöhen, und die EZB müsse in großem Umfang Staatsanleihen kaufen. Auch Kenneth Rogoff, führender Experte in Sachen Staatsverschuldung, warnt, dass Europa unhaltbare Positionen zu verteidigen versuche. Griechenland werde die Euro-Zone verlassen müssen. Quelle: Reuters

Für Deutschland wird es dann richtig teuer. Wegen des im Vergleich zu Bundesanleihen höheren Ausfallrisikos würde sich der Zins für Euro-Bonds deutlich oberhalb des Zinses für Bundesanleihen einpendeln. Berechnungen des ifo Instituts zeigen, dass sich die Mehrkosten für den deutschen Staatshaushalt langfristig auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr belaufen, wenn erst mal alle deutschen Außenstände auf teurere Gemeinschaftsanleihen umgeschuldet sind. Das macht mehr als 600 Euro für jeden Bundesbürger.

Langfristig dürften die Belastungen sogar noch höher ausfallen, da die Krisenländer durch Euro-Bonds Anreize erhielten, mehr statt weniger Kredite aufzunehmen. Die Schuldenspirale drehte sich immer schneller, die Euro-Zone triebe auf den kollektiven Staatsbankrott zu.

Um das zu verhindern, müsste das Ausgabengebaren der Euro-Länder durch eine zentrale Instanz, den Euro-Finanzminister, kontrolliert werden. Ein derart weitreichender Eingriff in das nationale Haushaltsrecht aber wäre durch die Verfassungen der meisten Länder nicht mehr gedeckt. Sie müssten geändert werden, in vielen Ländern wären dafür Volksabstimmungen nötig.

So auch in Deutschland. Nicht umsonst hat Finanzminister Schäuble vergangene » » Woche eine Volksabstimmung ins Gespräch gebracht. „Noch vor ein paar Monaten hätte ich gesagt: In fünf Jahren? Nie im Leben!“, so der Minister. „Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Nur für zwei Fälle sieht das Grundgesetz Volksabstimmungen vor. Der eine Fall ist die Neugliederung von Bundesländern, der andere die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung. Dazu heißt es in Artikel 146: „Das Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Geschützte Kernbereiche im Grundgesetz

Entwicklung der Staatanleihen in der Schuldenkrise
Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe seit Januar 2010 Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen USA Quelle: Bloomberg
Staatsanleihen Griechenland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Portugal Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Irland Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Italien Quelle: Bloomberg
Bundesanleihen Spanien Quelle: Bloomberg

Eine solche neue Verfassung wäre nötig, um eine EU-Aufsicht über den deutschen Staatshaushalt auf den Weg zu bringen. Das ergibt sich aus der Ewigkeitsklausel des Grundgesetztes, die in Artikel 79 verankert ist. Sie schützt nicht nur die Regelungen in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes, sondern wirkt auch auf weitere Vorschriften.

Dazu zählt neben individuellen Grundrechten auch der Kernbereich der staatlichen Souveränität. In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag im Jahr 2009 hat das Bundesverfassungsgericht umrissen, was es darunter versteht. Neben dem Strafrecht und dem staatlichen Gewaltmonopol erwähnen die Richter das Budgetrecht des Parlaments. Die Grenzen des Grundgesetzes würden verletzt, „wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde“. Gleiches gilt für die Ausgaben des Staates.

Systemrelevante Banken in der Euro-Zone

Nun spekulieren Juristen und Politiker, ob die Verfassungsrichter im Lichte der Euro-Krise von ihrer damaligen Sichtweise abweichen könnten. „Die Entscheidung stammt aus einer Zeit, als die jetzt diskutierten Maßnahmen noch nicht zur Debatte standen“, gibt Oliver Sauer vom Centrum für Europäische Politik an der Uni Freiburg zu bedenken.

Sowohl in ihren Entscheidungen als auch in Interviews haben die Richter vor allem einen Trend benannt, den sie unterbinden wollen: die Verselbstständigung der europäischen Institutionen. In keinem Fall dürften diese in eine Lage kommen, in der sie von sich aus immer mehr Kompetenzen an sich ziehen. Dasselbe gelte für finanzielle Ermächtigungen. „Ich persönlich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich den Weg zu einem europäischen Bundesstaat für den richtigen halte“, sagte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Verfassungsgerichts, in einem Interview im Mai. „Es wäre nur fatal, wenn ein solcher Bundesstaat ohne demokratische Rückanbindung und ohne die entsprechenden Institutionen auf europäischer Ebene sozusagen schleichend etabliert würde.“

Will die Bundesregierung die Hoheit über den Bundeshaushalt nach Europa abgeben, müsste also eine neue Verfassung her. Das Grundgesetz selbst sieht für diesen Fall zwar keine konkreten Regeln vor. In der Geschichte sind jedoch zumeist zwei Modelle zur Anwendung gekommen. Eine Variante wäre, dass ein Gremium die Verfassung ausarbeitet und sie anschließend dem Volk zur Abstimmung vorlegt. Die zweite, dass das Volk die Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung wählt und diese dann die neue Verfassung erarbeiten und beschließen. Über den Inhalt der Verfassung würde dann nicht mehr abgestimmt.

Vielleicht geht es Finanzminister Schäuble aber auch gar nicht um eine neue Verfassung, sondern um etwas mehr Legitimation für die anstehenden Schritte. Um die herzustellen, müsste die Regierung einen bundesweiten Volksentscheid schaffen. In Artikel 20 heißt es, das Volk übe seine Staatsgewalt unter anderem „in Wahlen und Abstimmungen“ aus. Einige Juristen interpretieren dies als Grundlage für die Schaffung eines einfachen Gesetzes über Volksabstimmungen, andere halten eine Verfassungsänderung für notwendig. Die neue Regelung könnte dann zum Beispiel vorsehen, dass jede Verfassungsänderung, wie in Frankreich oder der Schweiz üblich, zuerst dem Volk vorgelegt werden müsste.

Auftrieb für die Euro-Skeptiker

Doch um in allen Ländern die juristischen Hürden auf dem Weg zu einer politischen Union zu überwinden, wären wohl mehrere Jahre, wenn nicht gar ein ganzes Jahrzehnt nötig. Eine schnelle Lösung für die aktuelle Krise ist das nicht. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Ausbau der Euro-Zone zu einer politischen Union ausspricht.

Denn die milliardenschweren Rettungspakete für die Krisenländer haben den Europa-Skeptikern Auftrieb gegeben. Eine aktuelle Meinungsumfrage des amerikanischen Pew-Forschungszentrums zeigt, dass die Mehrheit der Bürger auf dem alten Kontinent keine Lust auf „mehr Europa“ hat. In keinem Land nannte eine Mehrheit der Befragten den Euro eine gute Sache. Nur die mit vertrauenswürdigen Politikern nicht gerade reichlich gesegneten Italiener waren bereit, Europa bei der Kontrolle des nationalen Haushalts mehr Einfluss zu gewähren.

Für die Nordländer wäre eine politische Union mit einer gemeinsamen Finanzpolitik hingegen ein schlechter Deal. Sie hätten in dieser Union nicht mehr viel zu melden. Denn die Südländer werden darauf bestehen, dass in allen wichtigen Gremien der politischen Union – wie schon im Zentralbankrat der EZB – nach dem Prinzip „Ein Land, eine Stimme“ entschieden wird. Der Süden hätte damit eine klare Mehrheit gegenüber den Ländern aus dem Norden – und würde diese permanent überstimmen. Die Transferunion wäre perfekt.

Betroffenheit der Bevölkerung von der Wirtschaftskrise und Bereitschaft zur Vergemeinschaftung von Schulden

Vor diesem Hintergrund mutet die Hoffnung naiv an, Europa könne mittelfristig zu einem Bundesstaat oder gar zu einer europäischen Nation nach dem Vorbild der USA zusammenwachsen. In Amerika hatten sich die einzelnen Staaten nach langen Widerständen 1790 entschlossen, ihre Schulden zusammenzulegen. Der damalige Finanzminister Alexander Hamilton erkaufte sich die Zustimmung der zunächst widerstrebenden Südstaaten, indem er ihnen die Hauptstadt Washington D. C. anbot, direkt vor den Toren Virginias.

Entscheidend für die politische Akzeptanz der US-Schuldenunion bei den Bürgern aber war, dass die hohen Außenstände der Bundesstaaten nicht etwa das Ergebnis regionaler Verschwendungssucht waren, sondern die Folge des gemeinsamen Freiheitskampfes gegen die Kolonialmacht Großbritannien. Der Sieg gegen die Briten schweißte die Amerikaner zusammen – und gab den Startschuss für die Bildung der Nation.

„In Europa fehlen solche gemeinsamen Mythen, jedes Land hat seine eigene Geschichte und Kultur“, sagt Kai Carstensen, Konjunkturchef des ifo Instituts. Die Hoffnung, aus den Nationen auf dem alten Kontinent könnten auf absehbare Zeit die Vereinigten Staaten von Europa werden, hält Carstensen daher für abwegig. „Europa ist nur unsere zweite Haut“, sagt der ifo-Ökonom.

Dazu trägt auch die Vielzahl an Sprachen bei, die die Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern über Ländergrenzen hinweg erschwert. Wie will ein Euro-Innenminister aus Portugal seine Botschaften bei den Bürgern der Niederlande an den Mann bringen? Die Folge: Es gibt auf dem alten Kontinent keine europäische Öffentlichkeit für politische Debatten.

Ist die Zentralisierung erst einmal eingeleitet, entwickelt sie einen sich selbst verstärkenden Sog. Das hatte schon der Finanzwissenschaftler Johannes Popitz erkannt, nach dem das Popitzsche Gesetz benannt ist. Die untergeordneten Gebietskörperschaften bluten aus und werden langfristig zu Empfängern von Finanzzuweisungen der Zentrale. Deutsche Länder und Kommunen sind ein Beispiel dafür.

Eine politische Union würde Europas Gesicht dramatisch verändern. Ob bei Steuern, Sozialleistungen oder Bildung – in vielen Politikbereichen träten zentrale Einheitslösungen an die Stelle von Vielfalt. Koordination würde Wettbewerb ersetzen, zentrale Direktiven die Freiheit beschränken. Es dürfte dann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich die Bürger endgültig von Europa abwenden.

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