Politische Union Deutschland droht der Souveränitätsverlust

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Irrweg gemeinsamer Einlagensicherung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Francois Hollande Quelle: dpa

Heikler noch als die Aufsicht ist das Konzept einer gemeinsamen Einlagensicherung und eines einheitlichen Abwicklungsfonds. Die Idee stamme von Leuten, „die an die Fleischtöpfe wollen“, schimpft Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken. Er geißelt die Bankenunion insgesamt als „Irrweg“. Die deutschen Privatbanken äußern sich bisher nicht zum Umfang ihrer Einlagensicherung und Notfonds. Aber sie fühlen große Begehrlichkeiten.

Doch die entscheidende Frage einer Bankenunion ist: Wie will man verhindern, dass Banken hemmungslos zocken, wenn sie wissen, dass entweder die Geldhäuser oder die Steuerzahler anderer Länder für ihre Einlagen aufkommen? Die Summen, um die es geht, sind schon jetzt schwindelerregend. Ende vergangenen Jahres beliefen sich die Bankenschulden in Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien auf 9,2 Billionen Euro. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt hingegen macht nur 2,5 Billionen Euro aus. „Deutschland würde sich mit Garantieerklärungen gewaltig überheben“, warnt daher Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts.

Ebenso problematisch wie eine Bankenunion ist eine Fiskalunion. In ihr müssten die Steuerzahler der soliden Länder für die Schulden der verantwortungslos wirtschaftenden Regierungen in den Krisenländern bluten. Zwar hat die Bundeskanzlerin Euro-Bonds eine Absage erteilt. Was aber, wenn bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr SPD und Grüne den Sieg davontragen? Die Genossen und die Ökopaxe sind bekanntermaßen Freunde der Schuldensozialisierung.

Sieben gegen Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gemeinsam mit Frankreichs konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy die harte Sanierung Europas durchgesetzt. Bei den Wahlen in Frankreich und Griechenland hat sie zwei wichtige Mitstreiter verloren, der Chor der Kritiker wird immer lauter. Quelle: dapd
1. Die FranzosenDer neue Staatspräsident François Hollande (Foto) verlangt die Ergänzung des europäischen Fiskalpakts: Er will zwar nicht die vorgesehene Haushaltsdisziplin und die Sanktionierung von Etatsündern ändern, den Fiskalpakt aber durch Wachstumsinitiativen ergänzen. Dazu hat der sozialistische Politiker bereits ein vier Punkte umfassendes Memorandum vorgelegt: Gemeinsam begebene europäische Anleihen sollen für EU-Projekte aufgelegt werden; verfügbare Gelder der EU-Strukturfonds sollen den Krisenländern zugutekommen; die Europäische Investitionsbank soll mehr Kredite geben; eine Finanztransaktionssteuer soll die Einnahmen erhöhen. Kompliziert daran ist nur eine Forderung: die nach Euro-Bonds. Hollande will sie nicht einführen, um nationale Schulden zu vergemeinschaften, sondern um gemeinsame Infrastruktur- und Energieprojekte zu finanzieren. Lebhafte Diskussionen wird es zwischen Merkel und Hollande auch über die Rolle der Europäischen Zentralbank geben. Hollande schwebt ein ähnliches Mandat vor wie das der US-Notenbank, also eine Verantwortung der Notenbank für Geldwertstabilität und für Wachstum. Quelle: dapd
2. Die GriechenEin „Signal des Umsturzes und der friedlichen Revolution“ - so interpretiert Alexis Tsipras (Foto) das Ergebnis der griechischen Parlamentswahl, aus der sein „Bündnis der radikalen Linken“ als zweitstärkste Partei hervorging. Eine Botschaft, „die vor allem Frau Merkel verstehen muss“. Ihre Politik des Sparens habe „eine vernichtende Niederlage“ erlitten, tönt der 37-jährige Politiker, der den Stimmenanteil seiner Partei gegenüber der Wahl von 2009 vervierfachen konnte. Das griechische Volk habe gezeigt, dass es sich nicht mit den „barbarischen Auflagen“ der Sparpakete abfinde. Das deutsch-griechische Verhältnis war bereits gespannt. Mit diesem Wahlergebnis wird es noch schwieriger. In Tsipras hat Merkel einen selbstbewussten Gegenspieler gefunden. Um große Sprüche ist der neue Star der Linken nicht verlegen: Mit der Wahl sei „nach zweieinhalb Jahren Barbarei die Demokratie an jenen Ort zurückgekehrt, an dem sie geboren wurde“. Nicht nur Tsipras, auch Parteien wie die Ultranationalisten und die Neofaschisten verdanken einen großen Teil ihres Erfolgs dem Feindbild Deutschland. Quelle: dapd
3. Der IWFIWF-Chefin Christine Lagarde (Foto) hält den deutschen Fokus auf Sparprogramme für zu einseitig. Der Fiskalpakt, für Kanzlerin Merkel Herzstück der Euro-Krisenbekämpfung, sollte aus ihrer Sicht ein eher nachrangiger Baustein innerhalb eines umfassenderen Konzepts sein. Wichtiger als Sparen ist ihr Wachstum - und ein ausreichend großer Rettungsfonds, mit dem sich die Euro-Zone von den Finanzmärkten abschirmen kann. „Mit schnellen, undifferenzierten Sparmaßnahmen werden wir uns selbst besiegen“, mahnte Lagarde Anfang April. Zugleich appellierte sie an die USA, nicht auch noch auf den europäischen Sparkurs einzuschwenken, sondern weiter staatliche Wachstumsimpulse zu setzen. Anfang Januar warnte sie vor einer „Weltwirtschaftskrise wie 1930“ und verlangte: „Die Euro-Zone braucht dringend mehr Wirtschaftswachstum.“ Anders als Merkel versteht sie unter Wachstumsimpulsen nicht allein Strukturreformen, sondern durchaus auch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme. Lagarde kämpfte zudem vehement für höhere Brandmauern für die Euro-Zone. Quelle: dpa
4. Der Ex-PräsidentEs war Bill Clinton (Foto), den Washington vorschickte, um die deutsche Wirtschaftspolitik zu kritisieren. "Die Politik des Sparens wird weiter vorangetrieben, obwohl es offensichtlich ist, dass sie nicht funktioniert", sagte der Alt-Präsident vergangene Woche. Europa solle sich stärker auf die Wachstumsförderung konzentrieren und nicht nur auf Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Die Äußerung des 65-Jährigen war nicht die Einzelmeinung eines pensionierten Präsidenten. Vielmehr spiegelt Clintons Sichtweise die Meinung im Weißen Haus wider. Dort wird bereits seit Monaten der deutsche Kurs kaum verhohlen kritisiert. US-Präsident Barack Obama hatte sogar öffentlich im Herbst 2011 mehr Einsatz der Euro-Zone im Kampf gegen die Schuldenkrise gefordert. Er meinte damit nicht den Abbau von Schulden, sondern staatliche Konjunkturmaßnahmen, um zu verhindern, dass die europäische Wirtschaft weiter abrutscht. Quelle: dpa
5. Deutsche BankUlrich Stephan ist sich sicher. „Nur Sparen allein wird nicht helfen, den Schuldenberg in Europa abzutragen“, sagt der Chefanlagestratege der Deutschen Bank (Foto). Viel wichtiger sei es, das Wachstum zu stärken. Die jeweiligen Regierungen dürften sich dabei allerdings nicht scheuen, notwendige Strukturreformen anzugehen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Dies sei zwar ein äußerst schmerzhafter Prozess für die Beteiligten, letztlich aber ohne Alternative. Dass es funktionieren kann, zeige Deutschland, sagt Stephan. Dank der Agenda 2010 stehe man wieder sehr gut da, wenngleich der Weg dorthin mühsam war und eine Weile gedauert habe. Stephan ist in der Branche nicht allein mit seiner Einschätzung. Sparen ja, aber nicht um jeden Preis. Ganz ähnlich sieht es auch Holger Schmieding, der Chefvolkswirt der Hamburger Berenberg Bank. Ohne die Staatshaushalte in den Griff zu bekommen, würden die Probleme in Europa zwar nicht gelöst werden können, sagt der Ökonom. Man müsse den betroffenen Staaten aber auch Zeit dafür geben. Luft zum Atmen gewissermaßen. Letztlich, sagt Stephan von der Deutschen Bank, könne Europas Schuldenberg nur über einen ganzen Mix an Maßnahmen abgetragen werden. „Grundlegende Reformen, um das Wirtschaftswachstum zu stärken, dazu entsprechende Sparmaßnahmen der einzelnen Staaten - und moderat höhere Inflationsraten.“ Quelle: Deutsche Bank
6. Der NobelpreisträgerSeit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise führt der Nobelpreisträger Paul Krugman (Foto) den Chor der angelsächsischen Ökonomen an, der die von der Bundeskanzlerin dominierte Krisenpolitik der Europäer kritisiert. Es ist ein großer, gemischter Chor aus vielen prominenten Stimmen, der da singt. Er enthält die vielen Ökonomen, die nie an den Euro geglaubt haben, diejenigen, die die deutschen Handelsbilanzüberschüsse schon immer für Teufelswerk hielten, und Enttäuschte, die den Euro bisher gegen ihre Landsleute verteidigt hatten. Was Krugman Angela Merkel vorhält, ist ihr stures Festhalten an der Sparpolitik. Die Deutschen hätten sich in die Idee verrannt, dass Europa Reformen nach ihrem Vorbild brauche, kritisiert er. Dabei könne sich nicht jedes Land durch Exportüberschüsse aus der Krise befreien, warnt der Starökonom und verlangt höhere Inflationsraten in Deutschland und Konjunkturprogramme für den Süden. Mit Joseph Stiglitz stimmt ein weiterer Nobelpreisträger in die Kritik ein: Europa müsse jetzt die Staatsausgaben erhöhen, und die EZB müsse in großem Umfang Staatsanleihen kaufen. Auch Kenneth Rogoff, führender Experte in Sachen Staatsverschuldung, warnt, dass Europa unhaltbare Positionen zu verteidigen versuche. Griechenland werde die Euro-Zone verlassen müssen. Quelle: Reuters

Für Deutschland wird es dann richtig teuer. Wegen des im Vergleich zu Bundesanleihen höheren Ausfallrisikos würde sich der Zins für Euro-Bonds deutlich oberhalb des Zinses für Bundesanleihen einpendeln. Berechnungen des ifo Instituts zeigen, dass sich die Mehrkosten für den deutschen Staatshaushalt langfristig auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr belaufen, wenn erst mal alle deutschen Außenstände auf teurere Gemeinschaftsanleihen umgeschuldet sind. Das macht mehr als 600 Euro für jeden Bundesbürger.

Langfristig dürften die Belastungen sogar noch höher ausfallen, da die Krisenländer durch Euro-Bonds Anreize erhielten, mehr statt weniger Kredite aufzunehmen. Die Schuldenspirale drehte sich immer schneller, die Euro-Zone triebe auf den kollektiven Staatsbankrott zu.

Um das zu verhindern, müsste das Ausgabengebaren der Euro-Länder durch eine zentrale Instanz, den Euro-Finanzminister, kontrolliert werden. Ein derart weitreichender Eingriff in das nationale Haushaltsrecht aber wäre durch die Verfassungen der meisten Länder nicht mehr gedeckt. Sie müssten geändert werden, in vielen Ländern wären dafür Volksabstimmungen nötig.

So auch in Deutschland. Nicht umsonst hat Finanzminister Schäuble vergangene » » Woche eine Volksabstimmung ins Gespräch gebracht. „Noch vor ein paar Monaten hätte ich gesagt: In fünf Jahren? Nie im Leben!“, so der Minister. „Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Nur für zwei Fälle sieht das Grundgesetz Volksabstimmungen vor. Der eine Fall ist die Neugliederung von Bundesländern, der andere die Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung. Dazu heißt es in Artikel 146: „Das Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

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