Portugal Kehrtwende in der Reformpolitik

Die neue Linksregierung dreht Reformen zurück und verspricht soziale Wohltaten. Droht auf der Iberischen Halbinsel ein neues Griechenland?

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Lissabon: Portugals neue Linke Regierung unter Rebelo de Sousa kriegt Gegenwind von EU-Kommision und Finanzmärkten. Quelle: AP

David Neeleman war als junger Mann einmal Missionar. Jetzt besitzt er mehrere Fluggesellschaften, aber an die Kraft der Überzeugung glaubt er immer noch. „Das Einfachste wäre, zu sagen, gebt mir mein Geld zurück, und ich verschwinde“, sagt der 56-Jährige, der voriges Jahr mit einem portugiesischen Partner 61 Prozent der staatlichen Fluglinie TAP übernahm. Doch so schnell gibt er nicht auf. Seit Wochen schon müht sich Neeleman mit der neuen Linksregierung des Landes ab, die den Verkauf der TAP-Anteile am liebsten rückabwickeln will.

Defizit im portugiesischen Staatshaushalt Quelle: Commerzbank

Dies ist nur eine von vielen Kehrtwenden in der portugiesischen Wirtschaftspolitik, seit der Sozialist António Costa im November eine linke Minderheitsregierung ins Leben gerufen hat. Er will dem wirtschaftspolitischen Reformkurs des Landes, das der Internationale Währungsfonds und die EU-Partner zwischen 2011 und 2014 mit 78 Milliarden Euro Nothilfe vor der Staatspleite retten mussten, ein Ende setzen. Die von der konservativen Vorgängerregierung beschlossene Privatisierung des Nahverkehrs in Lissabon und Porto hat die Regierung deswegen ebenfalls gestoppt. Stattdessen wurden die Renten erhöht. Gehälter im öffentlichen Dienst bis 1500 Euro sollen bis Jahresende wieder um die zehn Prozent steigen, die die Vorgängerregierung eingespart hatte. Als Nächstes soll der Mindestlohn von derzeit 589 Euro angehoben und Bezieher geringer Einkommen sollen Steuererleichterungen bekommen. Zwei bis drei zusätzliche Ferientage wird es für alle geben, die ohne Fehltage zur Arbeit gehen. Darüber hinaus hat Premier Costa vier 2012 gestrichene Urlaubstage wieder eingeführt. Letzteres allein wird die Lohnstückkosten um 1,5 Prozent steigen lassen, schätzt Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen.

Wie stehen Griechenland, Spanien und Co. da?
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Die Lohnstückkosten sind in Griechenland, Irland und Spanien vergleichbar hoch. Für Griechenland senkt das die Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung deutlich herab.
Griechenland, Spanien Arbeitslosigkeit, jeder vierte Erwerbsfähige ohne Arbeit, Portugal, Irland Krise, Anstieg, Eindämmung
Alle vier Länder haben den Abbau der Staatsausgaben verbessert. Besonders Griechenland war hier auf einem guten Weg, bis im Januar Syriza an die Macht kam.
Mit dem Abbau der Staatsverschuldung haben alle vier Länder noch ein Problem und sind noch weit entfernt von einem akzeptablen Stand. Am besten schlagen sich hier Spanien und Irland.
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Seit Montag erklärt Regierungschef Costa Vertretern der EU-Kommission, wie Portugal trotz allem die Neuverschuldung 2016 unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten will. Die Regierung müsse sehr vorsichtig agieren, sagt Luís Mira Amaral, Chef der Bank BIC. Ihn beunruhigt vor allem die Vielzahl der Ankündigungen. Bei einer Staatsverschuldung von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) brauche Portugal ausländisches Kapital „wie das tägliche Brot“, sagt der Banker und beobachtet, wie die Finanzmärkte schon wieder nervös werden. Die Rendite zehnjähriger Portugal-Anleihen ist zwischendurch auf mehr als drei Prozent gestiegen. Nur das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB), das im März vermutlich ausgeweitet wird, hat bislang Schlimmeres verhindert. Aber auch das könnte sich ändern.

Neue Zerreißprobe

Falls im April auch die letzte der wichtigen Ratingagenturen portugiesische Bonds auf Ramschstatus setzt, darf die Europäische Zentralbank (EZB) diese Papiere nicht mehr erwerben. „Dann würde Portugal eine ähnliche Situation wie Griechenland im vergangenen Sommer drohen“, warnt Volkswirt Solveen. Dort musste die EZB die Geldhäuser des Landes monatelang mit Notkrediten über Wasser halten, was die vorübergehende Schließung der griechischen Banken letztlich nicht verhindert hat. Am Ende könnte der EU wegen der Entwicklung auf der Iberische Halbinsel sogar eine neue Zerreißprobe drohen, denn auch im Nachbarland Spanien hofft die Oppositionspartei Podemos darauf, mithilfe eines Linksbündnisses die Konsolidierung zu stoppen.

Portugals Wähler scheinen derweil mehr um Kompromisse bemüht als die Regierung selbst. Vergangenen Sonntag erreichte Marcelo Rebelo de Sousa schon im ersten Anlauf die absolute Mehrheit bei der Wahl des Staatspräsidenten – ein Konservativer. Er wolle Brücken bauen „zwischen Sparpolitik und der Achtung, die den Menschen zusteht“, sagte er nach der Wahl. Das klingt, als würde er die Regierung zunächst einmal gewähren, ihr aber auch nicht alles durchgehen lassen. Immerhin hat Portugals Präsident weitreichende Befugnisse: Sollte es die Regierung zu bunt treiben und den Bruch mit dem Kapitalmarkt riskieren, könnte er notfalls schnell das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen.

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