Post aus Harvard

Die lange Vorgeschichte des Brexit und die Chancen

Martin Feldstein Quelle: Bloomberg, Montage
Martin S. Feldstein US-amerikanischer Ökonom, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Oberster Wirtschaftsberater für US-Präsident Ronald Reagan Zur Kolumnen-Übersicht: Post aus Harvard

Die Entfremdung der Briten von der EU hat eine lange Vorgeschichte und könnte ökonomische Folgen haben. Der Brexit birgt für Großbritannien aber auch Chancen - etwa ein eigenes Freihandelsabkommen mit den USA.

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Wie es nach dem Referendum weiter geht
Premierminister David Cameron Quelle: dpa
Artikel 50 Quelle: dpa
Der ungeregelte Austritt Quelle: dpa
Das Modell „Norwegen“: Quelle: dpa
Das Modell „Schweiz“: Quelle: dpa
Das Modell „Kanada“: Quelle: dpa
Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Ein paar Tage vor dem Referendum in Großbritannien unterhielt ich mich mit einem klugen britischen Freund. Er verriet mir, er werde gegen den Brexit stimmen - aus Sorge vor der unsicheren ökonomischen Entwicklung nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Er fügte aber sogleich hinzu, er hätte 1973 den EU-Beitritt seines Landes abgelehnt, wenn er gewusst hätte, in welche Richtung sich die EU entwickelt.

Die Mehrheit der britischen Wähler hat nun aus unterschiedlichen Gründen für den Austritt gestimmt. Viele wandten sich dagegen, dass die Führung der EU ihr ursprüngliches Mandat überzogen und eine Organisation aufgebaut hat, die immer größer wurde und immer mehr Kompetenzen an sich zog.

Die Vereinigten Staaten von Europa, von denen der Franzose Jean Monnet geträumt hatte, waren nie das Ziel der Briten, als sie vor über vier Jahrzehnten der Gemeinschaft beitraten.

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

Es ging ihnen auch nicht um Europa als Gegengewicht zu den USA. Großbritannien wollte ganz einfach die Vorteile einer zunehmenden Integration von Handel und Arbeitsmarkt mit den Ländern auf der anderen Seite des Ärmelkanals nutzen.

Am Anfang der EU stand ein Vertrag von sechs Staaten, die in ihrem Gebiet den freien Fluss von Handelsgütern herbeiführen und Schranken für die Mobilität von Arbeitskräften beseitigen wollten. Als ihre führenden Politiker später ein Bewusstsein europäischer Solidarität durch eine Währungsunion schaffen wollten, hatte Großbritannien - zu seinem Glück - die Möglichkeit, daran nicht teilzunehmen, sondern das Pfund und die Kontrolle über seine Geldpolitik zu behalten. Damit war das Land allerdings schon damals zu einer Art Außenseiter in der Union geworden.    

Mit der Erweiterung der EU auf am Ende 28 Mitgliedsländer konnte Großbritannien auf Dauer den Zustrom von Arbeitskräften aus diesen Staaten nicht begrenzen.

In der Folge ist die Zahl der im Ausland geborenen Arbeitskräfte seit 1993 um mehr als das Doppelte gestiegen, auf mehr als sechs Millionen Menschen. Die meisten kommen aus Niedriglohnländern.

Die Befürworter des Brexit sorgten sich natürlich um den daraus folgenden Lohndruck in ihrem Land. Dagegen wandten sie sich im Allgemeinen nicht gegen die Zunahme der Handels- und Kapitalströme über die Grenzen, die den Kern der Globalisierung ausmachen. Großbritannien will einfach etwas anderes als der Rest der Europäischen Union. Die anderen Mitgliedsländer, Frankreich und Deutschland an der Spitze, wollten schon immer mehr als Freihandel und einen großen einheitlichen Arbeitsmarkt. Die europäischen Spitzenpolitiker waren von Anfang an entschlossen, ihr „europäisches Projekt“ auszuweiten, um – in der Sprache der Römischen Verträge – eine „immer engere Union“ zu verwirklichen. Wer Regierungsgewalt an die Organe der EU abtreten wollte, rechtfertigte das mit dem Begriff der „geteilten Souveränität“. Was bedeutet, dass beispielsweise die Souveränität Großbritanniens ausgehöhlt werden kann, ohne dass die britische Regierung oder das britische Volk dem zustimmen müssten.

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