Ein paar Tage vor dem Referendum in Großbritannien unterhielt ich mich mit einem klugen britischen Freund. Er verriet mir, er werde gegen den Brexit stimmen - aus Sorge vor der unsicheren ökonomischen Entwicklung nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Er fügte aber sogleich hinzu, er hätte 1973 den EU-Beitritt seines Landes abgelehnt, wenn er gewusst hätte, in welche Richtung sich die EU entwickelt.
Die Mehrheit der britischen Wähler hat nun aus unterschiedlichen Gründen für den Austritt gestimmt. Viele wandten sich dagegen, dass die Führung der EU ihr ursprüngliches Mandat überzogen und eine Organisation aufgebaut hat, die immer größer wurde und immer mehr Kompetenzen an sich zog.
Die Vereinigten Staaten von Europa, von denen der Franzose Jean Monnet geträumt hatte, waren nie das Ziel der Briten, als sie vor über vier Jahrzehnten der Gemeinschaft beitraten.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Es ging ihnen auch nicht um Europa als Gegengewicht zu den USA. Großbritannien wollte ganz einfach die Vorteile einer zunehmenden Integration von Handel und Arbeitsmarkt mit den Ländern auf der anderen Seite des Ärmelkanals nutzen.
Am Anfang der EU stand ein Vertrag von sechs Staaten, die in ihrem Gebiet den freien Fluss von Handelsgütern herbeiführen und Schranken für die Mobilität von Arbeitskräften beseitigen wollten. Als ihre führenden Politiker später ein Bewusstsein europäischer Solidarität durch eine Währungsunion schaffen wollten, hatte Großbritannien - zu seinem Glück - die Möglichkeit, daran nicht teilzunehmen, sondern das Pfund und die Kontrolle über seine Geldpolitik zu behalten. Damit war das Land allerdings schon damals zu einer Art Außenseiter in der Union geworden.
Mit der Erweiterung der EU auf am Ende 28 Mitgliedsländer konnte Großbritannien auf Dauer den Zustrom von Arbeitskräften aus diesen Staaten nicht begrenzen.
In der Folge ist die Zahl der im Ausland geborenen Arbeitskräfte seit 1993 um mehr als das Doppelte gestiegen, auf mehr als sechs Millionen Menschen. Die meisten kommen aus Niedriglohnländern.
Die Befürworter des Brexit sorgten sich natürlich um den daraus folgenden Lohndruck in ihrem Land. Dagegen wandten sie sich im Allgemeinen nicht gegen die Zunahme der Handels- und Kapitalströme über die Grenzen, die den Kern der Globalisierung ausmachen. Großbritannien will einfach etwas anderes als der Rest der Europäischen Union. Die anderen Mitgliedsländer, Frankreich und Deutschland an der Spitze, wollten schon immer mehr als Freihandel und einen großen einheitlichen Arbeitsmarkt. Die europäischen Spitzenpolitiker waren von Anfang an entschlossen, ihr „europäisches Projekt“ auszuweiten, um – in der Sprache der Römischen Verträge – eine „immer engere Union“ zu verwirklichen. Wer Regierungsgewalt an die Organe der EU abtreten wollte, rechtfertigte das mit dem Begriff der „geteilten Souveränität“. Was bedeutet, dass beispielsweise die Souveränität Großbritanniens ausgehöhlt werden kann, ohne dass die britische Regierung oder das britische Volk dem zustimmen müssten.